Ein denkwürdiger Klavierabend in der Kölner Philharmonie mit Maurizio Pollini und den letzten drei Beethovensonaten

Maurizio Pollini  Foto: Cosimo Filippini
Maurizio Pollini. Foto: Cosimo Filippini

Seine Programme sind stets ungewöhnlich durchdacht. Er ist ein Intellektueller, der auch politisch Standpunkte vertritt. Und Neue Musik gehört immer dazu, mindestens Arnold Schönberg, als dessen Apologet er spätestens seit einer Referenz-Aufnahme aus den 1970ern gehört. Aber auch Pierre Boulez oder Karlheinz Stockhausens Klavierwerk gehört in seinen Kosmos. Mit diesem Abend hat er ein abgesagtes Konzert im letzten September nachgeholt. Ursprünglich sollte Ludwig van Beethovens „Hammerklaviersonate“ mit ausgewählten Stücken Schönbergs kombiniert und mit der „Grande Sonate pathétique“ ergänzt werden. Doch kurzfristig hat sich Pollini anders entschieden und Beethovens letze drei Sonaten ausgerufen. Mit Recht dürfte er argumentieren, dass sei bis auf den heutigen Tag Neue Musik geblieben! Wenn sich eine Tastenmeisterin oder ein Meister dieses erratische und schroffe Spätwerk Beethovens vornimmt, dann geht es aber immer auch um eine persönliche Auseinandersetzung, den Beweis, einen komplexen und unbequemen Kraftakt in dynamischen Bandbreiten in den Extrembereichen der Tastatur zu überstehen (s. auch Klassikfavori zu Elisabeth Leonskaja im Bahnhof Rolandseck). Mit Pollini freilich war dieses Abenteuer von einer ungewöhnlichen Aura begleitet, an der auch das Publikum beteiligt war. (Von Sabine Weber)
(22. Januar 2019, Kölner Philharmonie) Schon wie der Meister aufs Podium der Kölner Philharmonie trippelt hat etwas Besonderes. Ein Doyen der Klavierszene betritt den Ring. Leicht vorgebeugt, sorgsam das Gelände der vier Stufen fixierend, und jeden Schritt mit Blick auf den Boden kontrollierend. Er wirkt alt! Aber ein warmer und fast ehrfurchtsvoll brandender Applaus trägt ihn. Die Kölner Philharmonie ist trotz Schneegestöber draußen und für einen Klavierabend erstaunlich gefüllt. Die Balkone hinter dem Podium sind bis oben hin besetzt. Kurze, ruckartige Verbeugungen, sein süß-saures Lächeln im Gesicht, und noch bevor der Applaus endet, sitzt, nein klebt er auf seinem Klaviersessel und Opus 109 beginnt. Wie aus dem Nichts setzt sie ein, so, als würde ein Fenster geöffnet zu einer Endlosschleife. Ein verstörendes Spiel! Pollini spielt wie für sich! Dazu singend. So, als würde er Beethoven abtasten, erkunden, erforschen und hinterfragen. Manchmal sogar huschend! Einige Töne lässt er aus. Unwichtig? Er meißelt eigene Stufen in die zerklüftete Felspartitur. Sie ergeben im letzten Variationssatz sogar jazzig groovende Gegenrhythmen. Aber erst singt das herrliche Thema dieser Variationen. Wenn es in der Tiefe bedrohlich vibriert und brummt, ist es untergegangen. Und schon schäumt es als Schubertsches Gebetsthema wieder ganz oben aus der Tastatur! Wobei Pollini eigentlich nicht auf dem Klavier „mit innigster Empfindung“ singt. Er horcht jedem Ton nach und fasst Melodietöne als Klangereignis auf, die er aus dem Verklingen heraus formt. Im heftigen Beginn des Opus 110 gibt es kurze Gedächtnislücken. Philologische Genauigkeit ist auch nicht das Thema heute Abend, sondern das, was an dieser Musik revolutionär, neu und avantgardistisch bis auf den heutigen Tag geblieben ist. Abgeklärt entdeckt Pollini und unter Verzicht auf jegliche Emphase oder emotionale Sensation. Eine Tonrepetition im rezitativischen Arioso des Opus 110 wiederholt er so insistierend, dass man meint, das sei ein Doppelpunkt und jetzt biege er schnurstracks doch zu Stockhausen oder Boulez ab.
Nach der Pause beginnt die letzte Sonate (Opus 111) mit diesen mephistophelisch-schroffen Motiven im unteren Register. Mich erinnert das immer an Liszts h-moll Sonate. Trotz dieser pianistisch heftigen Ansagen versinkt Pollini völlig stumm in seinem Flügel. Er singt auch nicht mehr! Es ist ernst! Es scheint, dass er sich auf genau diesen Moment mit den vorherigen Sonaten nur vorbereitet und warm gemacht hat. Virtuose Läufe in beiden Händen kürzt er ab und kommt schon vor der „eins“ an. Virtuosität ist unwichtig. Auf das Wesentliche steuert er zu. Auf die Momente, wo sich die Musik aufzulösen scheint. Die endlosen, fast heftigen Trillerketten, sie sind fast wie ein Voraushören minimalistischer Musikansätze. Und dann ist Pollinis Beethoven plötzlich in c-moll angekommen. Nein, auf einem einzigen „c“ gelandet, das wie ein Meilenstein aus dem obersten Register herausragt. Und unterläuft ihm beim Arietta-Thema da nicht doch ein Moment von Rührung? Bevor frau sich darüber klar werden kann, ist es zu Ende! Ohne Allüre und hochgeworfene Arme. Musik ist für Pollini eine demütige Suche und kein Selbstzweck! Ein Weg durch Möglichkeiten, die es aufzuzeigen gilt und gerade diese, entstanden in völliger Taubheit, tut es! Sie ist Struktur für ein ehrfurchtsvoll nach innen gewandtes Hören. Daran hat der Mailänder Meister an diesem Abend erinnert. Und er hat sein Publikum überzeugt. Tosender Applaus! Und als der Meister – wie schon zwischen den Sonaten – raus geht und wieder rein kommt, springen alle sofort auf. Drei Mal geht er raus und kommt wieder rein. Und klebt sich für zwei Zugaben wieder auf seinem Klaviersessel fest, den er wie seinen Flügel aus Mailand mitgebracht hat. In Köln hat er nicht erst seit diesem Abend unübersehbar einen Fan-Club. Und der bleibt bis zur Signierstunde, um den Meister im Foyer noch einmal begeistert zu begrüßen, der erstaunlich klein und unscheinbar zu seinem Tisch huscht. Was für einen denkwürdigen Abend hat er beschert!

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