Das kleine besondere Linos Festival findet in Köln zum 4. Mal statt!

(Titelbild: Vincent Kleemann) Der Sancta Clara Gewölbekeller eines verschwundenen Klarissenklosters ist wirklich ein besonderer Kammermusikort in Köln. Dorthin hat das Linos Piano Trio zu seiner vierten Festivalausgabe an diesem Wochenende eingeladen. Licht-und-Dunkelheit-Erfahrungen sind als programmatische Idee über die drei Tage gesetzt. Und das Eröffnungskonzert „Dark Side of the Moon“ gestern Abend war natürlich keine Hommage an Pink Floyd, sondern Arnold Schönbergs Melodram „Pierrot lunaire“ gewidmet. (Von Sabine Weber)

(15. September 2023, Sancta Clara Gewölbekeller, Köln) Wie die letzten Jahre haben Konrad Elias-Trostmann, Vladimir Waltham und Prach Boondiskulchok wieder Gäste dabei. Die brauchen sie auch für Schönbergs Pierrot lunaire. Denn neben Violine, Violoncello und Klavier – Kernbesetzung eines Klaviertrios, braucht es eine Bratsche, Flöte/ Piccolo, Klarinette/ Bassklarinette und die Sprechgesangsinterpretin.

Große Farbigkeit des Klangs – schütter verschlüsselt

Elias-Trostmann greift der Violine auch zur Bratsche, wie es Schönberg fordert. Gastklarinettistin Carol McGonnell hat beide Instrumente jedenfalls parat wie auch Gastflötistin Júlia Gállego. Die Farbigkeit der mit acht Instrumenten von fünf Spielern hervorgezauberten Klänge ist groß und doch wirkt sie disparat und schütter verschlüsselt.

In diesem „Schlüsselwerk der Moderne“ begleiten die Klänge eine Sprechmelodie, bei der sich die Interpretin vor zu viel Singen hüten und keinesfalls in eine „singende Sprechweise“ zu verfallen hätte, so Schönberg. Dennoch gibt der Komponist akribisch genau Tonhöhen mit Kreuzchen statt Notenköpfen in der Partitur vor. Was immer Schönberg mit seinen „bloß-nicht und dennoch“-Angaben intendiert hat, der Vortrag gerät Lotte Betts-Dean sehr aufgeregt. Nicht mit einer Halskrause wie die Pierrot-Interpretin der Uraufführung, sondern mit einer weißen Jabot-Schleife, gerät der Vortrag Betts-Dean, übrigens die Tochter des Komponisten Brett Dean, fast aggressiv. So als könnte sich nicht anders zu den selbstverliebt-aufgekratzten, persiflierend bis durchgeknallt und „künstelnden“ Texten in den drei Mal sieben Gedichten verhalten werden.

Da wird der schwarz-hochheilige Waschtisch eines schweigenden Dandys erleuchtet, es geigt ein Riesenbogen auf der Glatze, vernichtungssüchtige Reize, Blut. Und überall ist der Mond im Spiel, krank, bleich, dennoch fantastisch strahlend. Die Sichel wird auch mal „poetisch“ mit einem Türkenschwert verglichen und ein Bohrer genüsslich in den Schädel geschraubt, dessen Träger schreit und zetert. Diese dekadente Fin de siècle-Rhetorik, gedichtet von Albert Giraud, vertont Schönberg in der Übersetzung von Otto Erich Hartleben, 1912 in Berlin uraufgeführt. Einige wenige lyrische Momente gibt es, ein Walzer wird angedeutet, die Flöte begleitet solistisch den Sprechgesang, es gibt auch anämisch homophones Zusammengehen aller Instrumente (Eine blasse Wäscherin). Vielleicht ist der Klang in diesen Gewölben zu direkt und für die Sprechstimme zu laut, sodass es schnell forciert klingt.

Telemanns Solofantasien fügen sich hervorragend ein

Die drei Abschnitte á sieben Gedichten werden jeweils mit einer der wunderbaren Solofantasien Georg Philipp Telemanns eingeleitet, was hervorragend aufgeht. Zuerst auf der Violine, im zweiten Abschnitt auf der Querflöte. Im dritten Block geht der Cellist sogar zu einer bereit gelegten Viola da gamba, um aus den erst 2016 wiederentdeckten Fantasien für die „Basse de Violle“ die 10. wie aus dem Stehgreif mit wilden Akkordbrechungen zu zelebrieren.

An jede der drei Telemann-Fantasien hat Pianist Prach Boondiskulchok kleine Stücke komponiert. Sie heißen Shade 1-3 und lösen sich auch wie Schatten aus den Fantasien, um zum Pierrot überzuleiten. Konrad Elias-Trostmann fantasiert zur Eröffnung auf der Violine, geht dabei im Raum umher und bittet seine fehlenden Mitwirkenden, die im Publikum sitzen, nach vorne. Mit dem mikrotonal absinkenden Echo der letzten Phrase macht er deutlich, dass es woanders hingeht. In Shade II mischt sich die Bassklarinette erst mal zum Duett mit der Flöte ein. Im letzten Shade III steigt das Klavier schließlich mit einer Repetition auf dem Schlusston der Gambe ein. Und mäandert dann wie in Louange à l’Éternité aus Messiaens Quatuor pour la fin du temps davon.

Der erste Abend ist also ein wohldurchdachter und klug konzipierter Musikabend und auch auf höchstem Niveau musiziert. Allein es fehlte das Träumerische im Hauptstück.

Heute Abend geht es weiter mit den Konzerten „In die Nacht hinein“ und am Sonntag, morgen, mit „Kerzenlicht“. Beginn ist jeweils 20 Uhr.

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