(Foto: Nikolaj Lund)
Grosse Oper – Viel Theater! Heißt eine aktuelle Ausstellung des Frankfurter Architekturmuseums, die innovative Neuarchitektur und Renovierungen bestehender Opern- und Konzerthäuser thematisiert. Möglichkeiten und Probleme solcher Unterfangen sollen aus architektonischer und planerischer Sicht dargestellt werden. Der neue Dresdner Konzertsaal ist ein besonderes Beispiel. Er ist in den zu DDR Zeiten errichteten Dresdner Kulturpalast hineingebaut worden. Im April 2017 eingeweiht kann jetzt schon konstatiert werden: Das ist eine Erfolgsgeschichte. Deshalb stellen wir die Dresdner Philharmonie vor. Intendantin Frauke Roth führt durch einen der modernsten und schönsten Konzertsäle. (Mit Sabine Weber)
Das sind schon irre Dimensionen, wenn man den neuen Konzertsaal über die Seitenfoyers im Parkettbereich betritt! Im „neuen“ Konzertsaal strahlen die weißen Flächen, die einzelnen Parzellen im Parkett und den beiden Rängen. Sie begrenzen weinrot bezogene Stühle auf hölzernem Boden, rund um das Podium wie Waben angeordnet. Der Saal ist schmaler und höher gemacht worden, um die Akustik zu verbessern. Der alte Saal ist sehr viel breiter und flacher gewesen und hatte nur einen Rang. Und vor allem sei der Kulturpalast als ein Wahrzeichen für Kulturarchitektur zu DDR-Zeiten den Bürgern erhalten worden. Die Außenwände des Foyers sind sogar noch die Außenwände des alten Saals. Das und noch mehr erzählt mir Frauke Roth bei einem Rundgang, der mich staunen lässt darüber, wie ein absolut neuer Konzertsaal, an die modernen Bedingungen des Konzertbetriebs angepasst, sich in einen „alten“ Rahmen fügt. Seit 2015 ist Frauke Roth Intendantin der Dresdener Philharmonie im Kulturpalast. Und die gebürtige Hanseatin ist stolz auf ihre neue Heimat. In ihrem Büro hört sie sogar die Kreuzkirche oder die Frauenkirche läuten. Jetzt blicken wir vom Parkett aus in die Raumtiefen um uns…!
Optisch erinnert der Saal ja sofort an die Berliner Philharmonie!
Man nennt diese Saalart Weinbergsaal. Da rücken einzelne Publikumsbereiche an den Ort des Geschehens und an die Kunst heran. Das empfinden das Publikum und die Künstler hier als extrem angenehm. Das ist für die Kommunikation ebenso anregend, wie für die künstlerische Ausstrahlung. Es ist aber auch so, dass solche Säle eine große Herausforderung an die Ingenieure darstellen, denn ein rechteckiger, quadratischer Saal ist akustisch viel einfacher zu berechnen hinsichtlich der Reflexionsflächen. Für das Akustikbüro Peutz aus den Niederlanden war das hinsichtlich der Ausbildung der Akustik eine Herausforderung. Designt wurde der Saal von dem Architekturbüro Gerkan, Marg und Partner. Diese weißen Bänder, die uns hier umgeben, haben eine besondere Eleganz.
Ich nehme mal an, die eleganten weißen Segel über der Bühne, die als Rauten mit Licht eingelassen über dem Podium hängen, haben nicht nur mit dem Design zu tun?
Das sind Akustikplafonds, die verändern aber nichts für uns als Publikum. Weil es über der Bühne weit nach oben geht, stellten Akustiker bereits in der Bauphase durch Messungen fest, dass man Reflexionen von oben braucht. Für die Orchester- und Solistendarbietungen sind sie eine große Hilfe für die Verständigung auf der Bühne untereinander. Die sind fahrbar. Wenn die Leinwand runterfährt, für Filme, oder wenn wir ein großes Orgelkonzert haben, dann verschwinden die unter der Decke.
Im Hintergrund ist auch die wunderbare Orgel zu sehen. Da können Sie doch sicher auch ein paar Takte zu sagen…
Tatsächlich sollte der Saal ohne eine Orgel gebaut werden. Das hatte wie so oft ‚budgetäre‘ Gründe. Seinerzeit gab es einen beherzten Fördervereinschef der Philharmonie. Der wollte das nicht so akzeptieren. Er hat gesagt, „wenn Ihr das nicht macht, übernehmen wir das.“ Und er ist gewissermaßen ins volle Risiko gegangen. Es gab eine Ausschreibung. Es gab für unterschiedliche Anforderungen auch ein Expertengremium. Am Ende durfte die Bautzener Orgelfirma Hermann Eule bauen. Und kurz nach Eröffnung dieses Hauses konnte die Orgel eingeweiht werden. Und freut uns seither unablässig. Es ist ein deutsches Instrument geworden, für die romantische Konzertliteratur, das die Orgellandschaft hier in Dresden mit den vielen vorhandenen Orgeln in den Kirchen ergänzt. Und wir sind sehr froh, dass alle Solisten, mit denen wir hier am Start waren, allen voran unser Palastorganist Olivier Latry, der auch Titularorganist von Notre Dame ist, wirklich mit dem Instrument etwas vorgestellt haben. Unsere philharmonische Familie hat mit der Orgel ein weiteres Mitglied bekommen.
Es gibt von Olivier Latry ein Bonmot zu dieser Orgel. Er ist ja von zuhause die große Cavaillé-Coll Orgel gewohnt, auch wenn er die in Notre Dame gerade nicht spielen kann…
Als die Orgel eingeweiht wurde, hatte er die Idee, dem Publikum alle am Bau Beteiligten vorzustellen und auf die Bühne zu bitten. Die Einrichtung einer Orgel ist ja wirklich eine Kunst, die sich zwischen Künstlern und Handwerkskunst abspielt. Und es waren bestimmt 18 – 20 Leute auf dem Podium. Die waren höchst gerührt, dass sie den Applaus vom ausverkauften Saal entgegen nehmen durften. Und damit sozusagen auch von Olivier Latry geadelt wurden. Da ist auch eine besondere Leistung im Zusammenwirken gewürdigt worden. Die Orgel ist ja im letzten Moment ‚durchs Türloch eingefädelt‘ worden. Und das hat beispielsweise von den Intonateuren Nachtschichten und zusätzliche Arbeitstage erfordert.
Wie ist denn hier dieser Konzertsaal überhaupt angenommen worden?
Das ist eine einzige Erfolgs- und Glücksgeschichte…
Immerhin ja auch der erste richtige Konzertsaal für die Dresdner!
Die Musikstadt Dresden hatte keinen eigenen echten Konzertsaal, bis dieser vor zwei Jahren eingeweiht wurde. Alle Künstler, Kammermusikformationen, weltberühmte Dirigenten, aber auch die Philharmonie Dresden und der philharmonische Konzertchor fühlen sich auf der Bühne richtig wohl. Das bedeutet mir als Intendantin sehr viel. Ich bin seit 2015 für den Saal zuständig. Insoweit bin ich auch in die Vorbereitungen der letzten Jahre vor der Einweihung involviert gewesen. Und festzustellen, dass die Künstler aufs höchste zufrieden sind, ist auch für mich ein höchst zufriedenstellendes Moment. Denn jedes Orchester braucht seinen Saal, um sich an der Weltspitze zu profilieren. Die Dresdner Philharmonie hat ihr Instrument gefunden! Und das Publikum hat sein Haus zurück. Das Haus ist ja ein Traditionshaus. Der Kulturpalast wurde 1969 eingeweiht. Und war für Generationen von Menschen in Dresden, und darüberhinaus in Sachsen, ein Haus für unterschiedlichste Programmangebote. Seit wir den neuen Konzertsaal haben, erleben die Menschen ein aufs schönste renoviertes Haus, das sie an ganz vielen Stellen auch wiedererkennen. Er befindet sich immer noch in der ‚Triple-A Lage‘ zwischen Alt- und Neumarkt. Die wunderbare Eingangshalle und diese lichtdurchfluteten Foyers kennen die Dresdener. Und wenn man dann ins Herzstück kommt, in den neuen Konzertsaal in der Mitte des Hauses, dann kann man nur noch glücklicher werden. Alle unsere Erwartungen sind übertroffen worden. 2018 ist unser erstes vollbespieltes Kalenderjahr gewesen. Wir hatten 384.000 Gäste! Da können wir natürlich weiter dran arbeiten. Auch was die jungen Menschen angeht. Aber die Resonanz ist doch überwältigend.
Was ich erstaunlich finde ist, dass Sie hier auch die Stadtbibliothek untergebracht haben und einen öffentlich zugänglichen Raum außerhalb von Konzertereignissen geschaffen haben. Das ist ein Ort, der auch ein Treffpunkt ist. Ich habe mir sagen lassen, dass die Dresdner dieses Haus „Kulti“ nennen.
Genau. Das ist wirklich ein schöner Kosename für den Kulturpalast. Tatsächlich ist hier ein tags und nachts geöffneter dritter Ort entstanden, im Nebeneinander zwischen Musik und Bildung, zwischen Konzertsaal und städtischer Bibliothek. Es ist ein Haus, das von allen Generationen besucht wird. Die Bibliotheken umschließen den Konzertsaal, auch mit Blicken auf den Altmarkt. Es ist eine Bibliothek, die ihresgleichen sucht, ebenfalls nach modernen und neuen Bedingungen eingerichtet und aufgebaut. Wir freuen uns auch über das programmatische Miteinander zwischen Philharmonie und Bibliothek, hinsichtlich der Formate für Kinder und hinsichtlich der Formate mit Literatur. Die Bibliotheken haben Literaten, die sie gern auch mal ins große Haus bringen wollen. Es gibt aber auch Projekte, wo wir gemeinsam am Start sind. Kindergeschichten, die mit Musik konzipiert sind. Musiker der Dresdner Philharmonie bringen Kindergruppen in den Räumen der Bibliothek ihre Instrumente nahe. Für Kinder, für das Infizieren mit der Musik, ist ein kleinerer Raum wichtig.
Alles was nah und zum Anfassen ist, ist für Kinder leichter zu übernehmen… Gibt es für die Musiker eigentlich eine Kantine im off-Bereich? Die Musiker-Kantine in der Kölner Philharmonie wird immer so gelobt!
Es gibt im Haus ein Restaurant, die Palastecke. Sie erfreut sich großer Beliebtheit. Es gib hier viel, aber keine Kantine für die Belegschaft. Es gibt aber ein Musikerfoyer, wo man die eigenen Sachen verzehren kann.
Es gibt hier also ein öffentliches Restaurant, wo auch die Gäste hingehen können.
Ganz persönlich gefragt, was gefällt Ihnen denn am besten an den Interieurs, vielleicht etwas von dem, was im Foyer noch aus den klassischen DDR-Zeiten übrig geblieben ist?
Aus meiner Sicht, ich komme aus Hamburg, ich bin hier also nicht sozialisiert, würde ich lieber nicht von ‚klassischer DDR‘ sprechen. Für mich reiht sich die Architektur in die 60er, 70er Jahre ein, und ist sogar dem Bauhaus verwandt. Wenn Sie die Nationalgalerie in Berlin nehmen oder Häuser aus dieser Zeit, dann ähneln sie sich. Was ich hier besonders schön finde ist die Klarheit. Und im Verhältnis zu dem, was hier um den Neumarkt zu sehen ist, ist diese zeitgemäße zeitgenössische Architektur ein Kontrapunkt, der aus meiner Sicht eine hohe Identität und Wiedererkennbarkeit verleiht. Und wenn man hier als Tourneeabsolvierender Künstler drin gewesen ist, wird man sich auch erinnern. Das Haus hat eine hohe Wiedererkennung …
Und ein Detail, das einen hohen Wiedererkennungswert hat, ist diese Deckenverkleidung im Foyer.
Die sogenannte Mogi-Decke ist natürlich legendär. Die war vor der Sanierung genau so drin. Man musste sie aber wegen Sanierungsarbeiten dahinter rausnehmen. Und dann war es ein Glücksfall, wie das manchmal so ist, man hat auf irgendeinem Dachboden eine Form gefunden, sodass man die Elemente der Mogi-Decke wieder nachbilden konnte. Ich könnte aber noch anderes nennen. Die Wandelhalle im Eingangsbereich hat etwas Klares, Strenges, aber auch etwas, das einen öffnet für die Künste. Das Lichtdurchflutete, jetzt, wo die Fensterscheiben erneuert sind, etwas von drinnen nach draußen scheint, aber auch von draußen nach drinnen. Das hat etwas Belebendes.
Draußen findet der Frühjahrsmarkt statt und im Winter der Weihnachtsmarkt, der ‚Striezelmarkt‘.
Nachdem die Dresdner Philharmonie jetzt einen neuen Konzertsaal hat, lassen Sie uns über Visionen sprechen, die darin verwirklicht werden sollen. Die Philharmonie tritt ja auch in der neuen Spielzeit mit einem neuen Chefdirigenten an: Marek Janowski.
Vielleicht sollte ich erst einmal weiter ausholen. Das Orchester hat lange um einen Saal gekämpft. Ein Orchester kann sich ja nur weiterentwickeln, wenn es entsprechende Möglichkeiten hat, einen Probensaal. Der alte Kulturpalast wurde 2012 geschlossen. Geprobt wurde in einem Kinokomplex bei der Waldschlösschenbrücke. Im Albertinum, im Lichthof, Staatsschauspiel, Hygienemuseum wurden dann die Konzerte gegeben. Alles keine Konzertsäle. Im Kinosaal haben wir probiert und haben zur GP die Örtlichkeit wieder gewechselt. Da gibt es Überraschungen, die der Kunst nicht dienen. Spätestens als klar war, es gibt einen neuen Konzertsaal, hat sich Orchester wieder intensiv mit seinem Klang beschäftigt.
Es gab vor meiner Zeit gemeinsame Reisen zu Sälen mit Musikern und Akustikern, um rauszufinden, welche Akustik will man, wo will man hin. Zu welcher Klangidentität…
Welche Säle haben denn Inspiration geliefert?
Ohne Anspruch auf Vollständigkeit: das Gewandhaus Leipzig, die Berliner Philharmonie, der Concertgebouw Amsterdam, ein Saal in Rotterdam, in Luzern, vielleicht gab es weitere …
Es waren jedenfalls sehr prominente und unterschiedliche. Daraus hat man ein eigenes Ideal formuliert. Akustiker haben daraus technische Daten abgeleitet. Das war ein gemeinsamer Prozess. Eine Akustik, die unter Exklusion der Künstler als rein technischer Befassung mit der Sache entsteht, finde ich problematisch…
Hat man auch mit der Elbphilharmonie Rücksprache gehalten, um gewisse Probleme zu vermeiden?
Es gibt am Ende des Tage etwas, das im Emotionalen oder Mystischen verankert bleibt. Dinge, die vielleicht nicht messbar, die man nicht voraussagen kann. Da hatten wir Glück. Alle, die auf die Bühne marschieren, fühlen sich hier wohl. Marek Janowski hat mal gesagt, eine Bühne braucht was Gemütliches, nicht ein ausgelatschtes Sofa, aber einen Ort, wo der Künstler sich wohl fühlt und sich traut, an die Grenzen zu gehen. Das scheint hier der Fall zu sein. Trotz Planung, naturwissenschaftlicher Leistung, Messung und Materialien, es gibt ein kleinen Quäntchen Unerforschtes. Neue Säle verändern sich auch. Das hat mit Materialen zu tun, wo sich Staub absetzt. Da sind wir noch unterwegs mit diesem neuen Saal. Das braucht noch ein paar Jahre.
Selbst erfahren Dirigenten wie Janowski sagen, Säle entwickeln sich.
Hinsichtlich des Repertoires, was entwickelt sich? Ist etwas auf den Mut zurück zu führen, der mit dem neuen Saal gewonnen ist?
Hier werden wir in diesem Jahr etwas zu 30 Jahre Mauerfall auf unterschiedlichste Weise auf die Bühne bringen. (Am 9. November 2019 finden unter der Überschrift „… und der Zukunft zugewandt…“ drei Konzerte mit Werken vergessener DDR Komponisten wie Otto Katzer oder Friedrich Schenker statt, dazu gibt es Zeitzeugenberichte und Lesungen.) Der Saal ist sowohl für „Riesensinfonik“ als auch für kammermusikalisch Filigranes geeignet. Marek Janowski startet im August mit Bruckners gewaltiger Achter. Für das Beethovenjubiläumsjahr kombiniert Janowski dann Beethoven-Sinfonien mit Streichquartetten. So etwas geht nur in einem Saal, der das verträgt. Das Quatuor Ebène wird Streichquartette spielen, die aus derselben Schaffensperiode der Sinfonien stammen. Die Saison ist ja davon geprägt, dass sie im Jahr 2020 in das Beethovenjahr mündet, ebenso
davon, dass wir 150 Jahre Dresdner Philharmonie feiern! Dazu kommen 50 Jahre Kulturpalast. Insoweit sind gewichtige Dinge vorgegeben. Zum Saisonstart übernimmt der Chefdirigent gleich drei Programme: Mit Bruckner und großer Sinfonik. Im zweiten Programm kombiniert Janowski die „Pezzi sacri“ von Verdi mit den „Canti di Prigionia“ Luigi Dallapiccolas, unter Beteiligung des philharmonischen Chores. Im dritten Konzert gibt es Richard Wagners „Walküre“, 1. Aufzug, mit Camilla Nylund, Christopher Ventris und Franz-Josef Selig als Solisten. Weitere Schwerpunkte im Beethovenjahr sind die „Missa Solemnis“ und eine weitere konzertante Opernaufführung, die von Beethovens „Fidelio“. In der Festwoche zum 150. Orchesterjubiläum gibt es eine Uraufführung von Salvatore Sciarrino für Bariton und Orchester und die Schlussszene 3. Aufzug von Wagners „Siegfried“. Es gibt also mehr Chorsinfonik, mehr konzertante Oper, übrigens sehr beglückend für ein Haus, das keinen Opernbetrieb hat. Und wenn Sinfonik mit Kammermusik kombiniert wird, machen wir die Möglichkeiten des neuen Saals für das Publikum erfahrbar.