Sich der Luxemburger Philharmonie überhaupt zu nähern, ist ein Ereignis. Mit dem Auto fährt es sich auf dem Kirchberg oberhalb der Ville Bas der Stadt Luxemburg wie auf einer Achse durch ein Mega-Industriegebiet. Nur liegen rechts und links keine Baumärkte oder Einkaufszentren, sondern Banken, europäische Institute, Behörden, der EuGH und das EU-Parlament. Alles hinter monumentalen futuristischen Fassaden, über denen hier und da noch der Baukran ragt. Auf der Place de l‘Europe ist man dann bei der hell-leuchtenden Philharmonie angekommen. Und steht unter den von Architekt Christian de Portzamparc errichteten unzähligen schlanken weißen Säulen einer Glasfassade, unter einem oval, spitz zulaufenden Dach. Das soll ein Auge darstellen, auch wenn es um das Hören geht. (Von Sabine Weber)
(4. und 5. Februar 2019, Philharmonie Luxembourg) Zwei Kammerorchester haben sich Montag und Dienstag präsentiert, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Auch wenn sie beide das „Europäische“ im Namen tragen. Die Solistes européens, Luxembourg treten derzeit nur in der Philharmonie auf, in ihrem Inselparadies, wie Dirigent Christoph König das umschreibt.
Das Chamber Orchestra of Europe hat seinen Sitz in London und ist im Gegensatz zum SEL ein Reiseorchester. Das COE tritt fast ausschließlich auf dem europäischen Festland auf. Angesichts des drohenden Brexits wirft der europäische Gedanke neue Fragen auf.
Immer montags finden die sechs Saisonkonzerte der Solistes Européens, Luxembourg statt. Der europäische Gedanke, wie ihn dieses bemerkenswerte zweite Orchester – neben dem Orchestre Philharmonique du Luxembourg – lebt, hat sich in den 30 Jahren natürlich verändert! Aber immer noch vereinen sich Musiker aus bis zu 20 Nationen. Kein Zufall, sondern Programm! Bereits das erste Konzert im Gründungsjahr 1989 fand mit 24 Streichern aus 13 Nationen statt. „Die Idee war, eine Brücke zu Osteuropa zu schaffen“, erzählt Gründungs-Manager Eugène Prim vor dem Konzert. Der gebürtig aus dem lëtzebuergeschen Esch stammende Bänker kam wie die Jungfrau zum Kind zu dieser Orchestervision. Die ihn seitdem nicht mehr losgelassen hat. Seit ein junger slowakischer Geiger vor ihm stand und ihn begeistert hat. Vom ersten Tag an hat Prim für die Finanzierung gesorgt. Jack Martin Händler hieß der junge Musiker übrigens. Händler wollte ein ungarisch-luxemburgisches Orchester. Prim fand, es müsse mindestens ein europäisches Orchester Ost und West vereinen. Noch heute kommt übrigens ein Großteil der Musiker aus dem Osten. Musiker, die zumeist an den Solopulten namhafter Orchester arbeiten wie der Konzertmeister des Abends, Juraj Cizmarovic. Er ist derzeit Konzertmeister beim WDR-Funkhausorchester, zufälligerweise auch Slowake! 19 Jahre lang hat Händler die Solistes Européens, Luxembourg geleitet. Die Solistes reisten in dieser Zeit viel. Madrid, Paris, Berlin oder Helsinki. Oft in diplomatischer Mission. So im Mai 2004 anlässlich der großen Osterweiterung der EU zu den Vereinten Nationen, um den europäischen Gedanken im New Yorker Plenarsaal musikalisch zu feiern. Mit der Eröffnung der gigantischen neuen Philharmonie änderte sich viel. 2005 wird sie zur neuen Heimat der SEL, die sich seitdem im Vergleich mit internationalem Niveau behaupten müssen. Dazu wurde 2010 Christoph König engagiert. Gebürtig aus Dresden stammend, lebt er heute in Wien, arbeitet auch viel mit US-amerikanischen Orchestern und überrascht in Luxemburg mit ausgefeilten Programmzusammenstellungen. An diesem Montag unter der Überschrift: „Der dritte Mann“, eine Anspielung auf den Filmklassiker von Orsen Welles. Im Konzert war Albert Hermann Dietrich gemeint, einer der Mitkomponisten des Gemeinschaftsprojekts unter dem Titel F-A-E-Sonate. Auf Initiative hatten sich Robert Schumann, Johannes Brahms und eben jener Albert Dietrich zusammengetan. Alle drei Komponisten stehen auf dem Programm. Dietrich, der im heutigen Konzertleben ziemlich unterbelichtet ist, mit seiner Sinfonie in d-moll op. 20, die an diesem Montag ihre luxemburgische Erstaufführung erlebt. Umrahmt von Robert Schumanns Genoveva-Ouvertüre und Johannes Brahms zweiter Sinfonie fiel der Vergleich zwischen den Gesinnungsbrüdern der „Frei aber einsam“ -Violinsonate auf dem sinfonischen Gebiet frappierend aus. Bei Dietrich ein Brahmsisch heftig aufstampfendes Thema im ersten Satz, vom Paukisten der Philharmonique de Radio France, Benoît Gaudelette, energisch voran getrieben und sich mit viel tragischer Streicherintensität weitschweifig entwickelnd. Im zweiten Satz wunderbare Hornmelodien, die Zuzana Rzounkovà, Solohornistin beim Prager Symphonieorchester zum Dahinschmelzen wunderbar formt. Auch wenn man sich an das Badekappenmützchen gewöhnen muss, mit dem sie wohl immer spielt. Nomen est omen: Solisten fallen immer wieder auf. Und die vier Cellisten klingen sogar allesamt wie Solisten. Die Holzbläser sind an diesem Abend allerdings nicht optimal im Klangbild eingebettet. Die Koppelungen beispielsweise von Flöte, Klarinette und Fagott verschmelzen zu wenig. Und auch die Streicheranfänge starten nicht immer auf dem Punkt. Etwas mehr dynamische Abstufungen ins piano und pianissiumo hätte dem sinfonisch gewichtigen Abend auch gut getan. Es wird mit viel Verve gespielt. Gewaltigen Eindruck macht das Tutti der Violinen allerdings zu Recht im Finale von Johannes Brahms zweiter Sinfonie und rundet einen langen Abend ab, den das Publikum mit viel Beifall quittiert. Die SEL haben ihre Zuhörer!
Für das Chamber Orchestra of Europe am nächsten Abend füllte sich die Philharmonie noch etwas mehr. Auch die häuschenähnlichen Galerien an der Seite um das einem Marktplatzforum ähnelnde Podium sind gefüllt. Zugpferd ist natürlich Maestro Bernard Haitink, der dem COE seit 2008 eng verbunden ist und zwei Projekte pro Saison leitet. Faszinierend, wie der im März 90jährige mit minimalen Bewegungen der rechten Hand absolut präzise die Musiker am Taktstockende führt und mit der linken Hand ‚präzisissimo‘ Einsätze gibt. Des öfteren drängt sich das Bild des alten Richard Strauss als minimalistisch agierendem Dirigenten auf.
Auch am Dienstag liefert eine Schumann-Ouvertüre das Einstiegsstück ins Konzert. Und zu Robert Schumanns Violoncellokonzert lockt natürlich noch zusätzlich ein erstklassiger Solist. Gautier Capuçon, der ‚impeccable‘ mit dem Orchester harmoniert und in jedem Moment gestalterischen Freiraum auskostet, in den herrlichen Melodien, aber auch in den manchmal irgendwie ins Leere laufenden Spielfiguren.
Zusammen mit den sechs Cellisten des Orchesters verzaubert er noch einmal sein Publikum mit einer Zugabe. Mit Pablo Casals „Gesang der Vögel“. Dann lässt Beethovens Siebte den Abend im rasanten Taumel enden, nicht ohne zuvor die elegisch-leichteren Momente in dem „Alegretto“ überschriebenen Trauermarsch-Satz ausgekostet zu haben, der dann aber auch in einem gigantischen Fugentaumel ausbricht. Einziger Wermutstropfen war der Paukist, dessen Felle merkwürdig waberten. Den Paukisten des Vorabends hätte man sich gewünscht.
Wie dieses Orchester den Brexit überstehen wird, bleibt abzuwarten. Einige der in diesem ebenfalls international besetzten Orchester spielenden Musiker wohnen in England. Alle britischen Musiker, so Solocellist William Conway, werden im Fall von Reiseeinschränkungen betroffen. Fürs COE wäre dann auch noch die Frage, ob einige im Londoner Depot lagernde Instrumente, die in Dover ankommen, auch rechtzeitig gelöscht und auf Fahrt gehen können. In Luxemburg konnten die Musiker und ihre Instrumente noch problemlos in den Bus steigen. Fürs heutige Konzert in der Kölner Philharmonie mit demselben Programm. Und am Sonntag mit Mahlers Wunderhornliedern. Solisten sind Anna Lucia Richter und Hanno Müller-Brachmann.