Tu es felix Colonia! Das Festival Felix Original. Klang. Köln. ist von Il Giardino Armonico eröffnet worden!

„Wir brauchen Musik“, begrüßt der Intendant der Kölner Philharmonie Louwrens Langevoort das in sein Haus zurück gekehrte Publikum. Letztes Jahr ist das Alte-Musik-Festival Felix Original. Klang. Köln. neu gestartet (siehe klassikfavori-Rezension). Und Felix trotzt in seiner zweiten Spielzeit Corona und bringt nicht nur Ensembles mit großen Namen an den Start. Grenzgänge werden gewagt. Und Newcomer der Alten Musik gibt es zu entdecken. Am Samstag wechseln sich acht Ensembles bei freiem Eintritt an drei weiteren, fussläufig voneinader entfernten Spielstätten um die Philharmonie ab. Alles natürlich nach streng ausgetüftelten Corona-Spielregeln. (Von Sabine Weber)

(27. August 2020, Kölner Philharmonie)

Patricia Kopatchinskaja. Foto: Gorgia Bertazzi

Die hat man schnell vergessen, wenn eines der berühmtesten italienischen Originalklang-Orchester das Festival in der Kölner Philharmonie furios eröffnet und wir dabei sein dürfen. Diesem Mailänder Ensemble aus der ehemaligen Hotspotszone gönnt man den Moment. „Vivaldi Furioso!“ als Programmtitel erwies sich auch nicht als übertrieben. Zumal Patricia Kopatchinskaja, Solistin in diesem Vivaldi special ist! Gleich im ersten Vivaldi-Concerto für Streicher g-Moll RV 157 zieht sie erst einmal die Augen des Publikums auf sich. Sie schleicht sich von hinten ums spielende Ensemble hinein, steht irgendwann beim letzten der ersten Geiger am Pult, geigt mit, um dann mit heftigen Störtönen attacca die Bühne für ihr erstes Solo zu erobern. Und schon rast es durch Luca Francesconis Spiccato Il Volo, um danach fließend im Vivaldi-Violinkonzert C-Dur RV 191 zu landen. Mit ihr jetzt als Solistin vor Ensemble.

Für Patricia Kopatchinskaja zählt der spielerische bis unberechenbare Moment, den sie auch mit einem gewissen Schalk im Nacken präsentiert

Dieser Art, Werke oder Abschnitte nahtlos ineinander übergehen zu lassen, zelebriert Il Giardino Armonico seit längerem. Wobei die Reise durch die hochenergetischen Vivaldi-Konzerte über Zwischenspiele eine Schlagseite zur Neuen Musik hat. Italienische Komponisten haben ihrem berühmten Landsmann aus barocken Zeiten Hommagen erwiesen. Sie werden eingestreut. Wobei Francesconis Stück, die erste Hommage im Programm, mehr an eines der Capricci soli von Locatelli erinnert. Der Zeitgenosse Vivaldis hat in jedes seiner Violin-Konzerte am Ende unbegleitete Parforce-Ritte für den Solisten eingefügt. Gespickt mit dem, was Francesconi hier mit Doppelgriffen, Springbogen oder geisterhaften Flageolett Arpeggien verlangt. Eine willkommene Gelegenheit für Kopatchinskaja, zu zeigen, wie sie in die Extreme gehen kann. Kaum hörbar weil zu leise, kaum entzifferbar weil zu schnell, bis in die höchsten Lagen hinauf, alles immer sauber. Bewusst verzichtet sie auf den feinen Ton. Grande Dame ist nicht ihre Sache. Für sie zählt der spielerische bis unberechenbare Moment, den sie auch mit einem gewissen Schalk im Nacken präsentiert. An diesem Abend wird jedenfalls nichts routinehaft oder gar gemütlich. Zumal die 10 Streicher des Ensembles plus einer Continuogruppe aus Violoncello, Kontrabass und Cembalo zumeist kurz vor der Explosion spielen.

Bei der Probe. Foto: Lukas Fierz

Die letzte Vivaldi-Hommage klingt wie ein Thriller

Stefano Gervasonis Trio für Blockflöte, Violine und Theorbe Felsen, der Widerhall-Ade wirkt da als großer Kontrast und fordert plötzlich Hellhörigkeit. Zu den ersten getupften Tönen fällt ein Knacken der Scheinwerferlampen im Raum sogar auf, das kurioser Weise wie dazu bestellt klingt. Mit steigenden Tonleitern nimmt die Violine Fahrt auf, wobei Blockflöte und vor allem die Theorbe in dieser von „KölnMusik“ bestellten Uraufführung des Abends eher blass bleiben. Blockflötist des Abends ist natürlich der künstlerische Leiter Giovanni Antonini. In Simone Movios Incanto XXIII, das an ein mittelalterliches Bicinium erinnert, fällt Antonini im Duett mit Kopatchinskaja mit Multisonics auf. Für das mehrtönige Spiel drückt er den Schallbecher gegen ein hochgestelltes Bein. Aureliano Cattaneos Estroso von 2018, die letzte Vivaldi-Hommage im Programm, klingt mit seinen abstürzenden und einfallenden Kaskaden dann wie eine Thrillermusik. Zwei Cembalo-Akkorde stehen plötzlich im Raum, als seien sie aus der Titelmelodie der Miss-Marple-Filme heraus gefallen. Doch der Thriller des Abends ist die gerissene Saite von Kopatchinskajas Geige. Amüsiert reicht sie ihre Geige nach hinten zum Neubesaiten, greift sich die Geige des Konzertmeisters und kündigt ein Enescu-Stück an, das nur so lange dauere, wie es Zeit bräuchte, die Saite aufzuziehen!

Das Publikum ist einhellig begeistert und bekommt vier Zugaben

Der Abend bleibt bis zuletzt höchst amüsant. Das Maske-tragen im Konzert, das in Bayern ja schon lange exerziert wird, ist schnell vergessen. Auch das Nebeneinandersitzen ist neu, und erlaubt, weil alle Besucher sich mit Block, Reihe und Platznummer registrieren und nachverfolgbar bleiben – für den Fall, dass … Allerdings: so richtig in den Vivaldi-Flow kommt man nicht, auch wenn große Stücke wie das Concerto La Tempesta di mare oder das mit dem komischen Titel versehene Grosso Mogul zu Gehör gebracht und packend musiziert werden. Vielleicht liegt es an den ungewöhnlichen Kopatchinskaja-Ideen, die einige Mal aufgesetzt wirken und der Musik irgendwie einen andersgearteten Stempel aufdrücken und vom Ensemble auch imitiert werden. Irgendwann ermüden gewisse Muster und Maschen. Der Energiefluss an diesem Abend bleibt jedoch ungebrochen. Das Publikum – endlich wieder live dabei – ist begeistert und bejubelt die Künstler. Und weil niemand sich traut aufzustehen, bevor die Saaldiener auffordern, die Saaldiener aber nicht den Applaus unterbrechen wollen, gibt es mehrere Zugaben! Die Eröffnung von Felix ist gelungen!!
Das Festival Original. Klang. Köln. geht bis zum 30. August. Hier weitere Infos

Ab dem 4. Septemer ist die Musik auf CD nachzuhören. Sie erscheint beim Label Alpha 624

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