Dekadent, parfümiert, filmmusikalisch und großartig. Francesca da Rimini von Riccardo Zandonai feiert in der Regie von Nicola Raab eine umjubelte Premiere in Strasbourg

Giovanni Lo Sciancato (Marco Vratogna), Smaragdi, (Idunnu Münch), Francesca (Saioa Hernández) und Paolo (Marcelo Puente).
Giovanni Lo Sciancato (Marco Vratogna), Smaragdi, (Idunnu Münch), Francesca (Saioa Hernández) und Paolo (Marcelo Puente). Foto: Klara Beck

Eine Art Schauerdrama mit Fin du siècle parfümiert und ziemlich tumultuösen Kraftakten aus dem Orchestergraben. Die Oper Francesca da Rimini von Riccardo Zandonai hat damals den Nerv der Zeit getroffen. Bei der Uraufführung 1914 am Teatro Regio in Turin gefeiert und bis nach Covent Garden und an die Met weitergereicht, sucht man sie heute vergeblich in den Opernspielplänen. Warum eigentlich? Wie bei Andrea Chénier von Umberto Giordano, die immer wieder gemacht wird, braucht es gute Sänger, ein stimmlich gewaltiges Liebespaar, und ein großes Orchester. Die letzten Versuche, 2007 in Zürich oder 1994 bei den Bregenzer Festspielen haben dieser Oper keinen Neuanfang beschert. Jetzt ist man an der Opéra du Rhin auf diese Oper gekommen. Die Regiearbeit von Nicola Raab hat historischen Muff vermieden und „Aktualitätentheater“ erst gar nicht in Betracht gezogen. Sie bringt das Präraffaelitsch duftende Liebesdrama stilisiert und symbolistisch auf die Bühne in einem Einheitsbühnenbild aus kreisenden, rotierenden grauen Mauern. Ausgehend von einem Augenblick, der das Drama entfesselt. Und das Publikum zweieinhalb Stunden fasziniert hat. (Von Sabine Weber)
(08.Dzember 2017, Opéra Du Rhin, Strasbourg) Graue halbrunde Mauern mit einem Fenster umschließen den Sehnsuchtsraum im 1. Akt. Francesca da Rimini und ihr Hofstaat warten ungeduldig auf Paolo Malatesta, der ihr Gemahl werden soll. Leider weiß sie nicht, dass sie durch diesen schönen Mann nur dazu gebracht werden soll, einen Ehe-Kontrakt mit dessen älteren Bruder zu unterschreiben. Der ist hässlich und lahm. Es ist ihr Bruder, der diesen Betrug eingefädelt hat und sie zu dieser machtpolitisch motivierten Heirat bringen will. Und er weiß, dass die stolze und selbstbestimmte Frau dieser Hochzeit widersprechen würde. Dann aber kommt Paolo. Sie blicken sich an. Eine gefühlt Ewigkeit. Sie verliebt sich sofort in ihn und er in sie. Was sie sich zu sagen hätten, tönt in einem stummen Liebes-Duett aus dem Orchestergraben. Francesca reicht Paolo wie in Trance eine Rose. Der Vorhang fällt. Dieser erste Akt ist magisch. Angefangen mit einer Sologeigerin, einem Frauenchor, der aus dem off hinein singt, Bühnenmusikanten, die mal rechts mal links erscheinen. Quirlige vier Hofdamen, die um Francesca herumwirbeln. Sie sitzt eigentlich nur bewegungslos auf einer Chaiselongue vor der Szenerie. Sie erlebt diese magische Begegnung wie im Traum. Regungslos. Im Rückblick. Es ist auch ein junges Double, das die Rose überreicht. Aus diesem Blick entwickelt sich das Drama, das Zandonai und sein Librettist in zentralen Momenten erzählen. Der zweite Akt dann ist die Männerwelt. Francesca ist verheiratet. Und nicht nur Giovanni, schwarz gekleidet mit einer Beinschiene begehrt sie, und Paolo der Schöne im Kettenhemd, sondern auch noch ein dritter Bruder, Malatestino der Einäugige mit Armschiene und einer gruseligen Kopfbedeckung, halb Helm, halb Augenklappe, stellt ihr widerlich nach. Das alles passiert während einer Schlacht, in der die drei Malatesta-Brüder als Partei der Guelfen gegen die Ghibellinen antreten. Francesca steht vor den Mauern, die rotieren. Im dritten Akt dann der Kuss, der sich eigentlich Liebenden und im fünften Akt verwandelt sich der ursprüngliche Sehnsuchtsraum in eine Todeszone. In den Mauern stecken Schwerter, wie senkrechte Friedhofskreuze. Francesca, die Paolo mehrmals um Frieden gebeten hat, gibt mit einem Aufschrei ihren Widerstand auf und sich Paolo hin. Sie werden von Giovanni, eifersüchtig aufgestachelt von Malatestino, in flagranti erwischt, der sie mit dem Schwert tötet. Giuliano Carella leitet das Orchestre Philharmonique de Strasbourg zweieinhalb Stunden durch eine atmosphärisch wie Filmmusik durchkomponierte Partitur. Es gibt harte Schnitte, extreme Stimmungswechsel, akzentuiert und brutal mit großem Choreinsatz, aber auch operettenhafte Momente, vor allem, wenn die vier Damen versuchen, Francesca aufzumuntern. Sie erinnern irgendwie an die Rheintöchter. Und dann wieder betörende Klangflächen, die eine todessüchtige Trance beschwören. Das entwickelt soghafte Wirkung, die in dieser Inszenierung als das Innendrama Francescas gefühlt wird. Die Oper ist ja nicht von ungefähr nur nach Francesca da Rimini benannt und stellt im Titel nicht wie bei Claude Debussys „Pélleas et Mélisande“ oder Richard Wagners „Tristan und Isolde“ den Held voran. Sie ist in dieser Inszenierung auch nicht ein Opfer, sondern schreit ihre Lust auf die eigentliche Liebe laut hinaus. „Wenn es denn mein Schicksal ist, so soll es sein!“. Eine “vera Donna Annunziata”, sagt die Regisseurin (s. Interview unten), die alles existentiell durchlebt. Soioa Hernandez als Francesca absolviert die große Partie souverän mit warmer Stimmgebung bis fast in die höchsten Lagen hinein. Ein junger Argentinier, Marcelo Puente, muss als Paolo stellenweise gewaltiges stemmen. Marco Vratonga ist aus Zürich direkt nach Strasbourg gereist, um einen verzweifelt seine Frau liebenden, dennoch kahlköpfig ziemlich bedrohlich wirkenden Eifersüchtigen zu geben. Eine große Baritonpartie, die hervorragend besetzt ist. Wie auch die Nebenrollen. Die vier jungen Hofdamen kommen aus dem Opernstudio oder waren dort Mitglieder.
Dass Riccardo Zandonais Francesca da Rimini in Strasbourg jetzt wieder entdeckt wurde, ist kein Zufall. Vor vier Monaten hat Eva Kleinitz die Intendanz übernommen. Sie war Jahrelang Intendantin in Stuttgart und hat Jossi Wieler und Sergio Morabito den Rücken frei gehalten. Lange davor auch Regieassistentin bei den Bregenzer Festspielen, wo der damalige Intendant Alfred Wopmann das Genre Raritätenoper im Festspielhaus eingeführt und 1994 diese Oper programmiert hat. (s. Interview unten) Sie und Nicola Raab kennen sich schon seit Jahren. Sie zu engagieren ist ein Glücksgriff für dieses Projekt und für Strasbourg.

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