Winterreise(n)! Rezitiert zu atmosphärischen Improvisationen von Laute und Saxophon. Und im Schubert-Original von einem jungen Klavierlied-Duo, das sich auf dem Cover in Pose bringt

Als Sven Erich Bechtolf den Ring des Nibelungen erstmals nur einlas, war das eine Sensation. Richard Wagners Schüttelreime und sprachliche Lautspielereien ohne Musik? Und das mit erstaunlicher Wirkung. Anfang dritter Aufzug Die Walküre, gelesen, ist eine Wildwest-reife Pferdeszene, die Bechtolf wunderbar auskostet! Wagnerdichtung ist in Thüringen und Sachsen schließlich auch mal Schullektüre gewesen. Jetzt also Heinrich Müllers Winterreise gelesen auf einer neuen CD beim Label Oehms Classics. Gedichtverse, die den Ruch des Zweitklassigen noch nie abstreifen konnten. Dessen Verse werden ja auch immer nur mit Franz Schuberts Vertonung in die Waagschale geworfen.

Die Klangeinheit Theorbe/ Erzlaute und Saxophon funktioniert erstaunlich gut

Die neue Aufnahme ist auch der Versuch, die Winterreise in neues musikalisches Licht zusetzen. Schauspieler Stefan Hunstein rezitiert mit erstaunlich jugendlicher Stimme. Axel Wolf ist mit von der Partie, ein renommierter Lautenist der Alten Musik-Szene, Solist, und in Barockopern regelmäßig gebuchter Continuo-Spieler. Und Jazzmusiker und Saxophonist Hugo Siegmeth. Wolf und Siegmeth haben schon zuvor CDs mit Musikexperimenten gefüllt, die hören lassen, dass die Klangeinheit Theorbe/Erzlaute und Saxophon erstaunlich gut funktioniert. Vor allem barocke Zupfinstrumente sich jazzy und latinoverhaftet geben, ohne dass typisch barocke Idiome nicht wie selbstverständlich mit einfließen könnten.

Da swingt der Bossa nova …

Diesen Höreindruck gewinnt man auch bei ihrer Winterreise. Da swingt der Bossa nova aus gezupften Saiten für Gefrorene Tränen. Nach einer kleinen Vorausimprovisation mit Sopransaxophon verstummt verschreckt die lockere Musik. Plötzlich Stimme. Verse. „Ich suche im Schnee vergebens nach ihrer Tritte Spur!“ Zwei Strophen a voce sola – dann wieder treibende Begleitung. Und so weiter im Wechsel bis zu „mein Herz ist wie erstorben“. Nur noch einsame ersterbende Töne des Tenorsaxophons sind übrig von der Begleitung. Sie leiten über zum Lindenbaum, den Stefan Hunstein – das Grab hat er hinter sich gelassen – nachdenklich vor sich hin singt. Wie eben so ein Volkslied gesungen wird. „Ich träumte von schönen Blumen“ singt er auch mit leichter Walzeranmutung an. Für Die Krähe wird andeutungsweise auch mal gekrächzt. Wolf zieht immer wieder neue, gern auch ostinate Begleitmuster aus dem Hut. Und schmuggelt auch Flamencoharmonien ein. Zu ,,zittere ich was ich zittern kann“ dann typisch barocke Lautenfloskeln wie Fetzen aus einem Prelude non mesuré. Und nach „falle ich auf mein Grab…“ furzt das Sax vulgär hinein, dass man in diesem morbiden Dauerzustand geradezu befreit aufatmet. Im Dorfe fetzt Hunstein wie Joe Cocker zu einer Bluesrock-Begleitung und jault auch hündisch dazu. „Ich bin zu Ende mit allen Träumen….“ Passende Schlusszeile. Die letzte originale Zeile wird gestrichen.

Hätte die Müllersche Winterreise mit Hunsteins Rezitation ohne Musik getragen?

Diese Winterreise ist also Triosache. Und dem Trio fällt viel ein. Wie vor, nach und mit Wort durch dramatische Einschübe, Lautmalereien, und eben verrücktesten Begleitmuster immer anders und stets mit contenance gestaltet wird! Die Musiker wiegen die Sprache rhythmisch und unterbrechen sie mit Generalpausen. Um gleich schon wieder weiter zu jagen. Saxophontöne flattern auch mal geisterhaft ums Gesprochene. Die Improvisationen von Siegmeth lassen den Stilkundigen Jazzer hören, der im Ton immer elegant bleibt. Die Melodielinie wird auch mal original von einem Sopran-, Alt- oder Tenorsaxophon voraus „gesungen“. Die Klavierbegleitung von der Laute übernommen. Der Leiermann klingt auf der Erzlaute sogar wie eine französische Musette zur Zeit Ludwigs des XIV. Nichts bleibt musikalisch zu wünschen übrig. Allein, manches Mal hätte man gern gewusst, hätte die Müllersche Winterreise mit Hunsteins Rezitation auch allein getragen?

Eine Mischung aus Wintergeist und David Bowie …

Die Winterreise hat ihren Siegeszug mit Musik angetreten. In zahlreichen Aufnahmen. Und ist bereits unzählige Male überarbeitet worden, hat zahlreiche Remakes über sich ergehen lassen. Als Grund raunte mir ein renommierter Klavierbegleiter mal zu: „it sells!“ – Die Winterreise verkauft sich eben! Und da wird für das Marketing aktuell etwas gewagt. Jedenfalls auf der neuen und „klassischen“ Winterreisen-Aufnahme beim Label ARS Production. Der Sänger posiert als eine Mischung aus Purcellschem Cold Genius und David Bowie mit Kajal-umrandeten Augen mit seinem Liedbegleiter oder Liedbegleiterin? Beim besten Willen nicht zu entscheiden. Auf Androgynität wird hier angespielt. Voguing darf zu dieser Art Posing aber nicht gesagt werden, wie mich ein Kommentar zu einer klassikfavori-Opernrezension belehrt hat. Rücken an Rücken haben sie sich jedenfalls einen Fuchspelz umgeworfen und schauen herausfordernd dem Betrachter ins Gesicht.

Der junge Bariton Benjamin Hewat-Craw, den ich zufälliger Weise im Rahmen des Rape-of-Lucrezia-Projekts der Kölner Hochschule für Musik und Tanz gesprochen habe, hätte ich nicht wiedererkannt. Sein Liedbegleiter Yuhao Guo, chinesischer Name? Ist gebürtiger Kölner und sieht mit Brille auch ganz anders aus. Er hat in Köln als Jungstudent bei Nina Tichman angefangen und nach seinem Konzertexamen hier auch Liedbegleitung studiert.
Jetzt wagen die beiden ihre Debüt-CD mit einer Gratwanderung aus Melancholie, Schmerz, Weinerlichkeit bis hin zu tiefer Verzweiflung. Die beide Schubert-Zyklen Müllerin und Winterreise werden nicht von ungefähr mit Seelenwanderungen verglichen. Die Winterreise als eine durch scheinbar erstarrte Landschaft mit unerwartet blutig heißen Schlieren. Ist das Repertoire für eine Debüt-CD?

Beachtlich ist das Ergebnis. Hewat-Craw verfällt nicht in Manirismen, wenn vom gelegentlichen Anschleifen eines hohen Tones über einen Kopfton wie bei „will dich im Traum nicht stören“ mal abgesehen wird. Hier ein kleiner Versprecher: „wie auf dem Bauch“ statt „wie auf dem Dach“ in Die Wetterfahne. Manchmal die Tendenz zum Eindunkeln der Stimme, um schmelzig zu klingen. Wenn der Affekt drückt, wie in Erstarrung, oder auf das „heiße Weh“ in der melancholischen Wasserflut, dann leidet die Aussprache allerdings ein bisschen.
Dennoch gelingt Hewat-Craw eine intensive Gestaltung. Ruhe strahlen vor allem lang gezogenen einfachen Kantilenen aus. „Hier findst Du…“
Yuhao Guo seziert klar seinen Begleitpart und begleitet deutlich. Oft allerdings nicht in genügend weit gedachten Phrasen. Manche Details meißelt er vielelicht zu hart heraus. Der Windhauch vor dem Lindenbaum weht schon in der Einleitung viel zu bedrohlich. Manchmal klingt es holzschnittartig wie unter „seine Zweige rauschten“. Zu wenig abgründig in den Felsengründen im Irrlicht. Und „Nun merk ich erst wie müd ich bin“, klingt nicht wirklich müde. Bei beiden nicht. Und das liegt an der meist zu aktiv geschliffenen Begleitung. Auch mit der Tempowahl machen es sich die beiden nicht leicht. Der Frühlingstraum beginnt zu langsam, was wieder den holzschnittartigen Effekt auslöst. Ausbrüche sind nicht ganz im Verhältnis. Plötzlich zu laut, und wieder zu zurückgenommen. Die harmlose Begleitung im Klavier müsste nach dem ersten Ausbruch in der zweiten Strophe des Frühlingstraums auch eine Reaktion zeigen, wenn sie vor der dritten Strophe wiederkommt. Nichts kann mehr so sein, wie es einmal war. Jedenfalls nicht in der Winterreise. Tief empfundene Melancholie drückt sich in einem Hauch von Agogik aus. Auf einem Wort, oder in einer subtil umgeleiteten Überleitung. Volksliedhafte Leichtigkeit, die in ihrer Harmlosigkeit eine Ahnung von der Tragödie des Sterben vermittelt, das ist große Kunst. Ist es verwunderlich, dass diese jungen talentierten Nachwuchskünstler das noch nicht in jedem Moment drauf haben? Am allermeisten noch in den beiden letzten Liedern. Ende gut, aber nicht alles. Die Winterreise von Hewat-Craw und Guo ist ein mutiges Wagnis aber mit kleinen Ecken und Kanten nicht ganz gelungen. In 10 Jahren möchte man mit den beiden aber unbedingt noch einmal auf Winterreise gehen!

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