La Grande-Duchesse de Gérolstein von Jacques Offenbach erlebt an der Oper Köln eine opulente, aber strapazierende Bühnenschau

Große Erfolge hat Offenbach mit „La Belle Hélène“ in Frankreich zu verzeichnen oder mit „Orphée aux enfers“, das gerade seine amerikanische Erstaufführung in New York erlebt, mit Kriegsgott Mars, der eine preußische Pickelhaube trägt. Da ziehen außenpolitische Wolken auf. Bad Ems, wo Offenbach zur Kur weilt, wird von preußischen Truppen besetzt. Offenbach muss den Kurort überstürzt verlassen. Dann wird bekannt, dass die französische Regierung unter Napoleon III. sich le Grand-Duché Luxembourg einverleiben will. Preußen und die deutsche Öffentlichkeit reagieren empört. Es droht ein Krieg, der auf diplomatischen Wege gerade noch verhindert werden kann. Und Offenbach entwirft sein Grande-Duchèsse de Gérolstein – das Eifler Städtchen Gerolstein liegt von Luxemburg keine 50 Kilometer Luftlinie entfernt. Und er parodiert dümmliches Säbelrasseln, und nimmt Vernarrtheit in schnittige Soldatenuniformen, sowie militärischen Drill aufs Korn. Kriegsmärsche mit Militärtrommeln und Piccoloflöte garnieren satirisch gemeint die musikalische Farbe. (Von Sabine Weber)

Emily Hendrichs, Dino Lüthy als Wanda und Fritz. Foto: Bernd Uhlig
Emily Hindrichs, Dino Lüthy als Wanda und Fritz. Foto: Bernd Uhlig

(9. Juni 2019, Oper Köln im Staatenhaus) Das ist der Hintergrund von Offenbachs Grande-Duchèsse de Gérolstein, die 1867 im Théâtre des Variétés uraufgeführt, Offenbach den zeitlebend größten Bühnenerfolg beschert. Die Opéra bouffe spielt freilich in einem fiktiven Großherzogtum. Darüber informiert die aufschlussreiche Monografie Jacques Offenbach, ein europäisches Portrait von Ralf-Oliver Schwarz, die pünktlich zum Offenbachjahr im Böhlau-Verlag erschienen ist. Die Neuinszenierung in Köln, dem 200. Geburtstag des Komponisten gewidmet, nimmt das „fiktiv“ als Ideenbeschleuniger und verlegt die Handlung in den Hambacher Forst. Das Regieteam unter Regisseur Renaud Doucet und Bühnen- und Kostümbildner André Barbe formiert den Chor als eine Armee aus Hippies, Wiesenschraten und Sponti-Gestalten mit Henkelbecher in der Hand, die zu Marschrhythmen in einem Wohnwagen und Bretterverschlag-Dorf voller Protestschilder wie „Hambi bleibt!“ hüpfen und, wenn von Artillerie und Kanonen die Rede ist, Zahnbürsten oder Handtücher in der Hand halten und mit buntbemalten Stöcken salutieren. Klima-Aktivisten sind aber per se keine Artillerie oder bringen Kanonen in Stellung, die gleich im ersten Chor enthusiastisch im Marschrhythmus mit „Piff-Paff-Puff“ und „ratatatam“ knallen. Und schon gar nicht schrecken Gärtner- und Blumenkinder – die hier assoziiert werden sollen – bei Kommandos mit Trillerpfeife zusammen, weil sie eben kein gedrilltes Heer sind. Den Erklärungs-Clou soll dann General Boum liefern, als ins Camp infiltrierter Spion eines Konzerns der Gerolstein, der die Waldbesetzer und auch den Konzern im eigenen Sinne benutzen will. Im gelben Trainingsanzug mit Sonnenblumen auf dem Kopf erteilt also der französische Vincent le Texier als Boum herrisch lächerlich per Trillerpfeife Befehle. Und trifft sich heimlich mit dem großherzöglichen Erzieher Puck, Miljenko Turk im weißblauen Streifenanzug, und Prinz Paul, hier als Erbe des Backimperiums Merzenich in Brotfarbenen Zopfpluderhosen wie ein wandelndes Brötchen dargestellt, das muss Tenor John Heuzenroeder aushalten. Die drei konspirieren. Denn die Gerolstein hat sich in den jungen Soldaten Fritz verguckt, den sie mal eben so zum General befördert, eine Anspielung auf die Willkür von Titel und Rang, was die drei erfolgreich durchkreuzen, sodass die Gerolstein schlussendlich wie vorgesehen Prinz Paul ehelicht.
Die Geschichte mit Musik erzählt sich eigentlich von selbst. Neben der Militärparodie geht es um zwischenmenschlich ausgefochtene gesellschaftliche Verwerfungen. Doch wenn alles auf der Bühne nur lächerlich gemacht wird, funktioniert der Witz nicht mehr. Das trifft vor allem für die Gerolstein zu, die mit Jennifer Larmore großartig besetzt ist. Aber ihr großes Couplet „J‘aime le militaire…“ wirkt wie ein Widerspruch. Eine Grande Dame mit enormer Bühnenpräsenz und Erfahrung lässt man nicht als liebestolle Alcina mit Turban auf dem Kopf in grellrot-orange vor ihrer Lady-Gaga-Entourage über Tische und Bänke springen! Oder stopft sie in ein Bischofsrot mit Blätterauswurf. Im letzten Akt steckt sie dann sogar in der Hochzeitstracht einer orthodoxen Braut. Wie man eine Grande Dame gelungen ins Bild setzt, ist derzeit in Düsseldorf mit Hanna Schwarz als Pique Dame oder in Berlin mit Doris Soffel als autoritärer Hotelbesitzerin in Detlev Glanerts Oceane wunderbar zu erleben! Die Grande-Duchesse in Köln bleibt erstaunlich blass. Dafür wird das Publikum umso mehr durchgerüttelt. Es geht aus der Welt Peter Lustigs hinein in die Belle Etage mit Riesensofa neben einem riesigen Goldfrosch in Jeff-Koons-Manier und Jacques-Offenbach-Konterfei im Bild. Im dritten Akt, für jeden muss ja aufwendig und ohne Schnürboden umgebaut werden, steht da ein Rosenkavalierbett. Sponti-Theater, Revue, dann wieder Farce oder Märchenkino. Eine Balletttruppe switcht vom Kniebeugen-Froschhüpfballett im ersten zum Geisterballett mit einer Spitzenballerina im dritten Akt. Renaud Doucet kommt aus dem Tanz. Der Höhepunkt an Absurdität ist dann ein choreografiertes Galopprennen mit aufblasbaren Plastikpferden, die die Tänzer als Jockeys vor dem Bauch tragen. So viel zu sinnhaften Anspielungen auf das Militär, das damals ja tatsächlich zu Pferd gesessen hat. Dass die politischen Ansprüche in keiner Weise eingelöst werden, fragt man sich irgendwann nicht mehr. Der Hambacher Forst ist bereits im zweiten Akt passé. Es singt die Sprudel-Garde, mit Flasche und Luftbläschen auf dem Kittel. In der Pause hält eine Protestgruppe Tafeln mit Pegida-Sprüchen hoch: „Konsequent abschieben!“ steht darauf. Später stehen dann auch die Gelbwesten auf der Bühne. Von überall her hat man sich den Protest genommen und mitgeschüttelt. Aber wenn der dritte Akt mit einer Grande leçon du passée einmal herrlich schauerlich beginnt und sogar mit marche funèbre die Geister der Ahnen im Stile der Grande Opera beschworen werden, muss man sie dann auch noch wie aus der Augsburger Puppenkiste gezogen vorführen?

Gesungen wird vorzüglich, und jeder legt sich ins Zeug. Dino Lüthy, mit Bart, langen Haaren und in Jogginghose, ist als begehrenswerter Fritz glaubhaft. Ein herrliches Liebesduett darf er mit Wanda, Emily Hindrichs, singen. Die vier Leoparden-Ladies liefern zu Beginn des zweiten Aktes ein hinreißendes Quartett. Auch das Konspirationsterzett mit Puck, Boum und Paul gelingt köstlich. Ensembles konnte Offenbach hervorragend komponieren. Der Chor wartet mit Trinkaufforderungen und Feierattitüde auf, sorgt also für Stimmung.

Was für den Gesang gilt, gilt auch für das Gürzenich-Orchester und François-Xavier Roth: sehr präzise spielt es unter Roths ungeheuer konzentriertem Dirigat – dies ist sein erster „Offenbach“, den er erklärtermaßen sehr verehrt. Der in das Bühnenbild integrierte, künstlich geschaffene Orchestergraben – den baulichen Gegebenheiten geschuldet nicht so tief wie üblich – erlaubt den Einblick in die Erschaffung der Musik. Da ist die Hingabe für Offenbach geradezu körperlich spürbar.  Gleichzeitig gelingt es dem Orchester und Roth, den Schwung der Musik dem Publikum zu vermitteln.

Man wollte für den lange Zeit vernachlässigten Jubilar ja auch keine Mühen scheuen, das ist an diesem Abend zu spüren, aber man ist doch – was die Inszenierung angeht – übers Ziel hinaus geschossen. Hat Köln etwa kein Glück mit Offenbach? Es fällt einem sofort der verunglückte Orpheus in der Unterwelt von 2005 ein. Das will man doch nicht glauben, eher, dass Opéra bouffe, beziehungsweise Operette schwer zu inszenieren sind. Nach diesem Abend scheint es so.

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