Original.Klang.Köln. Die Kölner Philharmonie widmet der historischen Aufführungspraxis ab sofort eine eigene klangliche Barock-Show. Die Eröffnungs-Gala bestritten drei junge Countertenöre mit Bravour- und Schmachtarien, die das Publikum entzückten. (Von Sabine Weber)
(29.8.2019, Kölner Philharmonie) Valer Sabadus und Terry Wey sind in der Szene bereits bekannt. Philipp Mathmann, ein Sopran-Counter, ist die Entdeckung des Abends. Das Freiburger Barockorchester hatte sichtlich große Freude, unter seinem Konzertmeister Gottfried von der Goltz die fein aufeinander abgestimmten Gesangspretiosen zu begleiten, mit Verve anzufeuern oder sanft zu unterfüttern. Beeindruckend die beiden Naturhornspieler, die mit wie vielen aufgesetzten Bögen ihre Instrumente auf Ton bringen mussten und immer wieder Risikobereit hinein schmetterten, trillerten und den Schalltrichter für die Intonation – keine Taste und Ventil nirgends – meisterlich stopften. Meine Stuhlnachbarin war regelrecht beglückt, in der „Horneinblasschneise“ zu sitzen! Und mal begleiteten die Streicher mit wogenden Tonrepetitionen oder mit schwungwollen Bogenwürfen, die die Arme hochfliegen ließen. Das Orchester und die drei herrlichen Solisten schaukelten sich lustvoll hoch und genossen es, mit der ganzen Bandbreite an barocker Ausdrucksrhetorik, das Publikum mitzureißen. Von Liebesschmerz, Eifersucht bis hin zur heldenhafter Selbstdarstellung wie in „Sta nell‘Ircana“, einer der berühmtesten Arien aus Georg Friedrich Händels Alcina. Diese Arie, in der sich der Held aus dem Gerusaleme liberata Epos mit einem Tiger vergleicht, hat schon ein Fritz Wunderlich, freilich als Tenor, kurz nach der Wiederentdeckung dieser Oper mit Leidenschaft geschmettert. Hier Terry Wey, der an diesem Abend mit der ausgefeilteste Stimmtechnik, einem abgerundeten Schmelz, mit wohl dosiertem Manirismus – gehört dazu! – und gestochen scharfen Koloraturen auffiel. Hinreißend gestaltete er die Schlafarie „Sol da te mio dolce amore“ aus Antonio Vivaldis Orlando furioso, Vivaldis vielleicht bester Oper, in der er erstmals obligate Instrumente vorschreibt. In dieser Arie eine Traversflöte. Daniela Lieb gurgelte nicht nur im Vorspiel virtuos in den Schlaf, sondern schmiegte sich auch an die Gesangslinien perfekt an. Ein wunderbarer Effekt! Und nicht nur Kastraten-Repertoire wurde an diesem Abend absolviert. Philpp Mathmann übernahm für das Einstiegstrio des Abends auch mal eine weibliche Mezzo-Partie und stemmte entrückt hohe Töne in den Raum. Oder lieferte sich als Zauberin Armida mit Rinaldo aus Händels Rinaldo – wieder nach Tassos Gerusaleme liberata – einen Streit, der mit rezitativisch und ariosen Elementen aufwartet, alles gestig lebendig unterstützt, gelebt. Eisperlen lieferte das Barockorchester mit den seit Purcells Frostarie aus King Arthur berühmten Tonstaccati, damit Farnace alias Valer Sabadus sein Liebesleid wie ein Erfrieren zelebrieren durfte und mit unglaublich geschmackvollen Verzierungen beim Da capo bezauberte. Darin ist er der Meister des Abends. Philipp Mathmann vielleicht noch so etwas wie ein Rohdiamant, aber seine Höhe schon auch mal mit Volumen ausspielend, die kleinen rein technischen Defizite durch seine Bühnenpräsenz völlig vergessen machend, durfte die Arie „Alto Giove“ aus Nicola Porporas Polifemo interpretieren. Und löste in der Counter-Kastraten-Fan-Gemeinde sicherlich einen sentimentalen Erinnerungseffekt aus. Denn mit dieser Arie hat schon der Soundtrack zu Gérard Corbiaus Farinelli-Film aufgewartet. Und hat 1994 einen regelrechten Kastraten-Hype ausgelöst und die Countertenöre in die Aufmerksamkeitszone katapultiert. Allerdings waren die Counter damals wohl noch nicht so weit, Arien wie heute Abend so perfekt zu liefern. Die Stimme von Counter Derek Lee Ragin wurde damals mit Eva Malas-Godlewskas hohen Koloraturen „verschnitten“. An all das erinnerte diese Gala, die von der ersten bis zur letzten Minute musikalisch aufgegangen ist. Abgeschmeckt mit einem kleinen instrumentalen Furien-Ballo über einen schönen Traum in französischer Manier des Trios mit hohe Stimmen, der Bass wird von Bratschen übernommen, gefolgt von einem wirbelnden Albtraum mit allen Streichern im unisono wild jagend, bis hin zu einem Nachttraum, abgelöst wieder von den guten Trio-Geistern des Anfangs am Schluss.
Dieses Konzert hat ein gelungenes Startsignal für ein neu beginnendes Festival gegeben, dem man viel Glück wünscht aber auch hofft, dass es nicht alle städtischen Subventionen für die sich gerade wieder neu formierende und pulsierende Alte-Musik-Szene abzieht.
Übrigens von philharmonie.tv mitgeschnitten und hier nachzuhören und sehen.