„Moving Picture“ – ein Gerhard Richter Bild malt sich im Film selbst zu live-Musik von Rebecca Saunders

„Moving Picture (946-3)“ liegt eine Idee von Gerhard Richter zugrunde, die er in seinem Buch „Patterns. Divided Mirrored Repeated“ 2011 entwickelt hat. Autorin und Filmemacherin Corinna Belz hat sie nach zehn Jahren Beschäftigung mit Richters Gedanken jetzt filmisch umgesetzt. Die Kölnerin begleitet den öffentlichkeitsscheuen, ebenfalls in Köln ansässigen Maler bereits über Jahrzehnte. „Moving Picture“ ist nach „Das Kölner Domfenster“ (2007), der den World Media Gold Award gewann und nach „Gerhard Richter Painting“ von 2011, mit dem Deutschen Filmpreis in Gold ausgezeichnet, ihr dritter Film über Richter. Belz hat bei der filmischen Umsetzung auch mit Richter zusammengearbeitet. Richter skizziert die mathematischen Prinzipien, die als Möglichkeiten einer filmischen Umsetzung Bildsequenzen erzeugen sollen und schlägt auch eines seiner Bilder (946-3) als filmische Grundlage vor. Aus dem Scan des Bildes entwickelt die Regisseurin das strenge Verfahren von Teilung, Spiegelung und Wiederholung und durch die Zerlegung in Einzelbilder im filmischen Prozess eine verblüffende Vielfalt an Formen und Farben. Die haben wiederum Komponistin Rebecca Saunders zu einer Soundscape inspiriert, zu der Trompeter Marco Blaauw mit experimentellen Klängen live performed. Ursprünglich als Welturaufführung für den Kölner Romanischen Sommer 2020 geplant, hat das multimediale Gesamtkunstwerk am 11. Dezember im Filmforum seine NRW-Premiere gefeiert. (Von Sabine Weber)

(11. Dezember 2021, Filmforum NRW) Ganz in Rot, wobei Hemd und Schuhe im stechenden Rotkontrast zur Hose, betritt Marco Blaauw die Bühne. Setzt sich an die Seite vor die noch schwarze Leinwand, stöpselt sein Instrument oben, unten und von der Seite ein, legt sich das Mobilfunktelefon als Zeitleiste für die Clicks vor die Füße, gibt das Zeichen für den Filmstart, startet seine Zeit, und schon ertönt ein elektronischer Fanfarenton, auf den Blaauw mikrotonal verschoben einsteigt, ihn mit Echo-Effekten umspielt und weitet. Zunächst Töne, dann Linien. Faszinierend überhaupt, wie die Klänge und Linien auch durch Loops und Selbstaufnahmen pulsieren, Blaauw quetscht seine Trompetentöne, dämpft mit Wawa, macht den Ton eng, quirlt ihn mit rollendem r. In Wellen wird Befreiung erlebt. Blaauw öffnet den Bildern permanent einen immer neuen Klangraum. Wieviel improvisiert ist, wieviel von der Komponistin Saunders festgelegt, ist schwer zu sagen.

Was auf der Leinwand passiert ist dagegen äußerst streng formal und symmetrisch. In einer grell bunten Anzahl von Linien – Ausgangspunkt – verschieben sich die Farbstärken, dunkeln sich ein, hellen auf, Schatten verschieben sich, in der Mitte, an einer Seite, dann an zwei Stellen, bis sich aus den Linien Formen bilden, die zunächst in der Mittelachse des Bildes gespiegelt werden, dann weitere Spiegelachsen bekommen, wobei durch fortlaufende Spiegelungserweiterung neuen Figuren in ihren Linienabschnitten an den Spiegelpunkt herauswachsen und tänzerisch zum Rand wandern. Die geometrischen Figuren erinnern an Bodhisattva-Figuren oder indische Gottheiten. Vielleicht sogar an den Hasen von Alice im Wunderland… Es hat etwas rituelles, wie ein Tempeltanz, dem in Klang-Trance fasziniert gefolgt wird, wobei die Trompetenklänge immer mal wieder für ein Aufschrecken sorgen. Der Prozess steigert sich mit immer komplexeren Mustern bis zu dem Punkt, an dem auch in der Musik akustische Weite mit rhythmischen Patterns eine neue Dimension bekommt. Und dann läuft auf der Leinwand alles symmetrisch rückwärts. Bis die Figuren-Muster wieder zur Linie geschrumpft sind. Und dann war die Tinte im Füller leer, um weitere Notizen zu machen. Der Film eh zu Ende.

Die Formel, die die Phasen generiert, wird verraten: 4096/2048/1024/512/256/128/64/32/16/8/4/2. Und 30.000 Filmsequenzen sollen es gewesen sein in den etwas mehr als 30 konzentrierten Filmminuten. Dem Geheimnis des berühmtesten deutschen Malers ist man danach nicht näher gerückt. Er selbst hat auch mal gesagt, dass er immer eine andere Strategie entwickelt habe, um über seinen Schatten zu springen. Und beim Malen könne man sowieso nichts denken, weil Malen eine Form des Denkens sei. Ein Kunstwerk für sich ist mit diesen Film entstanden. Ein abstrakter Kunstfilm mit live-Musik. Fantasia NRW!

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