Roland Schwab inszeniert den “Bajazzo” als düster-schwarze Tragikomödie für Essen

(Titelfoto: Matthias Jung) Das Abonnements-Publikum haben wir in Essen doch immer eher als reserviert erlebt. Nach der kurzfristig freigegebenen Premiere am Aalto-Theater stehende Ovationen! Ruggiero Leoncavallos „I Pagliacci“ – „Der Bajazzo“ – ist ja auch ein Publikumsstück. Mit herrlich eingängiger Musik. Und der berühmtesten Tenor-Arie aller Zeiten. Angeblich ist das die erste Arie, die je auf Schallplatte gebannt wurde. „Ridi Pagliacci – Lache Pagliacci“! Zu Lachen gibt es allerdings wenig. Regisseur Roland Schwab taucht die zwei Akte von etwas über 70 Minuten Länge in bitter-düsteres Schwarz und inszeniert mehr Tragik als Komödie, die auf einer Bühne auf der Bühne stattfindet. Bajazzo liegt von vornherein in Ketten, an denen sein Gegenspieler Tonio zerrt. (Von Sabine Weber)

(03. Juni 2021, Aalto-Theater, Essen) Die Bühne ist schwarz und wird von schwarzen Männern wie in einem düsteren SciFi von Rauch umnebelt dominiert. Mit Lichterketten ist ein Zirkuszelt angedeutet. Das fällt allen buchstäblich auf die Füße. Und dann wird es grell. Das Licht-Gestänge aus dem Bühnenturm kommt dann auch noch runter! Das Dunkle wird schonungslos ausgeleuchtet. Ein Mord ist passiert. Ecce homo!


Seth Carico (Tonio), Sergey Polyakov (Canio). Foto: Matthias Jung

Canio gehört zu einer Wanderschauspieltruppe, die jeden Abend ein Eifersuchtsdrama als Komödie vorspielt. Er spielt Bajazzo, eine gedemütigte Figur aus der Comedia dell‘arte. Seine Frau Nedda spielt Columbine, die im Spiel Bajazzo mit Harlekin betrügt. Dass Nedda ihren Mann im wahren Leben hintergeht, hat Canio kurz zuvor erfahren. Weil sie den Namen ihres Liebhabers nicht preisgeben will, bringt Canio sie auf offener Bühne um, im Komödienspiel, im Eifersuchtswahn. Spiel und Wahrheit kann er nicht mehr trennen. Und auch der Liebhaber Silvio wird schlussendlich gemeuchelt.

Das Lachen und Verzweifeln ist in jedem Moment präsent

Die Magie zwischen Sich-etwas-Vorspielen und realem Spiel führt in der Regie von Roland Schwab zwingend zum Showdown. (Siehe auch das klassikfavori Interview mit Schwab nach der Premiere) Schon während der Ouvertüre wird die Katastrophe vorweg genommen. Im Film ist zu sehen, wie Sergey Polyakov als Canio/ Bajazzo mit blutverschmiertem Rib Shirt im Bühnen-off des Aalto-Theaters verfolgt herum irrt. Dem von Eifersucht gepeinigten Canio blickt man filmisch immer wieder in verzweifelte blassblaue Augen, und spürt in jedem Moment seine Getriebenheit, das Drama „Lachen oder Verzweifeln“ steht ihm ins Gesicht geschrieben.

„Theater muss sein!“

Den Prolog, der über den Tatort Leiden sinniert, über Lieben, Hassen und zynisches Lachen in der Wahrheitssuche nach dem, was den Menschen ausmacht, seine Seelenabgründe, und was der Verismo auf der Bühne „echt“ zu zeigen sich vornimmt, hat Leoncavallo nachträglich hinzu komponiert hat. Diesen Prolog zieht Schwab ins Stück hinein. Denn Canio/ Bajazzo wird dazu als Mörder und lebendiges Beispiel vorgeführt. Tonio zieht ihn an der Kette auf die Bühne. Wie ein Verfemter ist der Gefangene mit einem Schild gebrandmarkt: „Theater muss sein!“ Das brauchen wir angesichts Corona-Zeiten jetzt nicht zu kommentieren.

Nedda/ Columbine mit Klimbim-Effekt

Die Frauen kommen in dieser Premiere allerdings schlecht weg. Sie werden auf schwarze Seidenstrümpfe und blöde rote Lackschühchen reduziert, sind Objekte von Männern. Frauenbeine ragen gleich zu Anfang aus schwarzen Müllsäcken heraus und wippen neckisch. Nedda darf die Schühchen während ihrer wunderbaren Auftrittsarie abstreifen. Ein romantischer Moment für Gabrielle Mouhlen, die ihren kraftvoll dramatischem Sopran auf lyrisch umstellt, um die Vögel zu besingen, vom Wegfliegen zu träumen und auf einer Schaukel zu schwingen. Als Columbine in der gespielten Komödie geriert sie sich dann aber zu sehr als Klimbim-Ingrid-Steeger. Das ist nervig, wie die Regie sie rumhoppeln lässt.

Überzeugende Ensemble Leistung

Seth Carico (Tonio) Foto: Matthias Jung

Der hässliche Tonio mit entstellter Gesichtshälfte ist als durchtriebener Playmaker der Gewinner im Spiel und omnipräsent. Seth Carico kostet seine Präsenz auf der von ihm dominierten schwarzen Bühne spielerisch – zwei Mal auch begleitet von einem maskierten Bühnentrompeter – und seine dramatische Gesangspartie dämonisch aus. Silvio, Tobias Greenhalgh, bringt als Neddas Sonnyboy in weißem Anzug einzig mal etwas Helles auf die schwarze Bühne von Piero Vinciguerra. Sergey Polyakov in der Titelpartie meistert einen anspruchsvollen Part. Als Pique-Dame-German war er in vergangenen Spielzeiten auf NRW-Bühnen erfolgreich zu erleben. Hier scheint er zu Anfang etwas Mühe zu haben, in seinen Ton zu finden. Seine stimmliche Verve spart er bis zur berühmten Arie kurz vor Ende des ersten Aktes auf. Dafür gibt es dann auch Applaus. Robert Jindra und die Essener Philharmoniker werden für ihre klanglichen Leistungen nach der Vorstellung euphorisch bedacht. Und auch der Chor, der von den obersten Rängen her das Geschehen wie ein imaginärer Teil des Publikums kommentiert hat.

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