Jeanne D‘Arc zur Passionszeit – Köln nimmt Walter Braunfels’ Oper wieder auf!

Das hat doch etwas von einer Passion: „Bereite Dich! Unserem Herrn Jesu zu folgen. Auch er wurde gefangen genommen …!“ So die heiligen Margarethe und die heilige Katharina zur schlafenden Johanna. Im Dritten Teil verkünden ihr die himmlische Stimmen großes Leid. Allerdings nicht im Wald von Compiègne unter einer Eiche. Im Kölner Staatenhaus spielen die Szenen der heiligen Johanna auf einer aufgetürmten und ziemlich jetzt-zeitigen Müllhalde. (Von Sabine Weber)

Juliane Banse (Johanna) schwenkt die Fahne auf dem Autowrack! Davor knien John Heuzenroeder (Herzog von Alenςon), Erzengel Michael als Kind (Robert Koch) und Oliver Zwarg (Gilles de Rais, genannt „Blaubart“). An den Aureolen zu erkennen sind Menna Cazel (Hl. Katharina) und rechts Arnheiđur Eiríksdóttir (Hl. Margarete). Vor dem Chor und der Statisterie der Oper Köln neben den Wrack steht Lothar Odinius im Schlafanzug (Karl von Valois, König von Frankreich). Foto: Paul Leclaire
Juliane Banse (Johanna) schwenkt die Fahne auf dem Autowrack! Davor knien John Heuzenroeder (Herzog von Alenςon), Erzengel Michael als Kind (Robert Koch) und Oliver Zwarg (Gilles de Rais, genannt „Blaubart“). An den Aureolen zu erkennen sind Menna Cazel (Hl. Katharina) und rechts Arnheiđur Eiríksdóttir (Hl. Margarete). Vor dem Chor und der Statisterie der Oper Köln neben den Wrack steht Lothar Odinius im Schlafanzug (Karl von Valois, König von Frankreich). Foto: Paul Leclaire

(14. April 2019, Oper Köln im Staatenhaus) Der Kölner Kalvarienberg türmt sich bunt und hoch mit viel Plastik und sonstigem auf. Kloschüssel, Kaffeekocher, Eimer, Reste, Bretter, Wracks, Teile von etwas… Auf unsicheren Tritten treten die Sänger aus einem Loch in der hinteren Wand auf ein kleines Podest. Ein Laufsteg mit einem Autowrack ragt bis ins Publikum hinein. Auf und um die wie eine ephemere Sepolcro-Architektur barocker Passions-Oratorien aufgetürmte Szenerie (Bühne: Stefan Heyne) spielt sich das Leben der heiligen Johanna in Etappen ab. Angefangen bei der Berufung durch Stimmen Heiliger, die sie rufen, dem wunderhaften Triumphzug des französischen Dauphins in eine siegreiche Schlacht gegen die englischen Besatzer vor Orléans und zur anschließenden Krönung in Reims, bis hin zu ihrer Hinrichtung, von Walter Braunfels im innerdeutschen Exil von 1938 bis 1943 nach den originalen Prozessakten zu einer dreistündigen Oper verdichtet. Es ist ein persönliches Anliegen der Kölner Intendantin Birgit Meyer gewesen, diese Oper aus der Spielzeit 2015/16 jetzt noch einmal aufzunehmen. Der Zeitpunkt für diese „Passion“ passt ja in die Passionszeit. Und weil Braunfels das Kölner Musikleben mit geprägt hat – Braunfels ist Gründungsmitglied und dann Direktor der Kölner Musikhochschule gewesen – verdiene er auch wieder einen gebührenden Platz im Kölner Musikleben. Mit dem durch die Nationalsozialisten ausgesprochenen Berufsverbot ist sein Werk nämlich der Vergessenheit anheim gefallen. Trotz seiner Rehabilitierung und Wiedereinsetzung als Direktor durch Konrad Adenauer nach dem Zweiten Weltkrieg sind seine Opern unterbelichtet geblieben, wie Birgit Meyer dem Publikum vor der Aufführung erzählt. Das sind immerhin neun Opern, die auf heutigen Spielplänen kaum zu finden sind. Birgit Meyer nutzt ihr Mikrofon dann auch, um Nachfahren der Familie im Publikum herzlich zu begrüßen. Ganz explizit Enkelin Susanne Bruse und Stephan Braunfels, die sich für die Wiederentdeckung ihres Großvaters seit den 1990ern intensiv einsetzen. Es schlägt also eine besondere Opernstunde im Kölner Staatenhaus. Und von den Tribünen aus hat das Publikum nicht nur vollen Blick aufs Gürzenich-Orchester, rechts und links von der Bühnenarchitektur sitzend, das Stefan Soltez mit vehementem Einsatz leitet. Chor und Solisten rücken dem Publikum über den Laufsteg und durch die Passagen zwischen den Stuhlreihen immer wieder sehr nah. Mit Juliane Banse hat die Hauptrolle auch eine fürs Werk bedeutende Interpretin im Spiel. Banse ist nicht nur 2008 in der letzten Regiearbeit von Christoph Schlingensief in Berlin als heilige Johanna zu erleben gewesen. Sie hat die Rolle schon bei der konzertanten Uraufführung in Stockholm 2001 gesungen. Von der Qualität der Sänger her ist alles erstklassig besetzt. Und dass Erzengel Michael im Römerröckchen und mit Schwert stumm auf der Bühne von Ferdinand von Bothmer als Einspringer da parte interpretiert wird, auch für den ganzen Ablauf kein Nachteil. Bjarni Thor Kristinsson verleiht dem intriganten und misstrauischen Herzog la Trémouille seine tief grundierte Bassstimme, die nicht nur widerständig sondern bisweilen im komischen Parlando Paroli bietet. Und gibt zusammen mit John Heuzenroeder als Herzog von Alençon ein beckmesserisches Duo.

Bjarni Thor Kristinsson und John Heuzenroeder als Herzog la Trémouille und Herzog von Alençon ein komisches Paar. Foto: Paul Leclaire
Bjarni Thor Kristinsson und John Heuzenroeder als Herzog la Trémouille und Herzog von Alençon ein komisches Paar. Foto: Paul Leclaire

Lothar Odinius als Karl von Valois ist ein Pyjamafreak mit Steppdecke als Frierschutz und lamentiert und leidet wie ein tief verletzter Amfortas im Müll. Mit klarer, überaus verständlicher Diktion, schlank und dennoch gut fokussiert gibt er dann bei der Krönung auf dem Müllaltar im

Der König im Krönungsornat! Foto: Paul Leclaire
Der König im Krönungsornat! Foto: Paul Leclaire

himmelblauen Krönungsmantel einen Medienstar, der allen zugewandt die Hände schüttelt. Das Heiligen-Duo mit Katharina und Margarete – Menna Cazel und Arnheiđur Eiríksdóttir – macht sich zwar eklig über die ausgelieferte Johanna im letzten Teil lustig, das aber mit klar geführten hellen Sopranstimmen. Heraus ragt natürlich Oliver Zwarg als düsterer Gilles de Rais. Er ist ein Bewunderer von Johanna, führt und geleitet sie zum König, fällt aber bei ihrem Tod vom Glauben ab und dem Bösen anheim. Er gilt übrigens als mögliche Vorlage für die Blaubart-Figur, die just einen Tag zuvor in der Vertonung von Bela Bartok in der Kölner Philharmonie ihre Grausamkeit konzertant vor dem WDR Sinfonieorchester ausgelebt hat. Die Musik von Braunfels ist dicht und führt konzis in immer neuen orchestralen Klangformationen durchs Geschehen. Holzbläser – die Klarinette ist solistisch sehr präsent – gegen Blechbläser, die bei der Krönung dann noch durch ein weiteres Blechquartett ergänzt werden. Die hohen Streicher haben kleine, teilweise unspielbare gestische Ausbrüche, jedenfalls hat Soltez da hin und wieder Mühen, sie zusammen aufzuscheuchen. Viele altertümlich modale Wendungen fallen auf, Punktierungen wie bei der französischen Ouvertüre oder Marschrhythmen im Stile Kurt Weills. Das alles im doch postromantischen, sehr emotionalen Großen und Ganzen, das auch für rührende Engelsbeschwörung, pathetische Wundermagie immer noch ein Register zu ziehen vermag. Die Dur-Abschlüsse nach vorschriftsmäßigen Quartvorhalten sind dann die Krönung. Die teilweise kitschige Klangkulisse hat wahrscheinlich auch die Regie dazu verleitet, ziemlich viel Heiligen-Brimborium im Müll zu verankern. Elektrifizierte Sternen-Aureole der Heiligen, apotheotische Befeierung der fahnenschwenkenden Johanna, ein riesiger Aufzug des Erzbischofs von Reims – Matthias Hoffmann – durchs Publikum, begleitet von Messdienern – Mädchen- und Knaben des Kölner Domchors durften hier auftreten und die Doxologie in lateinischer Sprache singen! Mit Kniefall und sonstigem, alles sehr katholisch! Ob die rührselig-alltäglichen Passagen, beispielsweise zwischen Vater – Lucas Singer – „mein Kind, ich will Dich wiedersehen!“ und Johanna „verziehen hast Du mir… was macht die Mutter?“ tatsächlich der Prozessakte entstammen oder eine Zutat sind, lässt sich nur vermuten. Juliane Banse durchlebt jedenfalls mit einfach hinreißender Stimme alle Fährnisse, und gibt dieser Johanna wirklich alles, was Braunfels ihr versprochen hat: Kindlichkeit, Jugendlichkeit und Dramatik, den Mut zur Überzeugung, Zweifel und Kampfgeist für die Sache, das Hadern zum Schluss, und Opferungswillen im Finale. Das Autowrack wird zu ihrem etwas kuriosen Gefängnis, aus dem sie sich durch Widerrufung ihrer Widerrufung – sie höre nämlich gar nicht die Stimmen und sei eine Blenderin – Richtung Scheiterhaufen befreit. Ein bisschen Inquisition gibt es schließlich auch noch! Gott sei Dank geht die Kölner Jeanne d‘Arc, la Pucelle, wie die Franzosen sie nennen, nicht in Flammen auf, sondern löst sich im Chor auf. Im großen chorisch-orchestralen Schlussbild, wie ganz zu Anfang von einer Masse wankender zerlumpter Gestalten auf der Flucht dargestellt, die im Schritt auf der Stelle vom Müllhaufen nicht wirklich wegkommt. Großer Applaus für eine große Geschichte und vor allem für großartige Solisten und einen Abend, der uns in Köln den Komponisten Walter Braunfels als einen veritablen Opernkomponisten zurück gebracht hat. Und nicht nur für Kölner Opernfans sollte ein Besuch ein „Muss“ sein!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert


The reCAPTCHA verification period has expired. Please reload the page.