Im Tunnel! Roland Schwab inszeniert Verdis „Don Carlos” in Saarbrücken als düsteres Drama eines Verlorenen

Roland Schwab hat einen Hang zum Düsteren, zum abgründig Dunklen, geheimnisvoll Fremden in jedem einzelnen Menschen wie in der Gesellschaft als Ganzes. Bei seinem faszinierenden „Lohengrin“ vor wenigen Monaten in der Salzburger Felsenreitschule dominierte die gewaltige Bühnenbreite den ganzen Abend das Wrack eines riesigen Flugzeugs, entworfen von Piero Vinciguerra. Jetzt hat derselbe Bühnenbildner, mit dem Schwab oft zusammenarbeitet, einen in seinen Materialien zugleich realistischen wie im Gehalt symbolischen, auf halber Höhe durchbrochenen Auto-Tunnel auf die Bühne des Saarländischen Staatstheaters gebaut und Renée Listerdal dazu die zeitlosen und doch modernen Kostüme entworfen. (Von Klaus Kalchschmid)

Angelos Samartzis (Don Carlos), Felix Rathgeber (Mönch). Foto: Martin Kaufhold

(24. Januar 2020. Saarländisches Staatstheater, Saarbrücken) Gleich zu Beginn quält sich ein verletzter Mann aus einem rauchenden Auto, das auf dem Dach liegt und kommt fortan nicht mehr richtig auf die Beine, taumelt immer wieder, muss sich anlehnen, wird buchstäblich vom Schicksal gebeutelt, als wäre er ein schutzloser Baum im Sturm. Alles, was auf den Crash folgt, kann als Rückblick eines Lebensmüden gedeutet werden, als Halluzination des Schrecklichen, aber auch Schönen, das diesem Mann – es ist Carlos, der Infant von Spanien – in seinem noch jungen Leben passiert ist. Dafür wird der Tunnel immer anders beleuchtet, mal bricht der Asphalt auf und die Decke wird so von unten beleuchtet oder magisches Licht scheint von hinten. Während der Umbauten fahren wir in einem düsteren Schwarz-Weiß-Film an zahllosen, blätterbefreiten Bäumen auf einer endlosen Straße durch die Finsternis. Das ist beklemmend und faszinierend zugleich.
Auch wenn der Fontainbleau-Akt in der hier weitgehend gespielten französischen Pariser Uraufführungsfassung von 1867 geschickt gekürzt ist, thematisiert dieser erste Akt doch mit Macht das Sich-Kennenlernen und schon bald Frisch-Verliebtsein des einander versprochenen Paars Carlos und Elisabeth, Prinzessin von Valois. Schon bald deuten Kanonenschläge aus der Königs-Residenz die bittere Ernüchterung an, dass Elisabeth jetzt die Frau Philipps II., also Stiefmutter Carlos‘ werden soll. Von diesem Schock erholt sich der junge Carlos, vom üppig schwarz gelockten Angelos Samartzis nicht mehr, expressiv gesungen und dargestellt mit ebenso schönem, wie leuchtend dramatischem Tenor bis hin zu mühelosen Spitzentönen; da hilft kaum die von Anfang an ungleiche Freundschaft mit dem unerschrockenen Denker Marquis Posa, der beim schlanken, großen Michał Partyka mit kantigem Gesicht und kühl loderndem Bariton das pure Gegenteil zum vergrübelten Loser Carlos ist. Während Posa den König mit flammenden Worten auf die Missstände in Flandern hinweist, greift Carlos in gleicher Sache den Vater blind, ja amoklaufartig in aller Öffentlichkeit mit der Waffe an.

Michal Partyka (Rodrigue), Paul Gay (Philippe II), Angelos Samartzis (Don Carlos), Opernchor, Extrachor und Statisterie des Saarländischen Staatstheaters. Foto: Astrid Karger

Das geschieht im großen „Autodafé“, also der öffentlichen Ketzerverbrennung dank der spanischen Inquisition, hier verkörpert durch den blinden Großinquisitor. Wie später auch im „Triumphmarsch“ der „Aida“, komponiert Verdi hier effektvoll den großen Spagat zwischen der ausgelassen lärmenden Feier des Volks, betrunken Sekt schlürfend, und den Qualen der Delinquenten auf dem Scheiterhaufen. Sie sind bei Roland Schwab wie die flandrischen Deputierten barfuß, halbnackt und von Folter blutig gezeichnet.
Ebenso wenig ist der Regisseur zimperlich, wenn er brutal zeigt, wie Philipp an Elisabeth handgreiflich wird, nachdem er ihr, doppelt eingeschweißt in Plastik wie ein ermittlungstechnisches Beweisstück, ein Foto des Infanten, das er sich aus dem Schlafzimmer Elisabeths erschlichen hat, als Beweis für ihre Untreue präsentiert. Immer wieder wird deutlich, wie angewidert Elisabeth von dem ihr aufgezwungenen Gatten ist, der schon mal die Gattin brüskiert, indem er eine ihrer Kammerzofe, die gegen das Hofzeremoniell verstoßen hat, einfach mal so ins Kloster schickt. Folgerichtig muss er sich in seiner großen Arie zu Recht über Elisabeth eingestehen: „Sie hat mich nie geliebt!“ Paul Gay besitzt zwar die grauen Haare, von denen er singt, aber bei seinem zornigen, raumfüllenden, doch fast unterkühlten Bass spricht ein Mann in seinen besten Jahren weniger mit Wehmut als Wut.

Leah Gordon (Elisabeth), Paul Gay (Philippe II.) Foto: Astrid Karger

Während sonst das Schleierlied der intriganten, in Carlos verliebten Prinzessin Eboli im luftleeren Raum hängt, sitzt bei Schwab die eigentliche Adressatin, eben die Königin, „verschleiert“, also mit Sonnenbrille unter den Hofdamen und wird verhöhnt. Bereits hier ist Eboli weniger die verführerische, als eine eiskalt berechnende Frau. Wenn sie nach ihrem Eingeständnis, das Porträt von Carlos dem König übergeben zu haben, von Elisabeth in die Verbannung geschickt wird, reagiert sie in ihrer großen Arie „Oh don fatal, o don crudel“ weniger verzweifelt als aggressiv das Schicksal anklagend. Judith Braun tut das mit einem in allen Lagen bombensicheren Mezzo, vor dessen Attacke man am besten in Deckung geht.
Ganz anders Leah Gordon als Elisabeth: Ihr Sopran leuchtet fein abgestuft und warm in den verschiedensten Schattierungen, hat aber neben aller Strahlkraft auch wunderbar dunkle Farben. Mit all ihrer Tragik und Charakterstärke ist Elisabeth die Lichtgestalt der Oper, hier aber auch der Inszenierung, die ebenso tief gedacht wurde wie sie musikalisch und handwerklich präzise ausgeführt ist.
Diese Szene wird unter Leitung von Sébastien Rouland vom Saarländischen Staatsorchester getragen, das den Finessen und der Lockerheit einer französischen Grand Opéra ebenso gerecht wird wie der Leidenschaft eines italienischen Musikdramas, zumal man hier um der Prägnanz willen mit Erfolg bei den Finali IV und V auf die konzentrierte Letztfassung Verdis in fünf Akten (Modena 1886) zurückgreift.