Francesca da Rimini ist die dritte Produktion in Ihrer neuen Spielzeit. Mit Philippe Manourys, Kein Licht, einer Koproduktion mit dem Straßburger Neue Musikfestival Musica und der Ruhrtriennale, wo die Uraufführung stattgefunden hat, haben Sie Ihre Intendanz eröffnet. Dann Mozart. Und jetzt Francesca da Rimini, nicht von Sergej Rachmaninoff, sondern von Riccardo Zandonai. Auf so ein Werk muss man erst einmal kommen…
EK: Man muss natürlich eine Saisonplanung im gesamten schauen. Und da muss man die richtige Mischung aus Bekanntem, Neuentdeckung, italienischer, französischer, russischer, japanischer Musik haben. Man muss die Gesamtpalette anschauen. Da hatte ich das Gefühl, dass Francesca da Rimini perfekt hineinpassen würde.
Ein Schinken, der zu seiner Zeit erfolgreich war. Heute machen die Opernhäuser einen Bogen um das Werk. Es wird nicht gehandelt wie beispielsweise Andrea Chénier, auch so ein Monolith eines einzelnen italienischen Komponisten, dennoch wird es relativ häufig gespielt. Ich habe es läuten hören, dass Sie über Francesca eine Doktorarbeit geschrieben haben…
EK: …eine Magisterarbeit! Ich war 1994 bei den Bregenzer Festspielen Regieassistentin einer Francesca- Produktion. Und habe das Werk damals für mich entdeckt. Ich war im Vorbereitungsprozess beteiligt, bei der Abendspielleitung für die Serie der Vorstellungen dabei, mit einem jungen Fabio Luisi am Pult der Wiener Sinfoniker. Mich hat das umgehauen. Ich habe nie verstanden, warum ein Werk wie Andrea Chénier so bekannt wurde und Francesca da Rimini nicht. Wirklich erklären kann ich das nicht, weil man braucht sehr gute Sänger, ein gutes Orchester, braucht man bei Chénier aber auch. Insofern ist es nicht wirklich erklärlich. Gleichzeitig ist es lustig, wie immer mal wieder Werke auftauchen. Denn Francesca da Rimini hat im April Premiere an der Scala di Milano.
Was war denn Ihr Keystone bei der Magisterarbeit. Wo hat es klick gemacht, dieses Werk will ich irgendwann mal inszenieren. Es begleiten dieses Werk ja so ein paar Negativklischees. Eklektizistisch, Puccini, Wagner, Mascagni, war ja der Lehrer von Riccardo Zandoni, spielen rein.
EK: Ich finde die Palette des ganzen unglaublich, weil ich mich schon mit Dante beschäftigt habe. Und wenn man mit der Divina Comedia schon einmal anfängt, über die Malerei, und D’Annunzio, diese ganz eigene Sprache der Musik. Auf der einen Seite sagt man, ach, das kennt man, das ist ein bisschen Wagner, das ist ein bisschen Kurt Weill, ein bisschen Debussy, Chausson, Mascagni, ist aber immer wieder ein Funken anders. Und es ist keine Note zuviel! Das Timing zwischen den Szenen, die Übergänge ist meisterhaft komponiert.
Dieses Schauerdrama mit Fin du siècle Parfümierung, auch Kraftakten, hat den Nerv der Zeit damals getroffen. Wo ist die Aktualität heute, was ist musikalisch spannend?
EK: Für mich gibt es zwei Seiten. Auf der einen Seite, ohne dass in eine totale Aktualisierung ziehen zu wollen, Frauen, die unter einer arrangierten Ehe leiden, und zerbrechen, gibt es weltweit immer noch.
Das andere ist für mich, dass wenn man eine neue Oper erlebt, die man nicht kennt, dadurch noch einmal angeregt wird, sich mit der Zeit und den Bezügen zu beschäftigen. Francesca da Rimini eröffnet da einen unglaublich weiten Horizont. Und ich habe gestern in der Pause beim Vorbeigehen eine Deutsche Gruppe diskutieren hören über D’Annunzio und seine völlig schräge Villa am Garda-See und was das für eine Zeit war, die Vermischung aus Literatur und Politik und wie kritisch man natürlich einer Person wie D’Annunzio gegenüberstehen muss, keine Frage. Das finde ich spannend.
Der Held von Fiume, Gottseidank, war die Villa nicht Teil des Bühnenbilds wie schon in Inszenierungen.
Das Sängercasting ist entscheidend bei einer Sängeroper, haben Sie das Casting gemacht?
EK: Die gesamte Saison 17/18 ist meine Planung. Es gibt keinen Sänger, den ich nicht persönlich engagiert habe und sonst auch keine künstlerische Entscheidung, die ich nicht selber gefällt habe. Die Übergangszeit war knapp aber mein Vorgänger hatte nichts geplant. Im Laufe des Lebens hat man so seine Kontakte und kennt das Stück gut. Marco Vratogna ist ein international bekannter Sänger, der direkt aus Zürich zu uns kam. Marcelo Puente wird in Dresden debütieren, war vorher in Covent Garden mit Antonio Pappano. Und Saioa Hernandez ist sicherlich ein Geheimtipp noch. Sie hat die Partie der Francesca kurzfristig übernommen, da die eigentlich vorgesehene Sängerin ein Kind bekommen hat. Marcelo Puente ist ein junger argentinischer Tenor, mit dem ich vor vier Jahren schon in Stuttgart zusammen gearbeitet habe. Paolo ist eine Hammerpartie. Ich fand das beachtlich, wie die durch den Probenprozess gegangen sind, mit einer unglaublichen Konzentration und Feinheit und Engagement. Was darauf zurück zu führen ist, dass Dirigent und Regie gut zusammen gearbeitet haben. Hand in Hand die Sänger unterstützt haben. Denn sonst hält man so Partien nicht so frisch durch.
Das hat mich auch bei Francesca überrascht, die noch im letzten Akt unglaubliches zu singen hat. Die Dialoge mit ihrer Dame, mit Paolo und dann zuletzt den Hebel rumreißt und sagt, wenn es mein Schicksal eben ist, so sei es. Und sie stürzen sich in ihre Liebe… Das unterscheidet sie ja auch von den anderen Liebenden der großen Paare, Mélisande und Isolde…
Sie kommen aus Stuttgart, Sie standen hinter Jossi Wieler und Sergio Morabito, jetzt sind Sie Intendantin hier an der Opéra du Rhin in Strasbourg, einem völlig anderem Haus. Was sind die Unterschiede, mal abgesehen davon, dass es kein festes Sängerensemble gibt?
EK: Ich habe ja auch davor als stellvertretende Intendantin in Bregenz und in Brüssel gearbeitet. Ich wusste, was auf mich zukommt und hatte als Assistentin auch in Frankreich schon gearbeitet. Ansonsten kann man das überhaupt nicht vergleichen. Die Stuttgarter Oper, letztes Jahr Oper des Jahres, mit einem Riesenensemble, einem fantastischen Orchester, Chor, mit Repertoire-Betrieb. Mit einem Publikum seit Klaus Zehetlein, das ist Europa-Weit schon einzigartig. Ich habe es sehr genossen, dort zu arbeiten. Und mir war es wichtig, Jossi Wieler und Sergio Morabito den Rücken frei zu halten.
Sie haben die Arbeit gemacht?…
EK: Nein, das will ich damit gar nicht sagen. Zu ermöglichen, dass sie die besten Bedingungen haben, sei es finanziell durch das Budget, durch Ensemblemitglieder oder tolle Dirigenten. Das motiviert einen extrem. Die zwei sind wundervoll. Hier ist es etwas ganz anderes, ein viel kleineres Theater, mit einem viel geringeren Budget, viel, viel kürzeren Planungszeiten. Einem sehr alten Theater, mit keinem festen Ensemble, mit einem Ballett mit dreißig Tänzern, und ich habe auch einen neuen Ballettdirektor mit einer richtig guten Kompanie. Da bin ich sehr glücklich, Und vor allem gibt es extrem engagierte Mitarbeiter in allen Bereichen. Wenn man die Kostüme und das Bühnenbild gestern gesehen hat, bei dem geringen Etat, den wir haben, in unseren Werkstätten zu bauen und mit soviel Liebe herzurichten, das ist einfach top. Das ist etwas Besonderes. Und auf der anderen Seite, dass man sich hier in der Region viel viel stärker vernetzt als in Stuttgart. Mein Festival Arsmondo, was im März stattfindet, war ein kleines Pflänzchen, aber alle machen inzwischen mit. Wir haben eine große Japanausstellung dann, und die verschiedensten Aktivitäten, wo sich Uni, Kinos, Schauspielhaus mit engagieren. Das ist so typisch Strasbourg. Vernetzt. Da gibt es eine große Lust, zusammen zu arbeiten.
Das „Japanische Festival“ hier haben Sie neu aus dem Boden gestampft?
EK: Meine Idee ist, einmal im Jahr im Frühjahr ein Festival zu haben. Arsmondo habe ich das getauft. Es ist ein Blick über Europa hinaus. Jedes Jahr steht ein außereuropäisches Land im Mittelpunkt. Mit diesem ganzen Ansatz, wie Künstler von dort nach Europa gekommen sind, wie haben sie uns beeinflusst, aber auch ganz normale Menschen, die mit der Situation, wie können wir umziehen, fertig werden müssen. Und so weiter. Soziologisch, psychologisch sich adaptieren müssen, und einen Blick auf ihre alte Heimat haben. Da gibt es dieses Jahr Japan. Ich habe einen Dreijahresvertrag, und da gibt es noch zwei andere außereuropäische Länder, die noch nicht verraten werden.
Das habe ich mir schon gedacht. In dieser Rimini ist ja eine Sache ganz offensichtlich: die Männer- und die Frauenwelt, die musikalisch sehr kontrastiert sind. War das auch ein wichtiges Moment um zusagen, ich will dieses Oper haben?
EK: Da denkt man in dem Moment der Entscheidung nicht so drüber nach, wenn ich ehrlich sein soll. Wenn man es dann hinterher sieht und die Regisseurin sieht, und erlebt bei der Arbeit, es ist schon ein Frauenstück und eine Fraueninszenierung geworden, wo man die Francesca nicht als Opfer darstellt. Das sind Dinge, die kommen einem später. Man muss bei diesen Entscheidungen Kopf und Herz und Instinkt zusammen binden.
Für mich ist es zu allererst toll Intendantinnen zu sehen, die man ja gar nicht so häufig erlebt. Es gibt auch eine Intendantin bei uns in Köln.
EK: Ich bin die Generalintendantin hier an der Opéra du Rhin. Und habe eine sehr große Verantwortung. Über sehr viele Mitarbeiter und Entscheidungen, und wenn man viele Subventionsgeber hat und die schwierige Lage in Frankreich, dann ist das schon eine Aufgabe. Deswegen gibt es vielleicht auch nicht so viele Frauen, weil Frauen sich manche Dinge mehr zu Herzen nehmen.
… oder nicht die Sachen so gut aushalten können. Wie dem auch sei, ein bisschen zu Ihrer Geschichte, der deutschen Generalintendantin, in der Nähe von Deutschland. Die Opéra du Rhin ist ja auch sehr „germanophil“. Deutsche Übertitel während der Vorstellung. Wie ist denn Ihr Werdegang. Sie kommen aus Hannover. Wie sind Sie in das Opernmetier hineingesteuert?
EK: Man fängt halt an, wenn man vom Opernvirus infiziert wird. Und dann wird es klischeehaft. Man kocht dem Regisseur den Kaffee mit 14, hilft dann da so ein bisschen, darf in der Kostümabteilung mal einen Knopf annähen. Und zu dem Zeitpunkt war mir das eigentlich völlig egal, was ich mache. Hauptsache ich darf da irgendwie mitmachen.
Sie haben an der Oper Hannover also angefangen?
EK: Ja, so ein bisschen hospitiert, und helfen halt zu Schulzeiten. Dann habe ich Musikwissenschaft, Italienisch und Psychologie studiert. Ich wollt zwischendurch auch mal Sängerin werden, habe ziemlich viel Unterricht genommen, kam dann aber relativ spät auf die andere Seite der Regieassistentin und hatte dann die Chance, bei den Bregenzer Festspielen anzufangen, noch während des Studiums immer wieder als Regieassistentin, wo ich wundervolle Künstler kennenlernen und zusammenarbeiten durfte, sodass ich dann relativ schnell das Singen aufgegeben haben, aber man hat ja ein Grundwissen schon. Und dann eben Bregenzer Festspiele über einen langen Zeitraum, dank des damaligen Intendanten Alfred Wopmann, der ein absolut großartiger Intendant war, und jetzt immer noch für mich eine Reverenz darstellt, weil er damals Francesca da Rimini programmiert hat. Von da dann nach Brüssel, mit Peter de Caluwe als Intendanten und einer unglaublich wilden Stadt. Mit Entdeckungen, damals René Jacobs, Marc Minkowski, Christophe Rousset. Auch den Tanz, den wir am Haus hatten. Und dann nach Stuttgart, wo ich oft war, weil von Bregenz aus war das ja nicht so weit, wo ich bald das Repertoire und die Umstände dort kannte, wusste, was das Publikum schätzt. Und dann bin ich jetzt hier gelandet.
Und Nicola Raab, wie sind Sie auf die Regisseurin gestoßen?
EK: Nicola Raab und ich kennen uns seit Jahren, da sie einen ähnlichen Weg gegangen ist, wie ich. Wir sind der gleiche Jahrgang, 1972. Sie hat ähnliches studiert. Sie war Regieassistentin viele Jahre in München, dann international. Dann hat sie angefangen, selber zu inszenieren. Also wir kennen uns jetzt seit 20 Jahren. Was ich bei ihr schätze ist, dass sie sich sehr, sehr genau bei jeder Produktion überlegt, wer ist das richtige Team. Sie arbeitet mit ganz unterschiedlichen Bühnen- und Kostümbildnern zusammen. Und sehr genau überlegt, mit wem will ich welches Stück erzählen. Und sie ist eine Expertin für Frauenrollen. Sie hat Thaïs und Lakmé auch sehr erfolgreich inszeniert. Diese Frauenrollen uns nahe zu bringen.
Strasbourg, 9. September 2017. Das Gespräch führte Sabine Weber