Sommerfestivalzeit! Und nicht nur Bayreuth, Salzburg oder Aix en Provence locken, auch kleine Festivals, wie im zweiten Jahr das Brixen Classics. Und den internationalen Zusatz „Classics“ darf man im südtirolischen Bressanone durchaus mehrfach deuten. Klassische Musik zwischen „A Night at the Opera“ mit Bryn Terfel und Camilla Nylund sowie „Freischütz light“ mit Christopher Ventris, Michael Volle und Gabriela Scherer, beides open air in der Renaissance-Hofburg Brixens une eine musikalisch umrahmte Festmesse im Barockjuwel des Klosters Neustift. Dazu das gesegnete Südtiroler Land mit seinen exzellenten Weinen und einer (nicht nur) 5-Sterne-Hotel-Kultur, auf die andere Regionen zur Recht neidisch sind. (Von Klaus Kalchschmid, Foto: Marko Paunovic)
(11.-12. Juni 2022, Brixen) Die Night at the Opera in der Hofburg unter Leitung von Daniel Geiss beginnt herrlich vielgestaltig, auf hohem Niveau von 70 Musikern aus 24 Ländern, von teils Hochschulstudenten, teils Mitgliedern renommierter Orchester gespielt, mit der Ouvertüre zu Gioachino Rossinis letzter Oper Guillaume Tell, um gleich zu Giuseppe Verdis ebenfalls letzter Oper zu gelangen, dem Falstaff – und damit zu zwei der drei Alpha-Männern des Stücks: hier der feiste alte Titelheld, dort der ebenso zarte wie junge, aber nicht minder zielbewusste Fenton. Der eine hat schon ein Leben und jede Menge „Wine, Women and Song“ hinter sich, hält sich tragischerweise aber immer noch für unwiderstehlich. Der andere ist frischverliebt in seine Nanetta, die ihm dessen Vater freilich verweigert. Also muss eine Intrige her. Terfel stopft sich das Sakko unters Hemd, um einen veritablen Bauch vorzutäuschen und ereifert sich in seinem Monolog aus dem ersten Akt wort- und baritongewaltig über die Ehre. Fenton in Gestalt des feinen, jungen lyrischen Tenors Magnus Dietrich, der an diesem Abend den erstmals verliehenen Brixen Classics Young Artist Award überreicht bekommt, singt sein „Dal labbro il canto“ mit verführerisch biegsam klangvollem Schmelz, einer Tenor-Stimme und einer Ausstrahlung, von der hoffentlich noch viel zu hören sein wird.
Und dann ist da die edle Dame in Gestalt der Finnin Camilla Nylund. Die Sopranistin ist mal nicht nur in Sachen Wagner unterwegs wie derzeit als Isolde in Zürich, in Brixen gibt sie mit Isoldes Liebestod davon einen Eindruck, vom Orchester hervorragend begleitet. Letztes Jahr war sie Eva in Bayreuth und ist dort bald dort Elsa zu erleben. Hier liegt liegt sie stets im Clinch mit dem alten weißen Mann, ob als Puccinis Tosca, später Bess in George Gershwins Porgy and Bess oder herrlich aufgekratzt in Leonard Bernsteins Candide. Grandios wie Terfel (nach dem gewaltigen, gotteslästerlichen Te Deum zum Finale mit Chor des ersten Akts Tosca) und Nylund sich attackieren, bevor sie mit stoischer Haltung wie beinahe bewusstlos erschütternd ihr „Vissi d’arte“ singt. Terfel punktet ganz am Ende noch mit „If I Were a Rich Man“ aus Anatevka, aber leider darf der großartige Magnus Dietrich, immerhin schon Tamino an der Berliner Lindenoper, keine zweite Arie singen!
Der Dreifaltigkeits-Sonntag beginnt frühmorgens mit exquisitem Musik-Erleben innerhalb einer katholischen Festmesse in der Klosterkirche Neustift, die nicht nur ob des exzessiv eingesetzten Weihrauchs geradezu schwindeln macht. Im Zentrum Bach/Gounods kitschiges Ave Maria, hier berückend schön und gar nicht kitschig gesungen vom jungen Bariton Rory Green, einem der Akademisten des Festivals, der auch im Freischütz dabei ist. Nachdem der Priester schon die Gemeinde verabschiedet hat, spielen Mitglieder des Brixen Classics Festival Orchestra (nach Haydn zu Beginn) noch traumhaft schön den langsamen Satz aus Mozarts Klarinetten-Quintett. Zum absoluten Finale dürfen die Besucher im Augustiner Chorherrenstift die ungemein qualitätvoll prächtige Ausmalung durch Matthäus Günther flanierend bestaunen.
Bis 17 Uhr gibt es dann Zeit zur freien Verfügung! Die wird genutzt, um mit der Bergbahn auf die Plose hochzufahren oder doch in einem der beiden Pools zu schwimmen, die „natürlich“ herrlich kaltes Wasser direkt vom Berg enthalten, oder einfach von St. Andrä ins Tal nach Brixen hinunterschauen und im Hintergrund die Berge genießen. Wer noch nie ein Wellness-Hotel besucht hat wie das erst vor einem Monat eröffnete, atmosphärisch höchst angenehme Santré, in dem ästhetisch ansprechend jede Menge heimisches Holz verbaut ist, erlebt dessen Annehmlichkeiten als staunender Neuling.
Der musikalische Spätnachmittag beginnt im Pacherhof Sounding Vineyards mit ein paar Stücken, die Geiger Stanko Madić, Konzertmeister des Münchner Rundfunkorchesters und in dieser Funktion auch beim Brixen Classics Festival tätig, virtuos zu Klavierbegleitungen spielt. Pablo Sarasate, Astor Piazzolla, die Rumänischen Tänze Béla Bartóks und einen feurigen Csárdás gibt er zum Besten, während exzellenter Wein kredenzt wird, der auch kundig erklärt wird. Nach einer kleiner Wanderung spielt bei dem nächsten Weingut dann eine elfköpfige, bestens gelaunte, exzellente Brass Band, bevor zum Abschluss an einer dritten Station ein Quintett aus Geige, Bass, zwei Gitarren und Posaune sich vielsprachig den Weinen – und kleinen Imbissen – anpasst und den Genuss noch einmal steigert.
Am 16. Juni gibt es ein „Chamber Delights“ mit Klavierquintetten von Dvořák und Brahms in der Stiftsbibliothek des Klosters Neustift, tags darauf den „Freischütz“ in einer gekürzten Fassung und am 18. Juni sind zur Klavierbegleitung von Julia Okruashvili auf dem Platz vor der Hofburg unter dem Motto „My Favorite Songs“ Gabriela Scherer, Michael Volle und Magnus Dietrich mit ihren Lieblingsliedern und – Arien zu hören. Infos und Karten hier.