Gleich mit zwei Konzerten um 18 Uhr und 21 Uhr meldet sich das WDR Sinfonieorchester unter seinem Chefdirigenten Cristian Măcelaru zurück. Eigentlich hätte es ein Konzert mit der Chorfantasie op. 80 von Ludwig van Beethoven und das Klavierkonzert C-dur für Klavier und Orchester op. 39 mit einem Schlusschor werden sollen. Die zwei Konzerte um 18 und 21 Uhr füllten sich anders. Nicht groß besetzter Bombast ist das Gebot in Corona-Pandemie-Zeiten, sondern kleiner besetzte Werke. Repertoire, das im zumeist groß orchestrierten Konzertleben kaum zu finden ist. Für Cristian Măcelaru, seit 2019/20, also dieser Spielzeit, Chefdirigent des WDR Sinfonieorchesters, zählt jetzt vor allem die Chance, wieder Musik vor Publikum aufzuführen und Optimismus zu verbreiten, wie er in einem klassikfavori-Interview zwischen den beiden Konzerten erzählt. (Von Sabine Weber)
(19. Juni 2020, Kölner Philharmonie. Zweites Konzert) Weit sitzen die Musiker auseinander. Die Streicher zweieinhalb Meter. Zwischen den Hörnern links außen, die sofort in Wolfgang Amadeus Mozarts Klavierkonzert KV 414 gefragt sind, stehen weiß bezogene Stellwände. Die beiden Hornisten können sich also nicht sehen. Ein Kompromiss, denn in den Schallbechern stecken ja die rechten Hände der Spieler. Also kann kein Damenstrumpf darüber gezogen werden wie bei den beiden Oboen und Fagotten, die in Franz Schuberts Fünfter Sinfonie dazustoßen. Alles Maßnahmen, um die Aerosolbildung auf dem Podium zu bremsen.
Die Vorsichtsmaßnahmen haben sich auf dem Podium für die Musiker nicht gelockert, sondern verschärft
Auch die Musiker müssen sich schützen. Der Flötist sitzt sogar in einem Plexiglasverschlag. Die Querflöte steht unter Verdacht, die meisten Aerosole zu versprühen, was inzwischen auch schon widerlegt ist. Hinter den Plexiglasschilden müssen die Aerosole nach oben entweichen. Es zählt, unter möglichst allen Vorsichtsmaßnahmen endlich wieder spielen zu können. Und es scheint, dass in der Zeit zwischen dem ersten Gürzenich-Orchester-Konzert und dem WDR-Sinfonieorchester-Konzert die Vorsichtsmaßnahmen nicht gelockert, sondern verschärft wurden. Für den Klang hat das Konsequenzen. Die zwei Celli und der Kontrabass scheinen laut. Die Streicher sind da, man hört sie zusammen aber irgendwie auch einzeln. Oboe und Fagott sind sehr präsent. Die Flöte, wen wunderts, webt sich zart ein. Irgendwie passt aber alles. Auch dieser transparente Klang nimmt gefangen.
Das Brillieren auf den Tasten passiert en passant. Igor Levit paart Leichtigkeit und Nachdenklichkeit
Wie bei dieser Distanz dialogisch und agogisch zusammen musiziert wird ist darüber hinaus ein kleines Wunder. Zwischen Orchestersolisten und Solist entstehen wunderbare Zwiegespräche. Wenn das Klavier eine Phrase ansetzt, ist das Orchester präzis zur Stelle, um in die Schlusstupfer am Ende des Bogens einzusteigen. Levit präsentiert insgesamt einen feinen, filigranen Mozart. Perfekt ausgespielt, dennoch zart, immer deutlich, und doch mit kleinen Finessen. Der Einsatz kommt ein „Mü“ verzögert. Dann perlt es los. Trillerketten, die sich verschieben, kennt man eigentlich erst von Beethoven. Beethovenexperte Levit scheinen sie spielerisch aus den Fingern zu rutschen. Extrovertiertes Herausstellen des Solisten steht aber in keinem Moment im Vordergrund. Das Brillieren passiert en passant. Levit paart Leichtigkeit und Nachdenklichkeit. Dem begeistert applaudierenden Publikum gönnt er noch eine atmosphärische Zugabe. Eine Ferruccio Busoni Bachtranskription. Ich tippe auf dessen Bearbeitung von Nun komm der Heiden Heiland BWV 659, langsam, verhalten und in sich versunken. Busoni hat ursprünglich auf dem Plan gestanden hat. Daran hat Igor Levit sanft erinnert.
„Die Mitglieder der WDR Musikerfamilie begrüßen Sie. Bitte genießen Sie unser Geschenk an Sie“
Franz Schuberts Fünfte D 485 hat dann erstaunliche Parallelen zu Mozart. Dur-moll Verxierspiele mit einem Motiv. Eine Dissonanz, die explodiert und sofort wieder im schwebenden Ton ist. Im langsamen Satz sind dann die füllenden Mittelstimmen etwas dick. Das Menuett geht ab wie ein Schubertsches Moment musicaux. Bewegungsfreude mit leichtem Trotz. Und im letzten Satz scheint man doch glatt mal etwas Beethoven Fünf zu hören.
Die beiden Werke zusammen sind eine glückliche Mischung gewesen. „Bitte genießen Sie unser Geschenk an Sie“, hat Cristian Măcelaru vor dem Konzert sein Publikum aufgefordert, sogar auf Deutsch! Und glücklich, wer hier dabei sein durfte. Der GMD von Köln, François-Xavier Roth, saß auch unter den Zuhörern. Und das mit dem ‚Geschenk‘ und dem ‚Genuss‘ hat gestimmt!
Das Gespräch mit Cristian Măcelaru führte Sabine Weber vor dem zweiten Konzert in der Kölner Philharmonie am 19. Juni 2020.