Das reinrassige Ei! Braunfels „Die Vögel“ und Traumata der beiden Weltkriege kongenial verschränkt und schlüssig erzählt von Nadja Loschky

Wie aktuell die Dramen beziehungsweise Komödien aus dem antiken Athen sein können, erleben wir immer wieder. Aristophanes‘ Komödie „Die Vögel“ (414 v. Chr.), von Walter Braunfels auf ein selbst verfasstes Libretto 1920 zu einem lyrisch-phantastischen Musikspiel in zwei Aufzügen verwandelt, war bei seiner Uraufführung an der Bayerischen Staatsoper auch ein großer Erfolg. Die anlässlich des 100. Geburtstages des Werks im letzten Jahr am Uraufführungsort München von Frank Castorf besorgte Inszenierung weniger. Geriet sie doch sehr trashig bis lieblos, trotz großartigem Sängeraufgebot und im Orchester gelungener Ausführung. Regisseurin Nadja Loschky zeigt jetzt in Köln, wie brisant und politisch Braunfels‘ „Vögel“ gedeutet werden können und dass eine schlüssige Erzählung die Anspielung auf Hitchcocks „Die Vögel“ (wie bei Castorf) nicht braucht. Dabei wird auch nicht die Poesie und das Märchenhafte dieser Fabel vergessen, in allen Bildern unterstützt von fantasievollen Kostümen der Kostümbildnerin Irina Spreckelmeyer. (Von Sabine Weber)

(10. Dezember 2021, Kölner Oper im Staatenhaus. 2. Vorstellung) Überall feine Anspielungen. Eine Schnabelmaske, wie man sie aus der Comedia dell‘Arte kennt. Krähenfüße auf dem Schuh, Federflügel am Unterarm, ansonsten lässt die Irina Spreckelmeyer ihre Fantasie walten. Es sind natürlich Vögel, um die es geht. Aber wie bei Fabeln sind es doch eher Menschentypen. Ratefreund ist ein Intrigant und Volksverführer, von Bass Joshua Bloom mit ordentlich gewelltem und gegeltem grauen Haar als Lehrer-Führertyp mit Peitsche in Szene gesetzt, der sich auch mal lächerlich macht in Parlandosalven, aber vor allem seine dümmlich hoppelnden Gehilfen wo es nur geht, quält und demütigt. Hier herrscht militärischer Drill. Es beginnt auch auf dem Feld im Schützengraben. Soldaten pirschen sich in einer Kraterlandschaft (Bühne: Ulrich Leitner) heran. Ein Schuss fällt aus dem Hinterhalt, weitere Schüsse, bis die Soldaten erstarrt da liegen. Einer quält sich noch mit dem Bauchschuss. Es ist Hoffegut (Tenor Young Woo Kim mit lyrisch schöner Tongebung, der aber auch aufdrehen kann). In dieser Inszenierung stirbt er noch ein paar Mal und steht wieder auf. Das Gürzenich Orchester, neben dem Bühnenbild in voller Sicht aufgebaut, beginnt unter Gabriel Feltz jedenfalls die Ouvertüre wie aus dem Nichts, als ein sprachlos gewordenes Requiem über nebelverhangenem Schützengraben. Und es dauert, bis Vogelwelt-Allüren das Klangbild aufhübschen. Und auch, bis das Gürzenich-Orchester bei voller Konzentration ist.
Der König der Vögel ist natürlich auch ein Opfer des Ersten Weltkrieges mit Schütteltrauma (Insik Choi). Er wird auf einer Bahre mit Fliegerkappe und verranztem Winterlager-Thermomantel hereingetragen. Seine Gehilfin ist Zaunschlüpfer (Zaunkönig? von Anna Maleuza-Kutny sehr komisch gespielt). Alle Figuren changieren zwischen Soldat, Vogel- und Fantasiegestalt.

Natürlich ist es kein Wolkenkuckucksheim, das im zweiten Teil der Oper auf der mal wieder fantastisch ausgenutzten Panoramabühne im Staatenhaus zu sehen ist. Rieseneier sind in Regalen aufgetürmt oder werden in Kinderbettchen von einem Heer von Krankenschwestern, Ärzten, Hygienebattaillonen und Nonnen bewacht, die angeführt von Ratefreund, jetzt mit schwarzer Krallenprothese noch bedrohlicher, im Stechschritt aufmarschieren. Auf das Trauma des Ersten Weltkrieges folgt ein totalitärer Führerstaat – wie es die Geschichte ja lehrt. Die Vögel sind Ratefreund blind in allem gefolgt. Mit Krallengruß wird salutiert! Das ist schön komisch. Die Zuchtstation von „reinrassigen Eiern“, wie sie vor der Ausrufung eines neuen Vogelstaates und dem Bau einer neuen Stadt ausgegeben wurde, kann nur noch durch göttliche Gewalt ausgemerzt werden. Die es hier auch mit ein paar katholisch kirchenmusikalischen Klängen verbrämt gibt. Prometheus erscheint mit weißer Flagge, kündigt den Untergang an und wird wie ein Jesus für die Menschheit geopfert. Ratefreund entreißt ihm die Leber, über die das Vogelheer sich dann hermacht. Das verhindert das klangliche Gewitter natürlich nicht, das Braunfels lautmalerisch so anlegt, dass es mit den berühmten Gewitterstürmen im Opernmetier locker mithält. Natürlich werden alle Winde aufgeboten. Die Vögel werden zur Räson gebracht und geben in einem demütigen Schlusshymnus klein bei.

Die Nachtigallen bezirzen wie Parsifals Blumenmädchen. Foto: Paul Leclaire

Die Musik ist äußerst farbenreich, vollmundig, wie schon bei der letzten Jeanne d‘Arc-Oper Braunfels in Köln zu erleben war. Es spielt auch, anders als in München im letztes Jahr, das volle Orchester. Es klingt schwelgerisch wie bei Debussys La Mer, nach narkotischem Schreker und hymnischem Strauss, eben voll romantisch. Der Chor, von Regisseurin Nadja Loschky immer wieder in den Bildern neuformiert, hat wichtige Partien und nutzt seine Rolle – in voller Besetzung mal endlich wieder im Bühnenbild – hervorragend aus. Ganz wunderbar gelingt die Nachtigallen-Szene mit einer überragenden Gloria Rehm als Nachtigall, koloraturstark und höhensicher mit wunderbarer Tongebung. Umgeben von sechs weiteren Nachtigallen-Doublen, die mit wallendem Blondhaar und duftig fallenden Mousseline-Gewändern wie Fin-du-siècle-Damen der Reformbewegung von Jacques Dalcroze anmuten und sich im Farn tummeln und auch mal abtauchen und von woanders wieder erscheinen. Ulrich Leitner fährt überdimensionierte Fantasieblumen aus Lamenpenschirmen und Kürbissen von hinten hinein. Nachtigall und Hoffegut durchleben eine mystische Begegnung. Beide waren mal Menschen und ein Paar, bevor die Beziehung monströs grauenvoll gescheitert ist. In dieser Märchennacht bekommen sie – bei herrlichem musikalischem Kitsch, rührendem Bratschensolo, tausend duftigen Stimmen und einer Ekstase in klingender Ferne, wie es im Libretto heißt – eine zweite Chance. Und Nadja Loschky, die in Köln mit einer wunderbaren Rusalka bereits gepunktet hat, nutzt ihre zweite Chance ebenfalls und punktet jetzt mit einer absolut schlüssigen, bei der ernsten Sache auch über humoristische Momente verfügenden Regie. Dieses im Repertoire nicht all zu häufig aufzufindende Werk lohnt in jeder Hinsicht den Besuch.

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