Offenbachs Schöne Helena ist in Hagen äußerst verführerisch!

(Titelbild: Anton Kuzenok, Paris, Angela Davis, Helena. Foto: Björn Hickmann) Zu allererst muss aber das 9-Euro-Ticket erwähnt werden! Nach Corona-bedingtem Ausbleiben des Publikums ist das Theater Hagen in die Bresche geschlagen und hat ein 9-Euro-Ticket für drei Monate und alle Veranstaltungen eingeführt. Über 2300 Tickets sind ab Oktober verkauft worden. Es sei auch schon geäußert worden, dass Vorstellungen so gut gefallen hätten, dass ein Wiederkommen geplant sei, auch zum regulären Preis! Was für ein Erfolg! Offenbachs „Schöne Helena“ – in deutscher Sprache – war natürlich auch sehr gut besucht. Die Stimmung von vornherein in dem sympathischen Theater bestens, und Intendant Francis Hüsers Ansage noch vor dem geschlossenen roten Vorhang, dass nämlich die Hälfte des Chores wegen Krankheitsfällen nur auf der Bühne stehen könne, konnte diesem Abend nichts anhaben! (Von Sabine Weber)

Sandra Maria Germann (Eris im Hintergrund rauchend), Kenneth Mattice (Agamemnon links), Angela Davis (Helena), Richard van Gemert (kniender Menelaos), Insu Hwang (Ajax 1). Foto: Bjönr Hickmann

(29. Oktober 2022, Theater Hagen) Die hehren Helden des trojanischen Krieges, Agamemnon, Achill, Ajax 1 und 2 werden in Offenbachs Antiken-Travestie Schöne Helena genüsslich durch den Kakao gezogen.

Angela Davis (Helena) vor Damenchor. Foto: Björn Hickmann.

Und die Hauptdame, Angela Davis voll im Fokus, positioniert sich zu „Ungerechtigkeiten“, die ihrem Geschlecht in der französischen Gesellschaft Napoleons III. widerfahren. Nur Männer dürfen fremdgehen?

Sandra Maria Germann (Eris), Igor Storozhenko (Kalchas). Foto: Björn Hickmann

Von wegen. Menelaos wird vom obersten Priester Kalchas, Igor Storozhenko, auf Strandurlaub nach Kreta geschickt, damit Helene mit dem schönen Paris, Anton Kuzenok, ein Fisternöllchen haben kann. Dass Venus sie als Spielball benutzt, ist ihr klar. Ihr „Verhängnis“ eben! Aber schlussendlich bezahlt sie gern, denn sie trifft auf einen schönen Mann, der mal nicht langweilig ist und Esprit hat. Und jene Belohnungs-Nacht ist doch nur ein Traum, bestätigen sich beide! In geträumter Einbildung haben sie sich doch nur geküsst! Das wunderbare Liebes-Couplet versetzt Regisseur Johannes Pölzgutter in ein etagiertes Bühnenbild mit gemaltem Wasser.  Auf die einzelnen Etagen stellt Bühnenbildnerin Theresa Steiner jede Menge Pappfiguren der Botticelli-Venus. Von Venus ist ständig die Rede, ohne dass sie mitspielt, also ist sie in dieser Inszenierung als populäres Botticelli-Bild präsent. Die ganze Geschichte steckt im Goldrahmen, bewegt von Wellen-Etagen im Venus-Meer.

Anton Kuzenok (Großaugur der Venus), Chor. Foto: Björn Hickmann

Weil Menelaos aus Kreta zurückreist, ohne seine Dame vorzuwarnen, bekommt er eine Gardinenpredigt. Sein Ruf nach Entschädigung fürs Inflagranti verhallt. Stattdessen segelt der verjagte Paris triumphierend als Venus-Grossaugur von Cythera in der Venus-Muschel  wieder hinein und befiehlt, im Auftrag der Venus, Helena mitnehmen zu dürfen. Jetzt gibt sie Menelaos frei. Ist vom Trojanischen Krieg überhaupt noch die Rede? Im Original endet es mit einem Kriegschor „Wir platzen vor Mut! Wut! Blut!“ usw… Für diese Produktion wurde das Original gekürzt, die Dialoge herrlich aktualisiert. Playmakerin ist Eris, die Göttin der Zwietracht, die alle professionell zum Narren hält und die Strippen zieht. Ihre Gedanken sind einige Male akustisch verfremdet eingeblendet. Dann klingt sie wie eine unheimliche Teufelin!

Die Dialoge bleiben durch ausländische Akzente leider schwer verständlich. Die Übersetzung von Simon Wehrle, weil angepasst an den französischen Sprachrhythmus, ist auch manchmal ein bisschen sperrig. Eris, Sandra Maria German, eben Schauspielerin, hat keine Mühe, und auch nicht Angela Davis , die wirklich eine subtil anzügliche und überzeugende Helena spielt und mit ihrem Mezzo auch stimmlich nichts zu wünschen übrig lässt! Gesungen wird überhaupt vorzüglich, vor allem in den vom bewusst dämlichen Couplet-Charakter abweichenden ernsteren Tönen. Richard van Gemert als Menelaos und Kenneth Mattice als Agamemnon seien noch erwähnt. Und natürlich Anton Kuzenok als Paris, der mit weich geführtem Tenortimbre flirtet. Der ausgedünnte Chor gibt sein Bestes, auch wenn zwei Herren immer sehr streng schauen. Die Damen machen das wett, in herrlich stilvollen Kostümen der 1950er Jahre (Bühnenbildnerin Susana Mendoz). Alles ist munter und komisch, zwei Girlies oder Klim-Bim-Show-mäßige Damen sorgen noch für einigen Klaumauk, ist stets unterhaltsam und spielt sich herrlich ab. Es wird im Publikum geschmunzelt und auch mal kurz aufgelacht. Das Hagener Orchester musiziert in den vielen kammermusikalischen anspruchsvollen Momenten bis hin zu solistischen Einlagen unter Dirigent Taepyeong Kwak auf dem Punkt. Vielleicht gibt es etwas viel hoch-und-runter-Choreographie, mehr Tiefgang in Richtung damaliger Gesellschaftskritik hätte dem Ganzen auch noch gut getan. Männer sind ja nicht nur doof, sondern hätten in ihrer Hilflosigkeit vielleicht auch noch differenzierte gesellschaftliche Botschaften transportieren können. Dennoch ein großartiger Abend, der die Hagener begeistert hat. Dieses Publikum wird sicherlich wiederkommen!

Weitere Vorstellungen 13.11. 18 Uhr; 27.11. 15 Uhr, 7.12. 19.30 Uhr, 23.12. 19.30 Uhr. Weitere Vorstellungen

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