75 Jahre WDR Sinfonieorchester und WDR Rundfunkchor! In der Kölner Philharmonie wird gefeiert!

Mehrmals an diesem Festkonzert-Abend wird daran erinnert, dass es ein Zeichen der Hoffnung war, in den Trümmern von Köln ein Rundfunkorchester, noch ohne Sendesaal, wieder spielen zu lassen. Die Trennung von WDR und NDR erfolgt erst 1956, das Kölner Rundfunksinfonieorchester spielt als Fraktion des NWDR-Orchesters aber schon seit 1947 auf. In Kinos, Zirkushallen, Gemeindesälen oder der Festhalle in Viersen, die den Krieg überstanden hat. 1951 dann im eigenen Sendesaal. 75 Jahre nach dem ersten Konzert – heute- in der Kölner Philharmonie unter seinem achten Chefdirigenten Cristian Măcelaru, der zur Veredelung des Abends – zuvor im Plenarsaal der Bezirksregierung noch mit dem Rumänischen Kulturverdienstorden geehrt wird. (Von Sabine Weber)

(28. Oktober 2022, Kölner Philharmonie) WDR-Intendant Tom Buhrow begrüßt in der ausverkauften Kölner Philharmonie das Publikum, hält eine knackig-wohlformulierte Einführung in die Orchesterhistorie „damals ein Zeichen der Hoffnung!“ und bekräftigt Kulturbedürfnis und -notwendigkeit gerade in heutigen Tagen – „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein!“ Den WDR-Sinfonieorchestermusikern garantiert er also coram publico die Zukunft. Den WDR-Rundfunkchor, er feiert laut Programmheft auch 75 Jahre,  erwähnt er nicht. Das kann alles und nichts bedeuten. In Carl Orffs Carmina burana nach der Pause übernehmen die WDR-Rundfunksänger jedenfalls auch sichtbar eine Hauptrolle in den Logenschiffchen über der Philharmoniebühne.

NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst ist einer der höchsten Politgäste des Abends und richtet ebenfalls kurze Worte an die Zuhörer, darunter auch Landesparlamentarier, und natürlich Glückwünsche an die Musiker. Die sich dann in erstaunlich kurze, dennoch mit heftig aufschreienden, dann ins Nachdenkliche abkippende Klangflächen von Zosha di Castri stürzen. Pentimento heißt die Auftragskomposition, in der die Kanadierin (*1985) den Findungsprozess zum Thema macht. Die wechselnden Klangperspektiven bleiben auch irgendwie unverbunden nebeneinander stehen, wie hingeworfen, bis es plötzlich verklingt.

Großartig gewaltig ist Witold Lutosławskis Konzert für Orchester von 1954 entwickelt, das den einzelnen Musikern immer wieder bravouröse solistische Einsätze auch im Miteinander abverlangt. Piccoloflöte und Xylophon sind ein Ereignis oder der Passacaglia-Bass der Kontrabässe im letzten Satz! Fast beängstigend ist die Intensität an einigen Stellen – selbst, wenn sich die Musik erlaubt, mit folkloristischen Momenten zu spielen. Dann bringt die Querflöte ein immer wiederkehrendes Motiv an. Der Blechchoral mit vier Trompeten und Posaunen, nebst Tuba, haut einen im Finale fast um. Dabei war der in Warschau geborene Lutosławski ein zurückhaltender Mensch, der sein Privatleben unter Verschluss gehalten und sich in Polen nie aus Erfolgsgründen positioniert  oder politisch hat vereinnahmen lassen. Dieses Konzert für Orchester lässt im ersten Satz eine Stelle hören, die ausgerechnet das politisch ausgerichtete ZDF-Magazin als Vorspannmusik benutzt hat, freilich ohne den Komponisten je um Erlaubnis zu fragen… In Deutschland hat Lutosławski (anders als Krzyszytof Penderecki) nie wirklich Fuß gefasst, vor allem, weil er keinen Kontakt zu den Kaderschmieden in Donaueschingen oder Darmstadt gesucht hat. Um so lobenswerter, dessen Konzert, in dem alle Musiker Solisten sind, nicht zuletzt der Dirigent, der alle im Griff haben muss, in diesem Festkonzert hören zu lassen.

Carl Orffs Carmina burana nach der Pause reißt natürlich alle mit. Das archaische Pathos und Dunkeldräuende der Fortuna und ihrem Schicksalsrad in Einleitung und Schlusssatz, die durchgeknallten Texte in mittelalterlichem Latein oder Kauderwelch von einem Klosterbruder in Benediktbeuren gesammelt und hier in irrwitzigem Tempo oft im chorischen Unisono rezitiert oder von den drei Solisten vorgetragen. Der WDR-Rundfunkchor präsentiert sie mit Verve und Rhythmus, orchestriert von Salven und Attacken der WDR-Sinfonieorchestermusiker, die auch mit Tänzen aufwarten. Tenorsolist Wolfgang Ablinger-Sperrhacke erscheint im Chortutti oben, stellt sich vorn an die Brüstung und gibt einen sterbenden Schwan. Klagt, weil er in der Pfanne gebraten wird und Gebiss und Zähnen entgegensieht. Solistin Sarah Aristidou, vor kurzem mit dem Belmont-Preis für zeitgenössische Musik geehrt, huscht barfuss neben den Dirigenten und lässt sich kultisch minnen und verzaubern, ein hinreißender Moment. Mit einem dreigestrichen c – „Dulcissime, ah!“ betritt sie dann das Brautzimmer, das ihr Bariton Markus Werba gesanglich bereitet hat, der auf der anderen Seite des Dirigenten von Anfang an auf der Bühne steht. Er absolviert den größten Solistenpart des Abends, schlüpft in verschiedene Rollen und gibt auch mal kurz den Abt, der Rat mit Säufern hält.
Cristian Măcelaru ist bei den Sängern, bei den Musikern und gestaltet ein großartiges Festkonzert, das zu Recht mit tosendem Applaus quittiert wird. Besser können Glückwünsche doch nicht formuliert werden…

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