Jonas Kaufmann als Otello endlich auf CD!

Rollen zieht man nicht einfach an oder stülpt sie sich über. Vor allem nicht die Partie des Otello, die überfrachtet sei „mit ihrem Ruf, eine ultimative Killerpartie zu sein“. Das hat Jonas Kaufmann in einem Interview für klassikfavori mal so ausgedrückt. Giuseppe Verdis „Otello“ sei „die Klimax des Verdi-Fachs für jeden Tenor“. Wieder ein Kaufmann-Zitat, das den Anforderungen dieser Partie Respekt zollt. Sein Debüt als Otello in London und ein Otello für München liegen hinter ihm. Jetzt hat Jonas Kaufmann sein ultimatives Rollenverständnis unter idealen Bedingungen für Sony Classical in einer Studioproduktion verewigt. Und die Tragik Otellos bekommt eine Wucht, wie man es bis jetzt nicht für möglich gehalten hat. (Von Sabine Weber)
Jonas Kaufmann als Otello endlich auf CD bei Sony Classical
(CD Veröffentlichung 12. Juni 2020) Denn Jonas Kaufmann emotionalisiert und psychologisiert die menschlichen Abgründe dieser Figur, wie in einem Hörthriller bis in kleinste Regungen. Carlos Álvarez als Jago und Federica Lombardi als Desdemona, aber auch Chor und Orchester der Accademia Nazionale di Santa Cecilia unter Antonio Pappano stellen sich ebenso vorbehaltlos in den Dienst der Partitur. Da wird ein subito piano auf einzelnen Silben zum Ereignis. Aber erst einmal ist gewaltig Sturm angesagt! Das Schiff des venezianischen Generals Otello droht in aufgepeitschten Wellen zu versinken. Eine Vorahnung auf rasende menschliche Leidenschaften. Otellos Frau Desdemona und ihn selbst kosten sie am Ende das Leben.

Ungeheure Kontraste, von denen die Oper lebt!

Den ersten Orkan mit Beckenschlägen unter gewaltiger Chorbeteiligung besiegt Kaufmann/Otello mit einem gewaltigen Esultate! Die erste und berüchtigte Killer-Stelle. Sie kommt mit Wucht. Bald darauf noch ein gewaltiger Schrei. Abasso le spade – Runter mit den Schwertern!“ Otello muss den Tumult unter seinen Soldaten beenden. Den hat Jago angezettelt. Jago hat Cassio betrunken gemacht, um ihn lächerlich und angreifbar zu machen. Jagos Trinkaufforderung „Beva, Beva, beva con me“ jubelt Verdi ein Tarantella-Motiv unter. Und dann einer der ungeheuren Kontraste, von denen diese Oper lebt. Ätherischer Geigenklang wird injiziert. Und schon ist der Übergang zum zentralen Liebes-Duett Già nella notte densa“ gemacht. Schnurrende Violoncelli kochen samtweich Otellos Wut über die haltlosen Gesellen herunter. Und schon streichelt Desdemona seine Seele. „Tu ne ramenti – erinnerst Du Dich denn nicht?“ kommt mit einem Harfeneinsatz einfach wunderbar und ist eine weitere kleine Zauberei dieser Verdischen Partitur. Und dann Steigerung bis zur Ekstase in kosmischer Weitung. Ein „Liebestod“, hier zu zweit, mit funkelnden Plejaden und Venus am Himmel und im Orchester in den Holzbläsern und flirrenden Geigen und wieder Harfe, natürlich. Dieser „Liebestod“ liefert die Fallhöhe bis hin zum Eifersuchtsmord. Ab jetzt versinkt Otello in immer innerwärtig negative Stimmungen und Gefühle, die zu eruptiven Ausbrüchen führen. Alles entgleitet ihm.

Die Studioaufnahme kommt den kleinen subtilen und großen, vielstimmigen Momenten zu Guten

„Dio! Mi potevi Scaliar tutti i mali“, dritter Akt, macht Jonas Kaufmann zum Dreh- und Angelpunkt der Abwärtsspirale Otellos. Angerührt mit Scham, durch die Zähne gepresst, über vermeintlichen Betrug, introvertierte Kopfstimme für Selbstmitleid, das Glück ist verloren, dann ein Sich-Hineinsteigern in blinde Wut und Mordgedanken, dass einem Angst und Bange wird, dass dieser Otello gleich aus den Boxen steigt und im Raum leibhaftig wütet. Das Orchester unter Antonio Pappano treibt an, folgt aber auch allen subtilen Regungen. Das subito piano am Beginn des 3. Aktes auf sein drohend ausgesprochene: „Guai!“ – „Wehe Dir!“ ist auf den Punkt. Und wie Dunkel klingt das Blech! Hier sind wohl Cimbassi dabei, die von Verdi erfundenen Kontrabass-Posaunen. Das pezzo concertato im zweiten Akt ist ein ganz großer Moment. Die Huldigung Desdemonas mit Kinderchor und Chor schaukelt wie eine riesige venezianische Gondoliere und schwelgt mit Mandolinen in Glück und Wohlgefallen. Oder das Quel innocente un fremite im dritten Akt, das bei vollem Ensemble mit Chor zu 12 Stimmigkeit anschwillt. Jede Stimme ist in dieser Aufnahme durchzuhören. Eine solche Transparenz ist bei einer Live-Aufnahme kaum möglich. Der Segen einer Studioaufnahme kommt hier den kleinen subtilen und großen, vielstimmigen Momenten zu Gute.

Desdemona treibt einem die Tränen in die Augen

Das Ensemble ist hervorragend. Carlos Álvarez ist ein durchtriebener Jago. Wie er Otello nachäfft oder sein berüchtigtes Credo als Bösewicht „Credo in un Dio crudel“, will sagen „Ich bin böse, weil ich ein Mensch bin“, serviert er nicht nur dunkel abgründig, sondern mit einer widerlich selbstgerechten Note. Großartig! Federica Lombardi, in der ersten großen Duett-Szene ein klein bisschen flattrig in der Höhe, singt sich mit einem von Herzen kommenden messa di voce in die Herzen der Zuhörer. Sie ist eine glaubhaft junge Desdemona. Als unbedarft, bedingungslos, daher ausgelieferte Liebende findet sie auch ihre „drei Stimmen“ wie Verdi gefordert hat. Vor allem im letzten Akt, der mit der einsamen Oboe wie Tristans letzter Aufzug so überaus melancholisch beginnt. Desdemonas Stimme mischt sich mit dem Naturlaut im „Salce, Salce, Salce“ des Weidenliedes, mischt Trauer hinzu, dazwischen das „Ave Maria“ im monotonen Gebetston. Das treibt einem die Tränen in die Augen.

Jonas Kaufmann steht natürlich im Zentrum. Das ist sein Otello!

Aber natürlich steht Jonas Kaufmann im Zentrum. Das ist sein Otello! Das CD-Titelbild zeigt sein Konterfei. Wohl nicht ganz zufällig ähnelt es den Ablichtungen Mario del Monacos, ein zu seiner Zeit weltweit gefeierter Otello. Aber einen so differenziert ausgesungene Otello-Partie, wie Kaufmann sie hier offenbart, wird man in der Aufnahme-Kartei suchen müssen. Der Weg in diese Rolle war nicht leicht, wie Thomas Voigt im Booklet-Text schreibt. Voigt ist übrigens Musikwissenschaftler, Agent und Manager Kaufmanns. Er hat hier wirklich eine gut zu lesende Einführung mit ausreichend Information zum Werk und zur Entstehung dieses Projekts abgeliefert. Überhaupt ist die Aufmachung von Sony Classical nicht nur als Hardcover-CD, sondern in jeder Hinsicht vorbildlich. Das Libretto ist abgedruckt und auch ins Deutsche übersetzt. Die Tracklistung mit Titeleien ist übersichtlich und enthält alle Informationen. Diese CD ist in jeder Hinsicht eine Referenzaufnahme und gehört nicht nur ins Kaufmannfan-Regal, sondern in die Regale aller Opernfans!

Ein Gedanke zu „Jonas Kaufmann als Otello endlich auf CD!“

  1. Schnurrende Violoncelli … Allein dieser Ausdruck bezeugt das Unvermögen der Autorin sachlich und fachlich überzeugend über die neue, völlig überflüssige Cd Kaufmanns zu urteilen. Kaufmann hat den wahren Größen wie Carlo Cossuta, Jon Vickers, (sehr historisch Martinelli, Tamagno), Domingo und Del Monaco mit gewissen Einschränkungen, und vor allen anderen RAMON VINAY nichts hinzuzufügen. Sogar der 64-jahrige Gregory Kunde läuft ihm sehr leicht den Rang ab.
    Kaufmann fehlt squillo, Durchschlagskraft, wahre Leidenschaft, wahre Verzweiflung, silbrig durchscheinende Höhen die leuchten müssen wie etwa im Liebesduett 1. Akt. Dio mi petevi … ist nur gsäuselt mit manirierter Kopfstimme und wie alles andere den Möglichkeiten Kaufmanns angepasst. Die aber reichen nicht, um einen neuen Otello anzubieten. Die Autorin plappert in einem schrecklich sony-poetischen Singsang über eine Einspielung, die allein Pappano als wahren Könner aufweist. Das aber reicht nicht.
    Wie schrieb Hanjo Kesting so richtig in der FAZ mit Bezug auf Peter Ustinovs Ausspruch zum Therater: Es gibt so etwas wie die ideale Fehlbesetzung. Das ist Kaufmann. Schon in London war er völlig unzureichend, in München sowieso mit dieser ignoranten Inszenierung, in der Shakespeare völlig fehlte und durch Strindberg ersetzt wurde.
    Um Verdis Totenruhe nicht zu stören möchte ich mehr nicht sagen als dies: Verdi sicuramente non si sente honorato. Verdi fühlt sich mit Sicherheit nicht geehrt.
    Franco Bastiano
    Paris

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