RT_21: Barbara Frey eröffnet ihre neue Ruhrtriennale-Intendanz und spielt fantastisches und bürgerliches Grauen aus: mit Poes „The Fall of the House of Usher“ und Neuwirths „Bählamms Fest“

Böse Ahnungen, die Urängste wachrufen, Schockstarre auslösen: Edgar Allen Poe spielt in seinen Geschichten vor allem mit unserer Schauder-behafteten Vorstellungskraft. Die wurde bei der Eröffnungspremiere des Schauspiels „The Fall of the House of Usher“ in der Regie von Barbara Frey leider nicht herausgefordert. Olga Neuwirth klemmt in ihrem Musiktheater „Bählamms Fest“ nach einem Drama von Leonora Carrington Familienhorror in vier Wände ein. Die Regie des Dubliner Duos Dead Center sprengt die Wände eines Einfamilienhauses und deckt bunt, blutig bis trashig-grotesk Missbrauch an Mensch und Tier auf! (Von Sabine Weber)

(14. August 2021, Maschinenhalle Gladbeck, 15. August 2021, Jahrhunderthalle Bochum) Olga Neuwirth nennt im Programmheft ihr intermediales Theater Bählamms Fest von 1998 ihr eigenes „Haus Usher“. Hat sie das gesagt, um zu Barbara Freys Edgar-Allen-Poe-Premiere eine Verbindung zu schaffen?

Der Untergang des Hauses Usher. Foto: Matthias Horn

Nach Bählamms Fest am Sonntag waren wir geradezu dankbar für die Spannung, die während dieses Stücks gefangen hielt. Die hat am Abend zuvor gefehlt. Barbara Freys Poe-Abend, der einen Poe-Kosmos bieten sollte und in die berühmteste Erzählung vom Fall des Hauses Usher noch vier weitere Erzählungen hineinmontiert, ist mühsam nervig. Zu allererst wegen der meist einfallslosen Musik: Zu Anfang ein stupides Klavier-Staccato: Cluster – Pause – Cluster – Pause … an zwei Klavieren, das mit immer gleichen absteigenden vier Tönen durchsetzt 20 Minuten lang gehämmert auf der Klaviatur von oben nach unten wandert. Bereits nach einer Minute ist klar, wie es weitergeht (Musik: Barbara Frey und Josh Sneesby nach Pink Floyd, The Doors, TinmberTimbre u.w.). Möglich, dass das in der Pop-Rockmusik mit den richtigen Instrumenten hätte Ambiente erzeugen können. Auf dem Flügel wirkt das nicht, macht allenfalls mit Blick auf die in einer Reihe aufgestellten Maschinen in der eindrucksvollen Ziegelhalle der Industrieanlage Zeche Zweckel Sinn. Aber wie der einstige Sound in der „elektrischen Centrale“ bei der Umformung von Druckluft in elektrische Energie  geklungen hat, wissen wir ja nicht. Die beiden Flügel, ineinander vor den Maschinenungetümen aufgestellt, sind neben Klangröhren und Gongs, ein paar Stühlen und Bücherhaufen die einzige Ausstattung. Ahnungen und Stimmungen erzeugen ebensowenig die zwei Harmonien, die unentwegt vom Band sich wiederholen oder die austauschbaren Melodie-Fetzen, die Tommy Hojsa, der zweite Pianist, dann live auf dem Akkordeon spielt. Josh Sneesby leitet von einem Laptop aus auch einige Geräuschkulissen.

Der Ruhrkohle-Chor zieht ein. Foto: Matthias Horn

Die Folksong-verhaftete Melodie von Solisten des Ruhrkohle-Chors von draußen herein gesungen, zwischendurch mal wieder angestimmt bis der Chor zum Schluss singend hineinmarschiert, scheint mehr eine Reverenz an das Ruhrgebiet denn dramatischen Bezug zu Poe herzustellen.

Abgesehen von kurzen Momenten der Spannung ein langatmiger Abend

Foto: Matthias Horn

Beeindruckend allerdings sind die sechs Schauspieler des Burgtheater-Ensembles, das Stück ist eine Koproduktion mit Wien, die Poes Prosaliteratur immer wieder abwechselnd, auswendig rezitieren. Eine große Leistung. Wenn sie Teleprompter an der Hinterwand gehabt hätten, wäre das ihnen gern gegönnt. Poe auf Englisch von Debbi Korley vorgetragen, hat in diesem Zusammenhang einen besonderen Klang. Wenn es Frey also darum gegangen ist, die literarisch sprachlichen Qualitäten der Poe‘schen Texte als solche fühlbar zu machen, dann wäre das gelungen, hätten die Aktionen der Schauspieler, teilweise auf dem Niveau von kollektivem Improtheater, nicht so abgelenkt. Auch die ausgeklügelte Lichtregie konnte da nichts groß retten. Abgesehen von kurzen Momenten der Spannung, beispielsweise während der Berenice-Erzählung und einem zur originalen E-Gitarre auf der Bühne gesungenen Song, ein insgesamt langatmiger Abend. Ob Armin Laschet, der erstaunlicher Weise anwesende Ministerpräsident von NRW in der ersten Reihe geschlafen hat, konnten wir von hinten nicht sehen.

Bählamms Fest in der Jahrhunderthalle Bochum. Foto: Volker Beushausen

Die Komponistin Olga Neuwirth, zur zweiten Premiere am Sonntag des Eröffnungswochenendes dieser Ruhrtriennale in die Jahrhunderthalle von Wien nach Bochum im Zug gereist, sitzt hellwach in der dritten Reihe. Es ist die fünfte Produktion ihres ersten Musiktheaterwerks Bählamms Fest in 13 Bildern, das 1999 bei den Wiener Festwochen uraufgeführt wurde. Ihr letztes Bühnenwerk Orlando hat 2019 in Wien eine umjubelte Uraufführung gefeiert.

Olga Neuwirth. Foto: Harald Hoffmann

Die musikalische Handschrift Neuwirths zeichnet sich durch ein komplexes Zusammenspiel heterogener Klänge und Klangmaterialien aus. Sie überlagert Grenzen, um definierten Neuraum frei zu erweitern. Elektronische Klänge wie E-Gitarre bringt Neuwirth immer in ihre Partitur, und hat für Bählamms Fest einen großen Part für die Theremin-Solistin Lydia Kavina komponiert. Das Theremin ist eine der ersten elektronischen Instrumentenerfindungen und wird über Antenne nur mit Gesten angesteuert. Die Uraufführungsthereminspielerin Kavina ist für diese Produktion extra angereist.

Cambreling und Ensemble Modern bewältigen Neuwirths Partitur souverän

Klänge kommen aber auch vom Band, ein Band läuft schon während das Publikum die Tribüne in der Jahrhunderthalle besetzt. In Surround-Technik umgeben uns dann später zunächst schmatzende Essgeräusche. Neuwirth hat zur Musik auch Videosequenzen festgelegt. Sogenannte „flackernden Klangraumbilder“, wie sie das nennt. Zu massiven und changierenden Klangflächen, vom Ensemble Modern gespielt, gibt es Volksliedhaftes, Kinderliedmelodien oder Märsche werden collagiert. Souverän leitet Sylvain Cambreling von der Seite her die Musiker,  eine Mega-Riesenpartitur vor sich. Auch das obligatorische Trompetensolo fehlt nicht, hier mit gestopfter Trompete leicht jazzig. Neuwirth hat Trompete gelernt.

Schon die Musik ist eine Wundertüte. Die Handlung von Bählamms Fest, mit einem Libretto von Elfriede Jelinek, fußt auf dem surrealistischen Drama der britisch-mexikanischen Malerin und Autorin Leonora Carrington aus dem Kriegsjahr 1940. Zeitschleifen und Erinnerungen spielen eine Rolle, Kryptoerinnerungen, bei denen nicht gesagt werden kann, was real, was fantasiert erinnert wird. Das Schreien der Lämmer, Carringtons realer Erinnerung von einer Zugreise mit einen Waggon voller brüllender Schafe geschuldet, spielt als surreales Element in das soziale Familiendrama hinein.

Ein Blick in den Abgrund familiärer Ödnis

Hillary Summers als despotische Mutter und Katrien Baerts als Theodora. Foto: Volker Beushausen

Auf der Bühne hat Bühnenbildnerin Nina Wetzel eine Heide gepflanzt und ein Haus hingestellt. In ihm hat die despotische Mutter in lachsfarbenem Morgenmatel und Turban im Rollstuhl das Sagen (Hillary Summers, Uraufführungsaltistin der weiblichen Hauptrolle von Kurtags Fin de Partie). Aber auch sie wird von ihrer Vergangenheit eingeholt. Irgendwann steht ihr Kinddouble auf der Bühne (ein Solist des Knabenchores der Chorakademie Dortmund). Ihr Sohn Philipp ist Alkoholiker (Bariton Dietrich Henschel) Er taucht mit Männerkappe und in Stiefeln mit Flinte wie ein schottischer Landmann auf. Er will den Lämmer-reißenden Bestienkiller stellen. Jeden Tag findet der Schäfer einen Kadaver, der irgendwann auch im Haus liegt. Theodora mit langem Haarzopf (Sopranistin Katrien Baerts) ist dessen junge Frau und flüchtet sich vor der Unerträglichkeit in dieser Familie ins Kinderzimmer. Philipp hat sie geheiratet, weil seine Frau zuvor in einer blutrünstigen Nacht mysteriös verschwunden ist. Der Hund, Henry, hat menschliche Gestalt (Graham F. Valentine), so wie Jeremy, der zweite Sohn Mensch-Wolf sein soll (Countertenor Andrew Watts).

Auch klanglich surreales Theater!

Woher kommt der Wolf! Foto: Volker Beushausen

Menschliches und Tierisches durchmischen sich. Und auch klanglich ist dieses Theater surreal: Es wird gesungen und geheult. In der Inszenierung von Ben Kidd und Bush Moukarzel (Dead Centre) tauchen die Lämmer als Nonnen mit schwarzem Schleier auf. In Projektionen auf die Bühnenhäuserwand bekommen menschliche Schatten einen Wolfskopf oder summiert sich ein Wolfsrudel. Menschen starren ihr Projektionsbild an. Wer ist wer? Vor allem wer ist Aggressor, Täter, Widerständler, das ist zur Zeit der Entstehung der dramatischen Vorlage 1940 eine zentrale Frage gewesen.

Die verschwundene Frau von Philipp taucht jedenfalls wieder auf, ob als Wiedergängerin oder was auch immer. Neuwirth hat ihr eine große Koloraturpartie komponiert hat (Gloria Rehm). Sie verschwört sich mit Philipp gegen Theodora, die mit Jeremy fliehen will. Aber auch gegen die Despotenmutter, denn sie ruft Polizisten ins Spiel, die in damaligem BRD-Polizeigrün-beige-Uniformen sich wie Hunde aufführen und der Ursache der verschwundenen Ehefrauen, also ihrem Verschwinden, nachspüren sollen. Immer wieder rotiert das Haus auf einer Drehbühne zu Orchesterzwischenspielen. Bei einem dominiert das Theremin, bei einem weiteren gibt es Militärfanfaren oder Kinderlieder in Collagen verbunden.

Der Blick in den Abgrund brutal, grotesk, komisch ist das Erlebnis und pralles Musiktheater

Der Schafsbock als Satyr mit Hörnern. Foto: Volker Beushausen

Plötzlich sitzt der Schafbock der Herde wie Harvey Weinstein mit Bademantel im Haus und lässt sich von einem Opferschaf entsprechend bedienen. Das wird hinterher an einem Teich vor dem Haus von Jeremy gekillt. Das Wasser färbt sich blutrot. Ist Jeremy also der Lämmermörder? Alles ist möglich. Schlussendlich ist er tot und tritt als Geist auf. Philipp wird auf der Bahre hineingetragen. Theodora bleibt zurück und beschließt zu überleben. Ein Hoffnungsschimmer? Das Teichwasser vorne auf der Bühne, in dem sich schon bei Poes Usher-Erzählung das Grauen durch widergespiegelte Baumstümpfe manifestiert, ist wieder rein. Ein geisterhafter Chor stimmt das Schlussfinale an nach einem prallen multimedialen Theatererlebnis, bei welchem noch längst nicht alle Rätsel gelöst sind.  Der Blick in den Abgrund brutal, grotesk, komisch ist das Erlebnis.

Musikalisch erwartet diejenigen, die ein Karte für die längst ausverkauften Aufführungen ergattert haben, großes Theater, auch wenn, kleiner Wermutstropfen, die Klangbalance der Sänger, die zu Anfang auch Sprechpartien zu bewältigen haben, nicht ganz optimal eingestellt war. Das kann in den folgenden Aufführungen ja noch verbessert werden. Die nächste ist heute. Und ab heute bis zum 25. August um 00.00 Uhr ist  Bählamms Fest als VOD für 5€ abrufbar. Wer nach Bochum reist sollte sich die dokumentarische Video-Installation 21 Erinnerungen ans Erwachsenwerden von Mats Staub in der Turbinenhalle hinter der Jahrhunderthalle nicht entgehen lassen. Menschen, die im Jahr 1939 bis fortlaufend 2020 ihr 21. Lebensjahr erreicht haben, berichten über ihre Erfahrungen. Spannend, was diese Zeitzeugen beschäftigt!

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