„Sörsi goes Las Vegas!“ Bei den internationalen Händelfestspielen in Karlsruhe werfen sich die Countertenöre Franco Fagioli und Max Emanuel Cencic für die Derniere von Händels „Serse“ noch einmal so richtig ins Zeug!

Serse als Glamourstar. Foto: Falk von Traubenberg
Serse als Glamourstar. Foto: Falk von Traubenberg

Auch die Derniere im Badischen Staatstheater ist wieder restlos ausverkauft! Franco Fagioli ist bei den internationalen Händelfestspielen ja längst der Publikumsliebling und zählt nach seiner aktuellen Xerxes-Aufnahme diese Rolle zu seinen Majors! Aber das sollte jede und jeder eigentlich auf der Bühne erleben! Wie Fagioli mit Elvis-Perücke samt Koteletten und im Glitzeranzug die Rolle des ausgeflippten Stars auskostet. Und dabei mit bis zur Hypoxie durchgehaltenen Tönen, brillanten Kehltrillern und Koloraturen eine ausgeflippte Gesangsperformance abzieht. Kastraten waren ja auch die Glamour-Stars in Händels Opern! Max Emanuel Cencic steckt mit Karohose, Schnäuzer und Tropfenbrille in der „Loser“-Rolle von Serses zurückgesetztem Bruder Arsamene. Er darf zum großen Teil schön leiden, holt aber einmal zu der vielleicht virtuosesten Zornesarie im ganzen Stück aus. (Von Sabine Weber)

Yang Xu (Elviro), Max Emanuel Cencic (Arsamene), Franco Fagioli (Serse). Foto: Falk von Traubenberg
Yang Xu (Elviro), Max Emanuel Cencic (Arsamene), Franco Fagioli (Serse). Foto: Falk von Traubenberg

(26. Februar 2019, Badisches Staatstheater) Das ist immer die Frage! Was aus dem ersten Bild machen, wenn Serse Händels berühmte Schmacht-Arie anstimmt, aber eine Platane anhimmelt! Auf deutschen Bühnen hat der persische Großkönig schon das Bein um den Stamm geschlungen, beziehungsweise wie ein Hund gehoben! Von diesem Moment aus interpretiert, erklärt sich sofort, dass Serse ein komischer Charakter sein muss. Von der Musik her liefert Händel zwar ein Drama per musica – obwohl mit deutlich weniger Da-capo-Arien als üblich. Von der Handlung aus betrachtet muss das eine Komödie sein. Die Handlung ist ja auch denkbar einfach: zwei Brüder lieben dieselbe Frau, zwei Schwestern lieben denselben Mann. Und immer so, dass die Liebe doppelt trifft und einen auslässt. Regisseur Stefan Herheim hat Serse 2013 für Düsseldorf bereits als Komödienstadl mit Berliner Schnauze inszeniert. (Siehe Artikel auf Klassikinfo) Regisseur Cencic definiert Serse als durchgeknallten Glamour-Star, der mit Allüren und Szenenmätzchen seine Fans unterhält. Also sitzt er in seiner Show am Flügel, wenn er „Ombra mai fu!“ anstimmt und spielt dazu live eine dezente Klavierbegleitung. Das stößt natürlich den Barock-Hardlinern schwer auf, die nach der Vorstellung schimpfen. Aber es passt ins Konzept. Denn Serse ist in dieser Inszenierung der Wiedergänger von Show-Pianist Liberace. Der hat sich in den 1960ern in schrillen Las-Vegas-Shows mit Pelzkragen und Riesenschleppe inszeniert. Fagioli wirft also leicht tuntig mit einem federbekragten Umhang um sich wie Ludwig der XIV., posiert im Blitzlicht oder lässt sich in der Zentrale seines Plattenkonzerns auf die Wand geworfene Tabellen über hochschnellende Verkaufszahlen vorführen. „Händel on the piano“ – eine Millionen; „Händel & Crime“ 3 – Millionen… Die Wände sind geziert mit goldenen Schallplatten-Trophäen. Auf die Story, die sich Cencic da ausgedacht hat, und die sich auch in den flott aufgelockerten Übertiteln widerspiegelt, muss man erst einmal kommen. Es beginnt mit einer Gala-Show in Las Vegas, führt in eine kalifornische Luxus-Villa mit

Franco Fagioli (Serse), Händel-Festspielchor und Statisterie des Staatstheaters Karslruhe
Franco Fagioli (Serse), Händel-Festspielchor und Statisterie des Staatstheaters Karslruhe

Swimmingpool unter Palmen, taucht ein ins Nachtleben und die Sexmeile, oder spielt sich in einem typisch US-amerikanischen Schnellimbiss ab. Bühnenbilder Rifail Ajdarpasic lässt Las-Vegas-Kulissen

Lauren Snouffer (Romilda) und Franco Fagioli (Serse) im Motel über der Sexmeile. Foto: Falk von Traubenberg
Lauren Snouffer (Romilda) und Franco Fagioli (Serse) im Motel über der Sexmeile. Foto: Falk von Traubenberg

von oben herab oder in virtuosem Wechsel rotieren. Genauso rasant wechseln auch die Kostüme, die Sarah Rohlke und Wicke Naujochs geschneidert haben. Rein in die Badehose und wieder in den glitzernden Glamour-Look. Miniröcke, Schlaghosen, auf Hüfte geschnittene Lederjacken, spießiger Karopullover und Goldkettchen auf der Brust. Die 1970er grüßen zum herzhaften Abwinken! Die Gruppenbilder mit Arie sind mit ungeheurem Drive ineinander verzahnt! Wenn das berühmte Rampensingen kommt, greift schon einmal ein Sänger zum Telefon oder es spielt sich die Szenerie drumherum wie im prallen Leben ab. Natürlich knutschen in der Sexmeile hauptsächlich muskulöse mit ephebischen Jungs. Die Highheel-Stiefel-Girls stehen Kaugummi kauend daneben. Aber alles passt wie die Faust aufs Auge, will sagen: geht auf! Denn in diesem Panoptikum an heftig wechselnden und auf den Moment hin konzipierten musikalischen Ausbrüchen geht es wie im Glücksspiel rauf und runter! Es scheint, dass Georg Friedrich Händel in seiner drittletzten Oper in London alle Register ziehen und ganz besondere musikalischen Farben entwickeln wollte. Und bei den Da-Capo-Arien – zumeist Zornesausbrüchen – wird das Lasso geworfen. Cencic knallt bei seinem Zornesausbruch in der Höhe rum, dass die Partygesellschaft in Deckung geht. Fagioli trillert, als würde er gurgeln, und klimpert dabei mit den Augenbrauen. Lauren Shouffer als Romilda, beziehungsweise als Barbara Streisand-Verschnitt, ist das perfekt gecastete Sternchen der Zukunft. Sie will sich im Showbiz hocharbeiten und schmuggelt in ihre wunderbar klare und bewegliche Stimme mal eben etwas Scat-Gesang in die Kadenz. Der Schwester, einer Ulknudel mit Riesenlutscher, verleiht Katherine Manley mit grotesk ungelenken Bewegungen Charakter und hat erstaunlich viel zu singen. Die komödiantische Herangehensweise tut der Musik keinen Abbruch. Die deutschen Händel-Solisten unter George Petrou liefern auch die nötigen PS immer passgenau aus dem Graben. In feinen Abstufungen und auch mal mit Blockflöten und Solovioline, vor allem viel Farbigkeit im Continuo mit Cembalo, Chitarrone, Violoncello und Violonen. Am Ende kommt dann noch ein bisschen Crime. Nachdem Revolver gezückt und abgefeuert wurden, muss Serse seine verstoßene Geliebte Armastre – mit wunderbarem Mezzotimbre: Ariane Lucas – heiraten. Sie ist Serse als Garderobiere, Putze oder Praktikant in der Plattenfirma immer auf der Spur geblieben. Nicht vergessen werden darf Elviro, die Rolle des Dieners, den Händel im italienischen Libretto im Dialekt sprechen lässt. Hier übersetzt im Stil von „Willkommen bei den Schtis!“

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