Zum letzten Mal steht Hermann Max in dieser Festivalausgabe in der Klosterbasilika Knechtsteden und dirigiert. Er hat das der historischen Aufführungspraxis gewidmete Festival 1992 gegründet. Und schon viel früher die Rheinische Kantorei sowie das Originalklangensemble Das kleine Konzert, nach einem Leipziger Ensemble zu Bachzeiten benannt. Für den akribischen Pionier der Alten Musik war Musik von Bach und der Bach-Familie immer ein zentrales Thema. Mit komponierenden „Bächen“ in NRW hat Max für Furore gesorgt und Musik von einem Mindener und einem Wuppertaler Bach auf CD gebannt. Im Eröffnungskonzert hat er ein Best-off aus dem Bach-Clan zusammengestellt, das mit einem Satz aus Johann Sebastians h-moll Messe die Basilika beben ließ. (Von Sabine Weber)
(16. September 2023, Klosterbasilika Knechtsteden, Dormagen) Gefühlt jedenfalls. Denn nach den exklusiven Entdeckungen einmal einer sensationell konzipierten Bach-Trauermusik eines Johann Ludwig (Meininger Linie) in diesem Konzert, die Hermann Max eigentlich schon in den 1980ern und 90ern auf CD verbreitet hat, und einem an Beethoven heranreichenden witzig-spritzigen Sinfoniesatz des bereits erwähnten Mindener Bachs, kann das Gloria in excelsis Deo mit dem Friedensgruß Et in terra pax doch tatsächlich noch einen drauf setzen.
Eine Hochzeitsmusik in moll!
Aber es gab nicht nur den einen JS. Und sie heißen alle Bach! Die vielen kleinen Bach-Amuse-gueules zuvor haben wahrlich staunen lassen. Mit einer Hochzeitskantate von einem Johann Christoph in (sic) moll – aber g-moll soll nun mal im Barock eine Liebestonart gewesen sein – eröffnet Max. Und es werden von Sopran und Bariton (Veronika Winter, Matthias Vieweg, siehe Titelbild von Michael Rathmann) erotisch angehauchte Verse ausgetauscht (dich küssen, sie macht mich brünstig, ich bin krank vor Liebe). Bis sich Tenor und Altus (Hans Jörg Mammel, David Erler) einmischen und zu ausgelassenen Versen Essfreuden beschwören und zum Trinken animieren (Esset und werdet trunken).
Der Onkel von JS, man kennt Johann Christoph seiner Trauermusik Ach, dass ich Wassers gnug hätte wegen, hat den Text hier musikalisch genüsslich ausgemalt. „Krank“ auf gedehnten Noten, weil mit Sehnsucht verbunden, rhythmische Verve für drängende Ungeduld, und auch leidende Chromatik, auf „höhnen“. Ein Consort begleitet. Es hätten eigentlich Gamben spielen müssen, es tun aber auch zwei Geigen, zwei Bratschen und ein Violoncello. Aufsehenerregend ist die lange Passacaglia mit Variationsfolge für die Geige mit Franz Ignaz Biberscher Virtuosität, die Konzertmeisterin Anne Röhrig so einige Male fast aus der Kurve wirft, die aber souverän gegensteuert.
Sensationelle Trauermusik und oratorischer Prunkstil
Nach dem Onkel von JS kommt die wahrlich sensationelle Bach-Trauermusik von Johann Ludwig aus Meiningen. Die verbale Allegorie mit „Banden“, „Stricken“ und „Sünde“ kennt man, aber wie der Altus da quasi erst solistisch erklärt, wie Gottes Sohn Befreiung bringt, eine Bestätigung aus dem Tutti bekommt – hier gibt es jetzt das vollbesetzte kleine Konzert-Ensemble, und dann im Tutti sich selbst Antworten gibt, bis die Flöte noch eine Koloratur dazu einwirft, lässt eine wirklich bemerkenswerte Architektur hören. David Erler setzt kleine Koloraturschnörkel kultiviert mit stets inniglicher Stimme akkurat dazwischen. Der Doppelchor „Mei – ne Ban – de: sind zurrissen“ – „sind zurrissen“ wird schnell und überdeutlich artikuliert, fast ausgespuckt! – beginnt mit einer Art Flamenco-Bass. Unerhörte Dissonanzen werden zelebriert, dass man meint, viel später als JS dran zu sein – dazu die sich wiederholenden Patterns in den Streichernwie bei Minimal Music –, und dann ist der Johann Ludwig doch älter.
Die Musik von JSs Sohn Carl Philipp Emanuel sind dann oratorischer Prunkstil – wobei das Orchester das gewaltige Aufdrehen, auch der Chor natürlich, herrlich genießt (Gott hat den Herren aufgeweckt). Und die folgende Höhnung der Hölle im Sinne von „na, wer ist denn der Sieger?“ ! Das Ätsch wird durch spitze Akzente deutlich. Und ein Tod in C-dur, der hat doch gar keinen Schrecken mehr! (Aus Die Auferstehung und Himmelfahrt Jesu).
Londoner und Mindener Bäche
Es ging gar nicht anders als mit dem jüngsten Londoner JSBachsohn Johann Christian weiter zu machen. Seine konventionell und zugleich genial gezimmerte Ouvertüre zur Oper La Clemenza di Scipione, nimmt mit den beiden Kontrastthemen, das zweite zärtlicher Natur, Mozart vorweg und hebt ziemlich effektvoll den Vorhang. Ein Duett für Tenor und Bariton ist Rarität. Das Tibi soli peccavi von Johann Christoph Friedrich – das ist der dritte der insgesamt vier komponierenden JSBachsöhne – wird rhetorisch hervorragend textausdeutend präsentiert. Nach Johann Christoph Friedrich kommt dessen Sohn Wilhelm Friedrich Ernst Bach zum Zug. Der hat nämlich großartige Sinfonien komponiert, wie der erste Satz einer solchen in C-dur mit Hörnern, Oboen und viel Bläserwitz hören lässt.
Natürlich kann man mit 80 würdig abtreten
Die Bachische Wundertüte hätte sich noch Stunden weiter entleeren dürfen. Und was Hermann Max weglassen musste, weil das Konzert ja nicht zulang sein durfte, zudem einen dramaturgischen Bogen braucht, will man gar nicht ermessen.
Max ist wahrlich ein Diener der Musik, leitete mit kleinen aber präzisen Gesten, ist immer noch lieber beim Chor und den Sängern als bei den Instrumentalisten. Er gehört vor allem nicht zu denen, die meinen, jeden kleinen Rezitativ-Einsatz geben zu müssen, sondern lässt seinen Musikern Raum. Das Continuo-Violoncello spielt leider etwas uninspiriert, dafür sind der Violone-Spieler und der Organist umso akribischer dabei. Langjährige Weggefährtinnen finden sich unter den Streichern, Anne Röhrig und Ulla Bundies.
In der bis auf den letzten Platz besetzten Langhausbasilika wird am Schluss heftig applaudiert. Und fast scheint es, dass dem eigentlich schmächtigen Mann mit der im Alter immer wilder abstehenden prächtigen Haarpracht beim Abgang Tränen in den Augen standen. Natürlich kann man mit 80 würdig abtreten. Aber die jahrzehntelange Arbeit, die Max in seinem musikalischen Leben investiert hat, 1967 ist er nach Dormagen gekommen, wo er als Kirchenmusikdirektor tätig seine Ensembles gründet, das Festival aufzieht und zusammen mit der WDR3 Alte-Musik-Redaktion Schendowius/ Neumann seine sensationellen Produktionen macht, das lässt sich doch nicht einfach wie ein Sack zuschnüren. Und doch ist es gut zu wissen, wann man aufhört. Hermann Max hat jedenfalls nicht nur eine Institution hier in Knechtsteden aufgebaut, die weitergehen wird. Seine Interpretationen haben Maßstäbe gesetzt! (Siehe Interview Klassikfavori)