KölnMusik eröffnet den Juni-Corona-Spielplan mit Anna Lucia Richter, Gerold Huber und zauberhafter Liedmelancholie!

Nach dem Testlauf mit dem Gürzenich-Orchester am 30. Mai durften dieses Mal 400 Zuhörer in die Kölner Philharmonie. Stimmungsvoll ausgeleuchtet bot sie den perfekten Rahmen für die Zauberwelten, die Anna Lucia Richter und ihr Liedbegleiter Gerold Huber heraufbeschworen. Drei Zauberwelten, um genau zu sein, und von einem zarten Schleier von Melancholie überzogen. Mit Liedern von Gustav Mahler, Hugo Wolff und Franz Schubert. (Von Sabine Weber)

Anna Lucia Richter und Gerold Huber beim ersten Liederabend in der Kölner Philharmonie seit Ausbruch der Corona-Pandemie
Nach 100 Tagen geschlossener Philharmonie: Anna Lucia Richter singt einen Liederabend in der Kölner Philharmonie. Gerold Huber begleitet am Klavier. Foto: Christian Palm

(6. Juni 2020, Kölner Philharmonie) Ganz verhalten beginnen sie! Das Klavierlied Urlicht „O Röschen rot“ kennen wir besser aus der zweiten Sinfonie von Gustav Mahler. Sie trägt den Untertitel Auferstehungssinfonie. Aber es ist eine fragile und zerbrechliche Auferstehung, die hier im ersten Konzert von KölnMusik die Kölner Philharmonie ganz sanft flutet. „Der Mensch liegt in größter Not und Pein!“ erzählen die Verse ja fast tagesaktuell! Wobei man einen Bezug zur Realität beim entrückten Hören gar nicht herstellt. Die Verse stammen aus des Knaben Wunderhorns. Wie auch die nächsten Lieder, die gruselig grausame Litanei Das irdische Leben über ein hungerndes Kind, das hingehalten wird, bis es verhungert ist. Anna Lucia Richter trägt es im Balladenton vor, die beschwichtigende Mutter und das hilflos bittende Kind andeutend. Oder die geisterhafte Begegnung von der Herzallerliebsten und ihrem Gefreiten, dessen Haus schon längst unter dem grünen Rasen ausgemacht ist. Es trägt den irritierend harmlosen Titel Wo die schönen Trompeten blasen. Die Trompetenfanfaren tönen im Klavier wie ein Hohn.

Für alles findet Anna Lucia Richter einen speziellen Ton, deutet Wort für Wort subtil aus

Wer hat dies Liedlein erdacht wird lustiger, volkstümlicher. Anna Lucia Richter deutet einen derben Tonfall an, um den Bergsteiger nahe zu bringen, der droben zum lieb‘s Mädel unterwegs ist. Für alles findet Anna Lucia Richter einen speziellen Ton, deutet Wort für Wort subtil aus. Fast schon maniriert, aber mit ungeheurem Ausdruckswillen, um den doppelschichtigen Liedtexten gerecht zu werden beim „singenden Sprechen“. Nichts fällt auseinander. Alles hat einen Bogen. Die Liedphrasen. Die Liedblöcke. Und Gerold Huber begleitet wie immer kongenial subtil, vorausdeutend und verselbstständigt sich einige Male in pianistischen Bildern. Manchmal wirft er den Arm exaltiert hoch. Anna Lucia Richter in apart blauem und ausgeschnittenen Schleppenkleid, beeindruckt durch fokussierte Konzentration ohne jegliche Mätzchen.

Nur ansatzweise euphorische Töne

Mit Hugo Wolffs Vertonung des österreichischen Erzmelancholikers Nikolaus Lenau geht es weiter. Die Drei Oden von Lenau sind unbekannter als die Mörike-Lieder. Da kann Lenau aber – erstaunlicherweise – auch friedliche unbelastete Abendstimmung verbreiten. Im zweiten Liedblock ist der Stimmungsbogen umgekehrt wie im ersten. Er endet mit der Absage an die Welt, die Liebe, nachdem zuvor in der Natur geschwelgt, ein Blumenstrauß gepflückt und ein lieblicher Blumenflor mit subtil bis ansatzweise euphorischen Tönen bewundert wurde.

Das letzte Lied Abschied von Franz Schubert klingt wieder fragil wie das Urlicht zu Anfang

Schubertlieder ordnet man irgendwie meist einer männlichen Stimme zu. Anna Lucia Richter und ihr Begleiter Gerold Huber haben Lieder gefunden, die Schubert Frauen in den Mund gelegt hat. Die Romanze der Axa aus der Schauspielmusik zu Rosamunde oder Gretchen am Spinnrad. Ein volksliedhaftes Wiegenlied bringt heile Welt, bis der Wanderer, hier Wanderin, der Heimat entsagen. Das letzte Lied Abschied auf einen Text von Johann Mayrhofer klingt dann wieder fragil wie das Urlicht zu Anfang. Mit erratisch aphoristischen Klaviertönen beginnt es und endet nachdenklich. „Meiden, was man liebt!“ so die letzten Worte, fast eine Frage in der Stimme, die das Klavier abrundet. Und auch das könnte wieder einen Bezug haben zum Hier und Jetzt. Wie dankbar aber sind die Zuhörer, entrückt und entzückt worden zu sein. Mal wieder in einem Konzert, zu dem diese beiden Künstler aus dem Süden Deutschlands angereist sind.

Der Intendant der Kölner Philharmonie begrüßt sein Publikum vor dem Liederabend. Foto: Christian Palm

Das erzählt der Intendant der Kölner Philharmonie, Louwrens Langevoort vor dem Liederabend. Er lässt es sich nicht nehmen, sein Publikum zu begrüßen und fordert es auf, dass ‘neue’ Konzertleben weiter zu unterstützen. Ob er das unsägliche Wort „Systemrelevanz“ für die Kunst in den Mund genommen hat, weiß ich nicht mehr. Aber herzallerliebst wendet sich Anna Lucia Richter an ihr Publikum im Schlussapplaus. Sie kommt ja aus Köln. Wie wichtig ihr dieses erste Konzert nach Ausbruch der Corona-Pandemie und wie froh sie sei, dass das Publikum es gewagt habe zu kommen. Zwei Zugaben geben die beiden noch. Eine witzige Einlage aus dem Italienischen Liederbuch von Wolff und An den Mond von Schubert. Ein großer Bogen ist gerundet. Seit ihrem letzten Auftritt in der Kölner Philharmonie, damals zusammen mit Bariton Hanno Müller-Brachmann vor dem Chamber Orchestra of Europe unter Bernard Haitink, hat Anna Lucia Richter an Souveränität gewaltig zu gelegt. Ein großartiger Liederabend. Nach dem Gürzenich-Orchester und KölnMusik fehlt nur noch das WDR Sinfonieorchester, das am 19. Juni – nächste Woche – endlich seinen Einstand hier gibt.

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