Es gibt ja kaum etwas, das Jacques Offenbach nicht auf die Bühne gebracht hat. Wurzelgemüse, das ein Königreich usurpiert wie in „König Karotte“. Ein Hund, der besser regiert als alle Männer zusammen, wenn er von einer Frau geführt wird, wie in „Barkouf“. Nicht zu vergessen das in damals erstaunlich aktuellen Gesellschaftsintrigen verstrickte antike Götterpersonal! Da wundert es kaum, dass sein erster Einakter für Paris von der Inselkönigin Oyayaye handelt, die einem bei ihr gestrandeten Kontrabassisten droht, ihn in den Kochtopf zu werfen, sobald ihm der Esprit ausgeht. Das Gürzenich-Orchester hat dieser rund halbstündigen „Menschenfresserei in einem Akt“ in seinem Neujahrskonzert eine köstliche Wiederaufführung beschert, hat unter dem französischen Dirigenten Alexandre Bloch aber auch hören lassen, wie grandios Offenbach für das solistische Violoncello komponiert und wie Wiener Bearbeiter schon zu Lebzeiten voller Begeisterung Offenbachs Bühnenmusik für Wiener Konzerte aufgerüstet haben. (Von Sabine Weber)
(06.01.2019 Kölner Philharmonie) Es war ein gelungener Rundumschlag an diesem Sonntagmorgen! Vor allem für diejenigen, die von Jacques Offenbach noch nie gehört haben. So es solche überhaupt in Köln noch gibt! Denn die junge Kölner Offenbach-Gesellschaft rührt unter dem Motto „Yes we Cancan!“ seit Dezember äußerst tatkräftig die Werbetrommel. Am Rhein hatte man jahrzehntelang vergessen, dass Jacques Offenbach am 20. Juni 1819 in Köln geboren worden ist. 2019 also vor 200 Jahren. Dieses Offenbachjahr soll nicht glanzlos verstreichen. Es wurde bereits eine kleine Wanderausstellung mit historischem Bildmaterial im Kölner Rathaus eröffnet und Veranstaltungen mit Vorträgen, Podiumsdiskussionen und Stadtführungen übers Jahr angesetzt. Und unbekanntes musikalisches Repertoire soll in Köln und Umgebung in verschiedenen Konzerten wiederentdeckt werden. An der Kölner Oper wird beispielsweise die Opéra bouffe „Barkouf“ im Oktober ihre Deutsche Erstaufführung in einer Koproduktion mit der Opera du Rhin in Strasbourg zu erleben sein.
Das Neujahrskonzert des Gürzenich-Orchesters hat schon einmal die Erwartungen geschürt und und einen fulminanten Eindruck von der klanglichen Vielfältigkeit des deutsch-französischen Meisters geliefert. Mit der Ouvertüre zu den „Rheinnixen“ gab es an diesem Morgen zu allererst eine erstaunlich romantische Farbgebung. Die dazugehörigen Melodien wusste Dirigent Alexandre Bloch gefühlvoll auszukosten, sodass das heutzutage nur mehr aus „Hoffmanns Erzählungen“ bekannte, weil dort wiederverwendete Barcarolenthema wunderbar entspannt durch die Philharmonie schweben konnte. Gern würde man auch mal die gesamte Rheinnixen-Oper in einem der Opernhäuser hier am Rhein hören. Der anschließende Walzer aus „Barkouf“ hat immerhin einen Hinweis auf eine kommende Opernpremiere gegeben, die übrigens ohne die Vorarbeiten der Offenbach-Edition Keck (OEK) im Boosey & Hawkes Verlag gar nicht möglich wäre. Seit 30 Jahren ist der Dirigent und Offenbachspezialist Jean-Christophe Keck den verschollenen Offenbach-Manuskripten hinterher. Und seit 20 Jahren steht ihm Chefverleger Frank Harders-Wuthenow von Boosey & Hawkes, Berlin, als ebenso fanatischer Offenbach-Mitstreiter zur Seite, der die teilweise mühsamen Recherchen mit Editionen belohnt. Ein solches überzeitliches Engagement kann man nur beglückwünschen. Nicht zuletzt hat Keck auch den Offenbach-Nachlass im Kölner Stadtarchiv vor seinem Untergang gesichtet und zum Großteil – Gott sei Dank – kopiert und damit mit gerettet. Den charmanten Barkouf-Walzer hat Keck allerdings in dem Konvolut einer Bibliothek in New York entdeckt und als letztes Fundstück der aus zahlreichen Quellen rekonstruierten Barkouf-Oper hinzugefügt, die ebenfalls erstmals ediert wurde. Auch die „Introduction, Priére und Boléro“ für Violoncello und Orchester, einer der Höhepunkte in diesem Konzert, ist eine Erstedition der neuen OEK. Offenbach hat dieses Werk 1840 in Köln komponiert. Das Werk sprüht nur so vor spanischem Exotismus, der in Frankreich ja einen gewaltigen musikalischen Modetrend ausgelöst hat, dem auch Konzertkomponisten wie Saint-Saëns oder Ravel gefolgt sind. Offenbach greift den Trend mit untrüglichem Klangsinn für die cellistischen Möglichkeiten auf – er war ja Cellist. Wobei er das humoristische Element seiner späteren Bühnenwerke mit kleinen Flageolett-Kunststückchen und Duetten im „Flötenregister“ mit der Flöte vorwegnimmt und wahnwitzige Virtuosität mit Melodienseligkeit paart. Der junge Spanier Pablo Ferrández kostete den Solopart auf seinem Stradivarius-Cello derart aus, dass man gar nicht anders kann, als diesem wieder entdeckten Cellokonzert eine Repertoire-Zukunft vorher zu sagen. Die Zugabe mit dem Solocellisten Bonian Tian wurde zu einem weiteren besonderen Offenbach-Cello-Moment genutzt. Die beiden bewiesen ihre Verbundenheit seit gemeinsamen Studiumszeiten mit Offenbachs Polonaise aus den „Trois duos très difficiles“ op. 54 für zwei Celli. Da war gar nicht auszumachen, wer den schwereren Part zu bewältigen hatte.
Mit „Oyayaye oder die Königin der Inseln“, Menschenfresserei in einem Akt, landete das Neujahrskonzert im zweiten Teil sozusagen am Startpunkt Offenbachs in Paris. Dieser burlesk-groteske Einakter mit zwei Tenören – die Königin ist eine Travestierolle – ist das erste Werk, das Offenbach für eine Pariser Bühne je geschrieben hat. Es war bei seiner Uraufführung am Théatre Folies-Nouvelles 1855 auch gleich erfolgreich, sodass Offenbach den Entschluss, in dieser Art fortzufahren, bestärkt umsetzte und sein eigenes Théâtre des Bouffes-Parisiens ins Leben rief. Offenbach parodiert den italienischen Belcanto, wobei die Königin von höchsten Koloraturlinien im Kopfregister in tiefste brummige Bassregister abstürzt. Eine Rolle, die der kurzfristig eingesprungene Hagen Matzeit bewunderungswürdig stemmte, auch wenn er im karnevalsroten Damenkostüm mit strohblonder Perücke das in Oyayaye steckende Oh la là sehr wörtlich nahm und ein bisschen viel die Tunte gab. An dem Kontrabassisten Racle-à-mort, zu Deutsch: Schrubbdichwund, hätte Patrick Süßkinds Kontrabassist seine Freude gehabt. Zumal Matthias Klink sogar Töne aus dem Instrument heraus bekam. Und im absoluten Offenbach-Modus mit „Aïe aïe aïe“- Schmerzensrufen zur Sache ging. Seine unglückliche Vorgeschichte hat er nicht nur erzählt und besungen. Während der Ouvertüre hat er bereits links in der Kontrabassgruppe im Orchester gesessen, schläft über seinem Instrument schnarchend ein, sodass der Dirigenten ihn genervt fortjagt. (Szenische Gestaltung: Sabine Hartmannshenn). Die Ouvertüren-Musik erinnerte dabei im Gestus an eine Schreckensoper im Stile Cherubinis, was zur anschließenden stürmischen Seereise mit Schiffbruch durchaus passte. Musikalisch scheint in der Partitur im weiteren schon alles da zu sein, was den späteren Offenbach auszeichnet. Über weite Stellen ist sie allerdings auch eine Rekonstruktion. Jean-Christophe Keck hat vom überlieferten Libretto und den einzig überlieferten Melodielinien Oyayayes ausgehend im Offenbachstil und für ein Orchester mit doppeltem Holz, Streicher und Blech, wie Offenbach sie für spätere Einakter benutzte, die Partitur nachkomponiert. Der Plot ist auch bemerkenswert. Es geht um den Künstler, der zu unterhalten hat. Wenn er versagt, wird er vom Publikum oder den Kritikern gefressen. Im Kontrabassisten könnte Offenbach also seine eigenen Zukunftsängste formuliert und gleich mal auf die Schippe genommen haben. Auf jeden Fall hat Matthias Kling mit Kontrabass im Arm schwer geschuftet, musste sogar einige Male zu einer Tür hinaus, im Off um die Bühne laufen und zur anderen Tür wieder hinein, machte mal eben einen halben Handstand auf dem Stuhl eines Bratschers, schmetterte sein Auftrittscouplet und stammelte in der Romance, als ihm nix mehr einfiel und er dem dampfenden Kessel hinter den Posaunen gefährlich näher kam. Ganz ausgereift ist dieses Werk nicht. Die Farce bricht nach einem Tanz der Wilden auf Kazoos gespielt – einzig original überliefertes Stücks in dieser Oper – eher unvermittelt ab. Aber das Publikum fühlte sich köstlich amüsiert und applaudierte begeistert. Und dann kamen auch noch die unvermeidlichen Zugaben. Natürlich der Cancan aus „Orpheus in der Unterwelt“, allerdings in einer Konzertouvertürenbearbeitung vom Wiener Carl Binder, der einzelnen Instrumenten aus dem Orchester wunderbare Solopassagen zukommen ließ. Schon die Ouvertüre zu der „Belle Hélène“ im ersten Teil erinnerte an diese Wiener Tradition zu Offenbachs Zeiten. Auch Franz Lehner hat aus den schönsten Themen zur „Belle Hélène“ eine Konzertouvertüre entwickelt. Und das Gürzenich-Orchester ließ wunderbar hören, wie bei Offenbach das Tragische mit dem Ausgelassenen Hand in Hand geht. Dass es dann im Karneval enden musste, ist zum Thema Offenbach in Köln wohl unvermeidbar. Kabarettistin Biggi Wanninger von der Stunksitzung lieferte Hans Styx‘ Couplets über den einstigen Prinzen von Arkadien – ebenfalls aus Offenbachs Orpheus. Jedenfalls war es ein überschäumender Sonntagmorgen, eine Offenbachiade, die einer Offenbachjahr-Eröffnung absolut gerecht geworden ist! Oberbürgermeisterin Henriette Reker hat in ihrer Ansprache dann auch gleich Offenbach zum Erfinder der Operette überhaupt hoch gelobt. Und Ministerpräsident Armin Laschet konnte mit Offenbach, angesichts populistischer Fremdenfeindlichkeit, auf die um so wichtiger gewordene Europa-Achse Deutschland-Frankreich schwören, die gerade durch einen neuen Élysée-Vertrag ausgehandelt wird, und es wird sogar der französische Premierminister höchstpersönlich im Rheinland erwartet. Vergessen wir nicht, ein Franzose ist Chefdirigent in Köln, und ein Franzose hat auch hier am Pult gestanden. Die Wahl des derzeitigen Chefdirigenten aus Lille, Alexandre Bloch, war ein Glücksgriff in jeder Hinsicht. Musikalisch, und auch mit dem nötigen Humor und Witz hat Bloch mitgespielt und dem mitklatschenden Publikum Einsätze gegeben und sie auch – wenn nötig – mal beendet! Zudem hat er in einer Hinsicht auch an Offenbachs Herkunft erinnert. Bloch hatte nämlich nicht nur seine Eltern dabei. Auch sein Großvater saß im Publikum, mit Kippa auf dem Kopf, und hat mitgeklatscht.