Neuer Counter-Star – Jakub Józef Orlinski

(Foto: Jiyang Chen) Klassikfavori startet ins Neue Jahr mit einer Entdekkung von Musikjournalist und Kritiker Klaus Kalchschmid. Er beobachtet die Countertenorszene schon seit Jahren und hat sich aktuell von Jakub Józef Orlinskis Charme und seinem fulminant musikalischen Singen bezirzen lassen. Und es ist dem Publikum offenkundig auch so ergangen. Beispielsweise beim ausverkauften Liederabend in der Frankfurter Oper, wo Orlinski im letzten Jahr auch als Titelheld von Händels „Rinaldo“ seine professionellen Breakdance-Fähigkeiten unter Beweis gestellt hat, oder – neben Andreas Scholl – in „Rodelinda“. Das Kassenpersonal der Zürcher Oper, an der er gerade als Cyrus in der szenischen Version von Händels „Belshazzar“ Furore gemacht hat, nennt ihn nur noch „Schatz“. Sogar die Bildzeitung schwärmt: „Er könnte Student sein. Model. Oder Fitnesstrainer. Denkt man aber nur, bis der attraktive Kerl den Mund aufmacht…“ (von Klaus Kalchschmid)
Wer den 28-jährigen Countertenor aus Polen noch nicht live erleben konnte hat Gelegenheit im deutschsprachigen Raum bei den Händelfestspiele Karlsruhe. Dort übernimmt er im Februar 2020 die Titelpartie in „Tolomeo“.


Wer nicht warten will, hat die Gelegenheit, seiner betörenden Stimme auf zwei Solo-CDs zu lauschen. Aber Vorsicht, es herrscht erhöhte Suchtgefahr bereits nach einmaligem Hören! Nach einer CD an der Seite von Natalia Kawałek mit Duetten und vier Arien von Händel von 2016 ist vor einem Jahr „Anima Sacra“ mit Geistlicher Musik auf Latein aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts erschienen und gerade „Facce d’Amore“ mit italienischen Opernarien des 17. Jahrhunderts. Jeweils spielt dabei das ebenso elegante wie herrlich „sprechende“ kleine Originalklang-Ensemble „Il Pomo d’Oro“ unter der inspirierenden, ja elektrisierenden Leitung von Maxim Emelyanychev. Natürlich gibt es beide Platten auch als Vinyl!
Zahlreiche junge Countertenöre haben im letzten Jahrzehnt die Bühnen und Konzertsäle Europas gestürmt, in vielen Gesamteinspielungen barocker oder zeitgenössischer Opern mitgewirkt und zahlreiche Solo-CDs veröffentlicht. Das beginnt mit Andreas Scholl, heute 52 und dem ein Jahr jüngeren und nach wie vor auf hohem Niveau aktiven Bejun Mehta sowie David Daniels (53). Es folgten die zehn Jahre jüngeren Max Emanuel Cencic und Xavier Sabata. In letzter Zeit machte eine fast schon neue Generation Furore, darunter der seit 15 Jahren an der Weltspitze singende, heute 41-jährige Franzose Philippe Jaroussky, der Brite Iestyn Davies (40), Franco Fagioli und der Norweger David Hansen (beide 38), Valer Sabadus (33) und seit neuestem auch der 31-jährige Koreaner Kangmin Justin Kim, der Cherubino und Idamante ebenso an großen Häusern singt, wie er einen sensationellen Nerone in Monteverdis „Poppea“ an der Berliner Lindenoper verkörperte. Und dann ist da noch ein Sopranist wie der 25-jährige Venezulaner Samuel Marino, der mit der fulminant gesungenen größten Partie in Glucks „Antigono“ im Markgräflichen Opernhaus in Bayreuth verblüffte.
Unter all‘ diesen hervorragenden Countern der neueren Generation nimmt Orlinski schon jetzt einen hohen Rang ein, besitzt er doch den Charme und ein ähnlich besonderes, ebenso weiches wie klangvolles Timbre wie Jaroussky, mit dem er zusammen im Luigi-Rossi-Album mit L’Arpeggiata und Christina Pluhar zu hören ist. Und doch ist er in jeder Hinsicht ein ganz anderer Typ. Er lässt sich sehr sexy vermarkten, ist auf Youtube mehrfach präsent und hat weniger den hellen Thrill der Stimme Jarousskys, sondern verfügt nicht nur über eine betörende hohe Mittellage, sondern auch dank ausgereifter Beimischung der Bruststimme über eine sehr männliche Tiefe. Das alles kann man auf den beiden Solo-CDs hören, wobei das ephebisch Jünglingshafte seiner Erscheinung vor allem in den Arien von heute so wenig bekannten Komponisten wie Nicola Fago, Domenec Terradellas, Francesco Feo, Gaetano Maria Schiassi, Francesco Durante, Domenico Sarro, aber auch bei Zelenka oder Hasse hörbar wird. Die sinnliche, manchmal auch freche und virtuose Komponente seines Charakters und Singens wiederum wird dem Radius der Opernarien wunderbar gerecht.
So beginnt „Facce d’Amore“ mit dem Endimione aus Francesco Cavallis „La Calisto“, um mit „Infelice mia costanza“ von Giovanni Bononcini aus „La costanza non gradita nel doppio amore d’Aminta“ einen schwebenden Höhepunkt zu erreichen, während die Arie des Nerone aus Giuseppe Maria Orlandinis den ganzen weiten Ambitus der Stimme Orlinskis beansprucht. Natürlich sind auch die Ausschnitte aus Händel-Opern wie Orlandos große Wahnsinnsszene oder Arien aus „Agrippina“, „Amadigi di Gaula“ und „Mucius Scaevola“ Höhepunkte und bestechend gesungen und sie fügen sich passgenau in diese CD über die Liebe in all ihren Facetten. Faszinierend jedoch sind die Entdeckungen von Komponisten wie Giovanni Antonio Boretti (1638-1672) oder Luca Antonio Predieri (1688-1767), die hier in Ersteinspielungen zu erleben sind.
In der 2018 aufgenommene CD „Anima Sacra“ scheint Jakub Józef Orlinskis Mezzosopran manchmal engelshaft überirdisch zu schweben, vor allem in der Höhe oder im ergreifend menschlichen, zehnminütigen „S’una sol lagrima di pentimento“ Zelenkas („Wenn jedes reuevolle Herz mir nur eine Träne schenken wollte“) aus der Perspektive Jesu. Der junge Pole beweist in Arien Aarons, Johannes‘ oder Petrus‘ (in Hasses wildem „Mea tormenta, properate!“ mit wunderbar zurückgenommenen Mittelteil: „Jesu care, voca me“) eine großartige Beweglichkeit in den Koloraturen und stupende Stilsicherheit in Phrasierung und Ausdruck. So etwa in der kontrastreichen siebenteiligen Motette „Confitebor tibi, Domine“ von Nicola Fago, kulminierend in einem ekstatischen „Amen“ oder bei dessen „Tam non splendet sol creatus“. Das ist eine feine, kleine, in ein „Halleluja“ mündende Weihnachts-Motette.

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