„Das Kind im Erwachsenen“ wollte die Regisseurin Beatrice Lachaussée mit ihrer Inszenierung ansprechen. Das ist ihr wohl gelungen, jedenfalls den Lachern im Publikum nach zu urteilen, die vornehmlich vom „älteren“ Publikum kamen. Immer wieder durchziehen erwachsenentaugliche Gags das doch bitterernste Musikmärchen von Engelbert Humperdinck, wie zum Beispiel eine als Video-Projektion auf den Waldvorhängen zu Gretels Lied „Ein Männlein steht im Walde“ herumhüpfende Hagebutte, zwei „Findet Nemo“-Fische, die gemeinsam mit anderen video-animierten Tieren Hänsel und Gretel bei ihrem Abendlied begleiten oder nicht zuletzt der Tanz der Knusperhexe in knatsch engen, rosa Glitzer-Leggings an ihrem gigantischen Zuckerstab wie an einer Pole-Dance-Stange. (Von Lina-Marie Dück)
(18. Dezember 2021, Oper Köln im Staatenhaus) „Das Kind im Erwachsenen“ will die Regisseurin Beatrice Lachaussée ansprechen. Das ist ihr wohl gelungen, jedenfalls den Lachern im Publikum nach zu urteilen, die vornehmlich vom „älteren“ Publikum kamen. Die gesamte Inszenierung ist ein Spagat zwischen der alten Märchengeschichte und verschiedensten Elementen aus der Moderne, die teilweise etwas willkürlich zusammengewürfelt scheinen, nach Lektüre der Erklärungen der Regisseurin aber durchaus Sinn ergeben.
Die Besenbinder-Familie haust Messi-like in einem verwaisten Vergnügungspark, der Auto-Scooter steht verlassen herum, genau wie der Spielomat, der noch ab und zu kläglich blinkt.
Hänsel und Gretel – obwohl doch eigentlich arm – in hippem modernem Look: Er mit Adidas-Sneakers und Wollmütze im Sommer, sie im Animé/Manga-Style mit zwei pink-gefärbten Dutts und weißen DocMartens. Zu „Brüderlein komm tanz‘ mit mir“ kombinieren die Geschwister Moves der 90er/2000er Disko-Szene – noch ein Lacher – mit TikTok-Tanzschritten. Peter Besenbinder trägt Wildlederjacke und Skater Dockermütze, ein Look, den man im Herbst häufig im Belgischen Viertel oder Ehrenfeld antraf. Doch die Armut zeigt sich gleichermaßen: er torkelt und hickst mit Bierflasche in der Hand („Ist der betrunken?“ fragt ein kleines Mädchen flüsternd seine Eltern), seine Mitbringsel ein billig aussehendes Toastbrot in der Plastiktüte und eine Cornflakes-Packung.
Das Knusperhäuschen erscheint als bunte und blinkende Fabrik, wobei Farben und Animationen von Kuchen und Törtchen erneut nur filmischer Natur sind. „Das ist ja alles gar nicht echt“ kommentiert wieder das Mädchen. In seiner Enttäuschung, kein richtiges Lebkuchenhaus auf der Bühne zu sehen, hat es wohl genau einen Teil der von der Regisseurin unterlegten Botschaft erkannt: die Hexe stehe „für etwas Künstlich-Unmenschliches“, „für eine Industrie, die die Kinder ihrer Entwicklungsmöglichkeiten beraubt“. Hell und markant leuchtet dann auch auf der Knusperfabrik der Schriftzug „Amazing Zone“, die Haufen von Lebkuchen-Paketen fertig zum Versand tun ihr Übriges, um die Allegorie auf den Konsumwahn im Zusammenhang mit Amazon zu komplettieren. Rosine Leckermaul erscheint mit roter Haarpracht, wie die der Red Queen in Tim Burtons Neuverfilmung von Alice in Wonderland, nur dass statt der Krone ein Miniatur-Knusperhäuschen auf den Locken thront. Während der Arie laszives Räkeln, sodass die hexische Völlerei vollends obszön wird – wie von der Regisseurin auch intendiert.
Bedeutet der Tod der Hexe am Ende also den ersehnten Sieg über den Konsumzwang unserer Neuzeit? Können wir uns demgegenüber unserer „Zugehörigkeit zur Natur“ „bewusstwerden“? um ein letztes Mal Beatrice Lachaussées Wörter zu nehmen.Diese Frage muss sich wohl jede Zuschauerin und jeder Zuschauer nach dem Opernkonsum selbst beantworten…
Musikalisch ist die Premierenvorstellung jedenfalls ein Genuss, den man sich in der Weihnachtszeit gerne gönnt. Das Sängerensemble überzeugt im Großen und Ganzen. Gelegentlich müssen die Stimmen arbeiten, um über das Orchester hinweg das Zuhörerohr zu erreichen. Das wird man vor allem der Bühnenkonstruktion des Staatenhauses zuschreiben, außerdem ist das Orchester vor der Bühne aufgebaut ist. Die deutlich beste Performance an diesem Abend ist die von Anna Lucia Richter, die als Hänsel ihr Rollendebüt gibt, ebenso wie Kathrin Zukowski als Gretel. Sie und Peter Miljenko Turk als Besenbinder füllen mit vollen und klaren Stimmen den Saal. Judith Thielsen gibt gelungen erstmals Mutter Gertrud. Etwas enttäuschend allerdings die in der Kölner Opernszene bekannte und erfahrene Dalia Schaechter als Knusperhexe. Ihre Stimme klingt nicht rund, einige Male sogar gepresst. Ähnlich bei Ye Eun Choi als Taumännchen und Sandmännchen. Ihr Ton wirkt bei ihrem Rollendebüt teils sogar etwas brüchig.
Das Gürzenich-Orchester unter François-Xavier Roth begleitet die Sänger märchenhaft, vor allem die Streicher bringen bei ihren großen Bögen Emotionen ins Publikum, ohne pathetisch zu werden. Das in dieser Oper so geforderte Zusammenspiel mit den Bläsern gelingt einwandfrei, die Einsätze punktgenau, die Dynamik stimmt. Roth dirigiert mit Kontrolle, dennoch leicht und mit Rücksicht auf die Sänger. So werden gerade die Zwischenakte zu einem weiteren Highlight der Aufführung. Wunderbar zudem die klangvollen und weichen Solopartien des Cellos. Schnell vergessen sind da die nur wenigen, etwas verhuschten undeutlichen schnellen Passagen der Streicher und der etwas gedrückte/gepresste Ton der ersten Geige.
Insgesamt eine absolut gelungene Aufführung – „Da kann man noch einmal Kind sein“ wie es leise aus dem Publikum tönte und eine Märchenreise genießen!