Jacques Offenbachs „Barkouf“ hat in Köln Premiere, mit Tenor Matthias Klink, der hier seine Rolle und mehr erklärt! Musikwissenschaftler Jean-Christophe Keck verrät, wie er diese Neuentdeckung gefunden hat

Nach Köln kommt er gern zurück, denn hier hat er im Kölner Opernstudio angefangen.
Als der Tenor Matthias Klink das letzte Mal in Köln war, im April dieses Jahres als Evangelist in Bachs Johannespassion mit dem Gürzenich-Orchester, musste er gleich am nächsten Tag zurück, weil er Mao („Nixon in China“ von John Adams) in seinem Opernhaus in Stuttgart singen musste. Bababeck in Offenbachs Barkouf ist auch ein totalitärerer Chef. Einmal Diktator immer Diktator? Auf gar keinen Fall, die Zwischenzeit sei mit anderen Rollenengagements gefüllt gewesen, wie er nach der Hauptprobe erzählt. Vor allem erteilt Klink im Gespräch Auskunft über das Spezielle der Rolle, die natürlich nichts mit Mao zu tun hat. Und mit viel tenoralem Sprechklang, Agogik und Gestik verrät er auch noch, was er über Bouffe und Operette denkt, über seine Mozartschublade, in der er gesteckt hat, über die Rolle seines Lebens in Benjamin Brittens „Tod in Venedig“ und was für ihn das Theatergefühl bedeutet! (Das Gespräch führt Sabine Weber)

Bababeck tanzt mit dem Blumenmädchen Maima. Foto: Paule Leclaire
Bababeck tanzt mit dem Blumenmädchen Maima. Foto: Paule Leclaire

Soweit Matthias Klink. Er wird bei der Premiere am Samstag, dem 12. Oktober die Rolle des Bababecks in Jacques Offenbachs Barkouf singen. Und danach ein Gespräch mit dem Wiederentdecker Jean-Christophe Keck und dem Verleger Frank Harders-Wuthenow.

Worum es geht?
Ein Großmogul, der aufständische Städte niederbrennt, beschließt eine besondere Strafmaßnahme. Er ernennt einen Hund zum Gouverneur der Stadt. Und lacht sich eins ins Fäustchen. Die werden schon sehen! Großwesir Bababeck hat seine liebe Mühe, mit Barkouf zu regieren. So heißt der Hund. Die Geschäfte müssen laufen, schon allein, weil Bababeck seine Tochter verheiraten will. Dazu braucht es nämlich das Ja des Gouverneurs. Eine junge Blumenverkäuferin namens Maïma kann helfen. Sie hat Barkouf groß gezogen, und er hört auf ihr Wort. Also lässt er Maïma in die Machtzentrale rein. Maïma lässt den Hund bellen, übersetzt und hilft erst mal den Bürgern: die Steuerlast wird halbiert, die Todesstrafe abgeschafft. Das Volk lässt Barkouf hochleben! Bababeck kocht…! Was für eine geniale Regime-Kritik haben sich Jacques Offenbach und sein Librettist Eugène Scribe da ausgedacht! Die Aufführung an der Opéra Comique am 24. Dezember 1860 floppt allerdings total. Unter anderem, weil ein Hund auf der Bühne als obszön empfunden wird. Das Werk verschwindet. Und taucht erst 150 Jahre später auf. Diesen Samstag ist die Deutsche Erstaufführung an der Oper in Köln zu erleben. In einer Koproduktion mit Straßburg. Dort feierte das Werk im Dezember des letzten Jahres Premiere, und der Wiederentdecker war da, Jean-Christophe Keck, der bei den Offenbachs zuhause auf den Hund gekommen ist! (Von Sabine Weber)

Jean-Christophe Keck, wie ist der Kontakt zu den Offenbachs gekommen?
Oh, ich habe oft angerufen und das 20 Jahre lang! Ich wusste über jemanden, das die Partitur dort ist. Aber die Familie ist sehr misstrauisch und wollte nicht mit einem Fremden sprechen. Also erstmal eine totale Absage!
Vor drei Jahren habe dann ich eine ganz junge Opernsängerin kennen gelernt, die sagte, „ich gehöre zur Familie!“ Aurélie Fargues. Und ich fragte sofort: „Könntest Du etwas über Deinen Ehemann erreichen?“ Ihr Mann ist aus der Offenbach-Familie an… Und mit einem Schlag war die Tür offen. Ich konnte in Offenbachs Haus hinein, wo noch sein Klavier steht, sein Schreibtisch, und das Offenbach-Universum in einem großen Schrank mit unzähligen Manuskripten. Dazwischen lag Barkouf. Und mit meinem Herausgeber zusammen habe ich die Erlaubnis bekommen, diesen Schrank-Schatz herauszugeben

Wie sind Sie vorgegangen?
Das erste Manuskript, das ich überhaupt herausgeben wollte war Barkouf. Das erschien mir am interessantesten. Man wusste, dass Berlioz Schreckliches über die Partitur gesagt hat. Und noch mehr Schreckliches ist gesagt worden… Also haben wir uns an die Edition gemacht. Als erstes habe ich die Partitur gescannt. … Es ging dann Schritt für Schritt.

Sie sind Musikwissenschaftler, aber Vollblutmusiker, haben Klavier studiert, arbeiten als Dirigent. Sind Elsässer und behaupten, Offenbach sei in Barkouf musikalisch soweit gegangen wie nie zuvor. Was heißt das?

Er ist einzigartig in seiner musikalischen Sprache. Er hat nie zuvor und nie danach gewagt, so zu komponieren wie in Barkouf.
Barkouf ist ein Werk, in dem er ein neues Genre versucht, leider hat es nicht funktioniert, weil die Kritiker und die Öffentlichkeit dagegen waren. Er hat daraus gelernt. Eine „Belle Hélène“ und die anderen folgenden wäre nicht entstanden, wenn Barkouf Erfolg gehabt hätte. Er ist – leider – zu seiner alten Spur zurück gekehrt.

Welche Stellen sind denn das und was, wo?

In einer der ersten Airs von Xaïlum gibt es eine harmonische Folge, wo ich zuerst dachte, das geht ja gar nicht, das ist ein Fehler, das muss ich ändern. Aber es funktioniert! Niemand hat so etwas in dieser Zeit gewagt. Dann in der Conspirationsszene, 3. Akt, gibt es sogar Polytonalität! Die große Masse des Orchesters spielt in einer Tonart, die Holzbläser in einer anderen. Und machen satirische Kommentare, tac, tac, tac…

Was war die musikalische Intention?
Natürlich wollte er, dass das Publikum unangenehm berührt wird. Was noch einzigartig ist in der Partitur von Barkouf, das ist die Mischung aus Komik und Drama. In der Conspirationsszene gibt es einen wirklich komischen Moment. Und plötzlich eine Modulation bumm brutal, Unwohlsein! Im 3. Akt gibt es das Trinklied à boire von Maïma. Eine komische Szene, Trinken, trinken, und im Orchester wankt es, dass es einem unheimlich wirkt. Die Musik macht richtig Angst!
Das gibt es in den Rheinnixen und in Hoffmanns Erzählungen, aber es ist nicht so präsent wir in Barkouf.

Es heißt doch immer, dass Offenbach in seinem „Contes d‘Hoffmann“ sein Opus Magnum verwirklicht hat, die große Oper!
Das ist eine Legende. Offenbach hat immer parallel an Bouffe und Seria gedacht und gearbeitet. Aber das Publikum wollte Bouffe! Zehn Jahre vor Hoffmanns Erzählungen schreibt er „Fantasio“. Da ist schon die Musik aus „Hoffmanns Erzählungen“ zu hören. Im Gegenteil finde ich Barkouf viel moderner als „Hoffmanns Erzählungen“. Hoffmann ist schöne Musik. Man ist im Romantizismus. Barkouf ist ein Zustand. Harmonisch gesprochen, bizarr! Das ist außergewöhnlich. Er hat 130 Bühnenwerke, mehr geschrieben, insgesamt 670 Werke, enorm! Ich habe jetzt die Möglichkeit, alle kennen zu lernen. Ich habe den Zugang zur Familie! Da brauche ich aber Zeit…

Das sind alles Manuskripte, gibt es da auch Fehler?
Offensichtliche Fehler. Offenbach denkt an den Gesangspart und schreibt für das Orchester eine Kadenz, während der Gesang in einer Halbkadenz endet. Das passiert ihm sehr häufig, weil er enorm schnell geschrieben hat. Offenbach hat auch nicht für eine Edition geschrieben, sondern für den Moment. Er hat im Orchestergraben korrigiert.

Das ist ja wie im Barock!!!
Ja, die Leute, die sich für Barock interessieren, interessieren sich auch für Offenbach! Minkowski, Harnoncourt, … Gardiner…

Und jetzt eine Frage an den Herausgeber, Frank Haders-Wuthenow. Wie politisch ist das Stück?
Frank Haders-Wuthenow: Das Stück hat einen Bezug zur 2ème Republique. Und jetzt kann man sich überlegen, ob das politisch ist oder nur Décor ! Das ist eine Grundfrage bei Offenbach, der so nah bei der Macht sein und so respektlos mit ihr umgehen konnte. Sein revolutionärer Anspruch hatte einen restaurativen Duktus. Deswegen hat die Zeit Offenbach ertragen so, wie zwei Seiten einer Medaille. Was bei Barkouf auffällt ist, dass die Auseinandersetzung mit der Macht viel weiter geht, viel respektloser als in allen anderen Werken ist. Meistens geht es um eine Verhohnepiepelung des Hofs Napoleons III. In Barkouf gibt es diese konkreten Anspielungen nicht. Für uns und für mich war bei der ersten intensiven Auseinandersetzung schockierend zu sehen, dass in Barkouf Grundprobleme dieser Welt messerscharf analysiert und karikiert sind, deswegen können wir damit auch umgehen. Der mächtige Hund! Der Zynismus der Macht. Das Wort Zynismus kommt von römisch Canes, für Hund. Das Zuspitzen der Macht bis hin zum Zynischen sehen wir doch in der ganzen Welt. Und das Gegengift dazu ist die Übernahme der Macht durch die Frauen. Barkouf ist eine Schule der Frauen. Eine Emanzipationsgeschichte, wie sie für das 19 Jahrhundert absolut unfassbar ist. Wir sind bei Moliére, und im 21. Jahrhundert mit dem Stück. Hier wird die volle Breitseite gegen das Patriarchat abgefeuert. Das passiert in allen Werken Offenbachs. Aber Barkouf ist die Kugel.

Das schwerste Geschütz, das er aufgefahren hat, ist das nicht die Allah-Anrufung. Politisch korrekt?
Wenn Sie den „Bourgeois genthilhomme“ von Molière nehmen, da gibt es auch einen Mufti.
Was viel schockierender ist als Allah zu zitieren, was ja vollkommen legitim ist, das Stück spielt in Lahore, damals Indien heute Pakistan, weil sich dort ein muslimischer Teil separiert hat. Was viel aufregender ist, ist, dass Brahma, die Hindu-Gottheit, ins Spiel kommt. Ein Teil der Bevölkerung ruft Brahma an, der andere Allah. Das möge mir ein Mensch zeigen, wo es das in einer anderen Oper des 19. Jahrhundert gibt.

Und Saeb ist Louis Buonaparte III?
Das Stück läuft in zwei Probleme hinein. Was macht man mit dem Hund zum Schluss? Der kann ja nicht weiter die offizielle Regierungshoheit bestätigen. Er muss weg. Und wie bekommt man die Frau an die Regierung? Denn sie hat die sanfte Revolution initiiert und umgesetzt. Und die Reformierung des Staates, die uns vorgeführt wird. Steuern senken, Todesstrafe abschaffen, all das, wovon eine aufgeklärte moderne Gesellschaft lebt und träumt, setzt die Frau um. Eine Frau muss an die Regierung, aber an dieser Schraube konnten sie nicht weiterdrehen. Das ging im 19. Jahrhundert noch nicht. Und noch schlimmer als die Attacke gegen die Macht ist der Fakt, einen Hund auf die Bühne zu bringen…
Die Kritik, die Zensur, alle fanden das obszön. Heute gibt es Tiere. Aber damals.
Die Geschichte mit den Frauen wurde damals nicht in der Presse rezensiert. Der Angriff auf die patriarchale Gesellschaft wurde gar nicht reflektiert. Der Affront war, dass ein Hund die Macht erhält und auf der Bühne ist. Der Beweis ist, dass Offenbach das Stück später umgearbeitet hat… Der Plot bleibt, mit 80% der Musik, es heißt jetzt „Schneeball“, und aus dem Hund wird ein weißer Bär.
Barkouf ist das Stück, womit Offenbach am weitesten geht und den dicksten Schlag auf die Nase bekommen hat. Es ist ist auch das Stück, das uns am meisten verwirrt in Bezug auf die Klischees, die wir von Offenbach im Kopf mit uns herumtragen. Aber vielleicht eines der Stücke, die die größten Chancen haben, das Offenbachbild vollkommen umzukrempeln. Und auch eines der wenig bekannten Werke, was das größte Potential hätte, auf großen Bühnen gespielt zu werden.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert