Fokus 33. Umberto Giordanos „Siberia“ in Bonn

Umberto Giordano zählt mit Mascagni, Leoncavallo oder Cilea zu den „Veristen“, die sich in Sachen Oper vom übermächtigen Verdi abzusetzen versuchten. Giordanos „Andrea Chénier“ (1896) und „Fedora“ (1898) sind auf heutigen Bühnen noch präsent. Seine 1903 an der Mailänder Scala uraufgeführte, heute unbekannte „Siberia“, hat letzten Juli bei den Bregenzer Festspielen eine Wiederaufführung erlebt. Vom Bodensee ist die Produktion an den Rhein gekommen. Vasily Barkhatov inszeniert. Die Premiere in Bonn wurde begeistert gefeiert. (Von Sabine Weber)

Clarry Bartha (alte Frau), Yannick-Muriel Noah (Stephana), George Oniani (Vassili). Foto: Thilo Beu

(12. März 2023, Theater Bonn) Yannick-Muriel Noah, als Sankt Petersburger Kurtisane, und George Oniani, als sie liebender Soldat, der aus Liebe tötet und nach Sibirien verbannt wird, wohin ihm die Kurtisane Stephana, nachfolgt, wird jubelnder Applaus zuteil! Ebenso Giorgios Kanaris in der Rolle des Gleby, Stephanas Zuhälter, und wie Noah und Oniani im Bonner Ensemble! Auch Gleby wird in den Gulag verbannt, stellt Stephana als ehemalige Hure bloss, wird von ihr als übler Kuppler und Menschenhändler entlarvt, und legt wahnsinnig geworden schauspielerisch einen großartigen Säbeltanz zu Balaleika-Klängen hin.

Dramatischer Verismo

Die Hauptrollenpartien müssen hier mit großer Verve oftmals ein volles Orchester übertönen, was Tenor Oniani mit Stentorstimme im Dauermodus und der dramatischen Stimme Noahs gelingt. Giorgios Kanaris überzeugt durch sein stets abgerundetes Timbre.

Clarry Bartha (alte Frau), Yannick-Muriel Noah (Stephana), Giorgos Kanaris (Gleby). Foto: Thilo Beu

Mit der Revolutionsoper Chénier hat die Handlung nichts gemein. In Siberia geht es auch nicht um Gulag-Kritik oder ein politisches Statement. Siberia ist ein Erlösungsdrama vor russischer Kulisse. Vassili verzeiht – anders als Alfredo in La Traviata – Stephana ihre ihm nicht bekannte und erst durch Glebys Ballade beigebrachte Hurenvergangenheit. Nach beschworener Liebe stirbt Stephana allerdings in seinen Armen („Non piangere“), worauf das Orchester noch einmal dramatisch aufdreht. Ein in schwarz-weiß-Bildern eingezogener Handlungsstrang kommt dann auch zu seinem Ende.

Auf der Suche nach der Vergangenheit
Clarry Bartha (alte Frau), Giorgos Kanaris (Gleby). Foto: Thilo Beu

Regisseur Vasily Barkhatov hat eine alte Frau als neue Rolle eingeführt. In der Ouvertüre, den Zwischenspielen oder Vorspiel zweiter Akt ist sie in einem Dokufilm zu erleben. Sie zündet eine Kerze in einer orthodoxen Kirche an, kommt mit der Aschenurne ihres Bruders von Rom nach Sankt Petersburg, in der transsibirischen Eisenbahn bis ins Archiv von Omsk, fahndet nach Bildern ihrer Vorfahren, bricht mit altem Kartenmaterial in die Steppe auf, wo sie im Schnee ihr Ziel erreicht. Kleine Alltagssituationen machen diese Bildfolgen übrigens sehr realistisch. Die alte Frau (Clarry Bartha) ist von Anfang auch Beobachterin auf der Bühne. Zieht versteckte Briefe aus der Tapete. Stephana und Vassili sind ihre Vorfahren.

Yannick-Muriel Noah (Stephana), George Oniani (Vassili), Clarry Bartha (alte Frau). Foto: Thilo Beu

Die Bühne von Christian Schmidt ist erst ein russisches Salon-Flur-Einheitsbühnenbild in Sankt Petersburg mit Kartenspieltisch und zwei Sofas. Die Wände färben sich immer dort ein, wo es spielt, das ist gut gemacht. Auch die beiden Sofas stellen Räume dar. Später gibt es kommunistischen Realismus als Wandbild hinter Schleusen, wo Wärter einen Stempel auf die Papiere der Ankommenden setzen. Eingezogene Akten-Regale gestalten ein Archiv – der erfundene Handlungsstrang nimmt Einfluss auf das Bühnengeschehen. Im Hintergrund immer wieder Bilder von der Tundra, Wolkentürme, Wind und Schnee, wenn beispielsweise Vassili die schreckliche Steppe besingt. Das alles fügt sich, das kann Barkhatov, und er kittet die doch etwas bruchstückhafte und teilweie nicht ganz logische Handlung. Beispielsweise ist von der Flucht Vassilis und Stephanas, bei der sie tödlich angeschossen wird, nie die Rede, noch findet sie statt.

Kirchentonartlich klingende Chöre aus dem „Off“

Barkhatovs Videobilder bringen russisches Flair hinein. Das kommt Giordanos Anliegen nach, der – anders als Puccini in seiner Japan-Butterfly – hier bewusst mit russischem Lokalkolorit eingefärbt hat. Die Balaleika, kirchentonartlich klingende Chöre aus dem „Off“, dem Lied der Wolgaschlepper, das ich nicht kenne, aber unschwer als „russisch“ heraushöre, das in der Osternacht mit Osterglocken in einer versöhnlich leuchtenden Kirchenchorharmonie aufgeht.

Warum Giordano russophil sein wollte, das Libretto stammt von Luigi Illica, ist bis heute nicht geklärt. Vielleicht hat es mit der Konkurrenz zu Puccini zu tun, der zeitgleich auf Japan gesetzt hat. Illica hat auch das Butterfly-Libretto verfasst. Giordanos dramatisch orchestral opulent ausgearbeitete Partitur mit typischen Verismostimmen, in der wenige Male sogar komische Momente aufblitzen, liegt bei Kapellmeister Daniel Johannes Mayr jedenfalls in guten Händen. Das Bonner Beethoven-Orchester und auch der Chor und Extrachor des Theaters sind zu loben. Die Bonner haben den Abend sehr positiv goutiert!

Weitere Termine: 31.3./ 2.4./ 20.4./ 3.6./ 9.6.

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