Mit Rossinis vorletzter Oper Le Comte Ory zieht die Opéra Comique alle Register, vor allem gesangliche!

Was für Tumulte! Und was für Stimmen! Die Camouflage eines liebestollen Comte entfesselt nicht nur Koloratura, sondern auch unglaubliche Ensembleszene mit Chor. In dem mit Goldstuck protzenden Salle Favart klingt auch das Originalklangorchester wie man sich es nicht besser wünschen könnte. (Von Sabine Weber)

Jean-Sébastien Bou (Raimbaud),  Julie Fuchs (la Comtesse), Philippe Talbot (Comte Ory), Gaëlle Arquez (Isolier) Foto : Vincent PONTET
Jean-Sébastien Bou (Raimbaud), Julie Fuchs (la Comtesse), Philippe Talbot (Comte Ory), Gaëlle Arquez (Isolier). Foto : Vincent Pontet


(19.12.2017 Opéra Comique, Paris) Die Geschichte ist simpel. Ein liebesabenteuerlustiger Comte macht sich an eine verwitwete Comtesse ran. Erst als wunderheilender Eremit. Dann als Nonne. Der musikalische Witz, den Librettist Eugène Scribe und Gioachino Rossini aus diesem Vaudeville-Stoff ziehen, der wiederum auf einer Ballade aus dem späten 18. Jahrhundert fusst, ist atemberaubend. Er wird angeheizt durch den durchtriebenen Begleiter des Comte Ory, Raimbaud, durch die moralinsäuerliche Hausdame der Comtesse, Ragonde, durch den Chor, der mal eine naive Dorfgemeinschaft, dann die wie Beginen lebende Damengesellschaft der Comtesse vorstellt oder die sauflustigen Rittergefährten Orys, die ihren Schabernack im Nonnenhabit auskosten. Der erste Akt spielt in einer Art stillgelegten Sakristei. Kirchengerümpel von Bet- bis Beichtstuhl sind dort gestapelt. Der zweite Akt beginnt mit einer Gewittersturmszene in einem sinnenunfreudigen, weil leeren Saal. Bis die falschen Nonnen einfallen

Philippe Talbot (Comte Ory),  Julie Fuchs (la Comtesse), Jodie Devos (Alice), Eve-Maud Hubeaux (Dame Ragonde), chœur les éléments  Foto : Vincent PONTET
Philippe Talbot (Comte Ory), Julie Fuchs (la Comtesse), Jodie Devos (Alice), Eve-Maud Hubeaux (Dame Ragonde), chœur les éléments. Foto : Vincent Pontet

und ein Trinkgelage veranstalten. Le vin divine, buvons, bovons.
Er endet mit einer Verwechslungskomödie a trois im Bett. Die Konflikte sind wie bei Loriot vorprogrammiert. Sie gewinnen mit der Musik Rossinis Rasanz und werden mit viel Pikanterie durchgezogen. Über eine Person wird sich eigentlich nie wirklich lustig gemacht. Auch Haltungen werden nicht in Frage gestellt. Die Situationen, die entstehen, sind komisch. Immer schaut eine, einer oder viele zu und kommentieren. Oder tauchen unerwartet auf, sodass schnell etwas verborgen werden muss, das aber wieder ausgepackt wird, wenn die oder derjenige den Rücken kehrt. Die schnellen Wechsel vollzieht die Musik mit, allen voran das unglaubliche Sängerensemble des Abends. Juli Fuchs liefert entzückt-verzweifelte Spitzentöne im pianissimo, die zum Lachen aber noch mehr zum Staunen sind. Wenn sie als Comtesse ihr Leiden dem falschen Eremiten – natürlich im Beichtstuhl – beichtet, dann switcht ihre Belcanto Koloratura von Verzweiflung zu Ohnmachtsanfall und hin zu Liebestollheit und wieder zurück. Philippe Talbot als Ory camoufliert zwischen besorgtem Eremit und hingerissenem Liebhaber und steht der Angebeteten in Spitzentönen nicht nach. Seine weniger durchschlagende Stimmkraft macht er absolut durch seinen spielerischen Einsatz wett. Zweimal misslingt sein köstlicher Angriff. Beim ersten Mal wird er durch den Gouverneur entlarvt, der dem entlaufenen Grafensohn den Priesterkittel wegreißt. Seine falsche Nase zieht er sich wütend selbst ab, wirft sie nach hinten. Raimbaud auf dem Beichtstuhl wie der Mann im Mond sitzend, fängt sie sogar auf. Beim zweiten Mal wird Ory als Nonne Colette von seinem eigenen Pagen Isolier verraten. Der hat selbst ein Auge auf die Gräfin geworfen. Isolier, mit großem stimmlichen Potential und positiver Bühnenpräsenz von Gaëlle Arquez verkörpert, ist eine Art Cherubino und Hosenrolle. Die Ensembleszenen sind vom besten, was Rossini je geliefert hat. Die Schlussszene des ersten Aktes – es gibt nur zwei – ist ein gigantisches Solisten-Chor-Orchesterfinale. Allerdings recycelt. Diese Nummer hat Scribe daher auf „Quatuordicesimo“ getauft. Der Chor zu 14 Stimmen, jetzt mit Orchester erweitert, hat Rossini wie fast alle Nummern aus dem 1. Akt schon einmal verwendet. Sie stammen aus seiner Oper Viaggio a Reims, die wenige Jahre zuvor im Théâtre-italien – ehemals um die Ecke zur heutigen Opéra Comique – vorgestellt wurde. Die Musik funktioniert mit französischem Text verblüffend gut. Und zündet sogar einen ganz eigenen L’esprit gaulois. Und das im Minutentakt. Alles schießt ineinander und durcheinander, planvoll und doch wie zufällig. Selbst das Orchester hat ziemlich pikante Einsätze. Ganz großartig gelingt das dem auf historischen Instrumenten spielenden Orchestre des Champs-Elysées unter Louis Langrée. Wenn vier Naturhörner den Auftritt der Comtesse ganz streng und ernst ankündigen, hat das einen ganz eigenen Touch. Es gibt zwei umwerfende Duette: Isolier mit Ory und Ragonde mit der Comtesse. Und das Finale im zweiten Akt – ein Verwirrspiel à trois im Bett – wird mit

Philippe Talbot (Comte Ory),  Julie Fuchs (la Comtesse), Gaëlle Arquez (Isolier) Foto : Vincent PONTET
Philippe Talbot (Comte Ory), Julie Fuchs (la Comtesse), Gaëlle Arquez (Isolier). Foto : Vincent Pontet

Klarinette und Horn im Verbund ganz apart angekündigt. Die Regie von Denis Podalydès, so etwas wie der Hausregisseur an der Opéra Comique, er heißt im Programmheft Sociétaire de la Comédie Française – setzt mit Erfolg auf Personenspiel, das immer wieder nette Gags zündet, aber höchst amüsant die psychologischen Abgründe der Missverständnisse in Liebesnot aufzeigt. Die Kostüme von Modeschöpfer Christian Lacroix sind historisch-realistisch der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nachempfunden, mit hier und da feinen Aperçus. Die Uniformen mit roter Kappe sind denen der Soldaten des Algerienfeldzugs nachempfunden. 1828 ist Comte Ory uraufgeführt worden. 1830 begann der Feldzug nach Nordafrika. Darauf spielt auch das Bild auf dem Bühnenvorhang an. Statt Kreuzzug also Algerienfeldzug. Das hat allerdings für die Handlung nicht wirklich eine Rolle gespielt. Da ging es um musikalischen und bühnentheatralen Witz. Und ein spritzig-witziger Jahresausklang ist der Opéra Comique mit dieser Produktion auf ganzer Linie gelungen. Großartige Sänger – Jean-Sébastien Bou als Raimbaud und Ève-Maud Hubeaux als Ragonde müssen unbedingt auch noch erwähnt werden. Und der Choeur les éléments einstudiert von Joël Suhubiette hat omnipräsent an diesem Erfolg mitgearbeitet.

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