Die erste szenische Wiederaufführung seit der Uraufführung! Dortmund rehabilitiert mit „La Montagne Noire“ Augusta Holmès als romantische Klangkünstlerin

(13. Januar 2024, Oper Dortmund) Die Oper Dortmund darf sogar ein bisschen von Uraufführung sprechen! Bei der Uraufführung 1895 in Paris war der vierte Akt nämlich am Ende zusammengestrichen und einiger großartiger Musik beraubt. Erstmals seitdem ist „Montagne Noire“ – übersetzt „Der schwarze Berg“ – derzeit in Dortmund zu erleben. Und bei der Premiere saßen auch Franzosen im Publikum. (Von Sabine Weber)

Nach Frédégonde ist das nämlich die zweite Dortmunder Koproduktion mit Palazetto Bru Zane, der Edelforschungsstätte für verschüttetes Patrimoine in Sachen Oper, die sich einen Sitz in Venedig gönnt. Unter ihrem Leiter Alexandre Dratwicki hat sie bereits einiges wieder ausgegraben. Und sorgt aktuell für den Export von Opernschätzen französischer Komponistinnen nach Deutschland. Wo ist bloß unser Palazetto, der die deutschen Opernkomponistinnen mal auf den Plan bringt? Ich kenne nicht eine deutschsprachige Komponistinnen-Oper. Oder gibt es sie tatsächlich nicht, was man angesichts der Bru-Zane-Französinnen, im Februar geht in Essen noch Louise Bertins Fausto über die Bühne, kaum glauben mag. Bertins Fausto ist übrigens die erste französische Faustoper überhaupt!

Die Dortmunder Philharmoniker unter Motonori Kobayashi mit einem erstklassigen Ensemble lassen hören, zu welcher Wucht Augusta Holmès in ihrer vierten Oper Montagne Noire imstande war. Montagne Noire ist neben Esmeralda von Kollegin Louise Bertin übrigens die einzige Oper, die es zu Lebzeiten der Komponistinnen, durch welche Umstände auch immer, durch die männliche Phalanx auf die Bühne der Opéra Garnier geschafft hat. Mit der ersten Blechfanfare, einem Blutsbrüderschwur-Motiv, folgend gewaltiger Choreinsatz, erst Frauen-, dann Männerchöre, in die bald Soloszenen eingebettet werden, ist man sofort drin im Drama und einem großartig austarierten Gesamtklang.

Wagner ist übrigens drei Stunden dreißig lang kaum zu hören. Vielleicht an ein bis zwei Stellen. Eher ist die Nähe französischer Usancen der Grand Opéra zu spüren. Warum Holmés von der damals – natürlich – männlichen Kritikergilde als Wagnérienne verunglimpft wurde, hat damit zu tun, dass das in Paris das Totschlag-Schimpfwort war. Zudem die anämischen Franzosenohren, auf transparente Klänge gepolt, von Holmès Mächtig-Klang, Aplomb und Wucht höchst irritiert wurden. Das von einer Frau!

Erstaunlich und genial wie die Librettistin-Komponistin – diese Personalunion hat sie nun aber von Wagner abgeschaut, den sie tatsächlich verehrt und einmal in Triebschen in Luzern besucht – die Dramaturgie konzipiert und angelegt hat. Keine Minute Spannungsabfall. Und das mit dem in französischen Opern obligaten „lustig-geselligen“ Trinkgelage gleich im ersten Akt, einem Liebes-Duett im dritten, das Berlioz „Nuit d’ivresse“ aus den Trojanern nicht nachsteht, dazu auch eingearbeitetes Lokalkolorit aus dem Balkan.

„Douze points“ gehen wie beim Eurovisions-Contest an Montenegro, das die Bildfläche für die Handlung und einen historisch verbürgten Moment liefert, wobei ein mittelalterliches Epos der eigentlichen Handlung zugrunde liegt. „Wieso Montenegro?“ fragt man sich, das im Namen ja den schwarzen Berg trägt, den Holmès nationalistisch mit vielen Victoire-Rufen feiert.

Montenegro kämpfte einst gegen die osmanischen Besatzer, soweit historisch, denen die Opernhelden Mirko (Sergey Radchenko mit wohltönendem und kraftvollem Tenor) und Aslar (Mandla Mndebele mit großer Bühnenpräsenz und beweglichem Baritontimbre) die Stirn bieten. Nicht zu sehen, das berichtet der Chor. Sie werden daher in einem Ritual Blutsbrüder, geraten dann in eine Auseinandersetzung, weil sich Mirko, wie in Verdis Aida, in eine Sklavin verliebt, die wie in Bizets Carmen ein Rasse-Weib ist (auch auf der Bühne: Aude Extrémo mit unglaublicher Mezzokraft in gurrender Tiefe sowie Durchsetzungs-starker Höhe). Sie betört die Männer und Frauen mit orientalischem Kolorit, fast Habanera-ähnlich, und pocht auf ihre Leidenschaft als liebende Frau.

Aude Extrémo (Yamina), Sergey Radchenko (Mirko), Opernchor Theater Dortmund. Foto: Björn Hickmann

Mirko kann und will ihr nicht widerstehen. Trotz Moral-und Stamm-beherrschender Mutter (mit der dramatischen Sopranistin Alisa Kolosova eine autoritäre Instanz, gegen die auch stimmlich niemand ankommt). Die Mutter verdammt ihn schlussendlich, weil seine herzallerliebste Braut (Anna Sohn, zart klar, dennoch in allem überzeugend) ihn vor dem Stamm des Verrats anklagt. Aslar versucht es zu richten und Mirko zur Rückkehr zu bekehren. Er bringt ihn zum Schluss um, damit die Ehre gerettet wird. Sein Tod wird dann in Verkennung aller Tatsachen zum Heldentot verklärt. Und endlich stirbt mal nicht die Frau! Denn die osmanische Sklavin Yamina entkommt. Mehr erfährt man leider nicht. Der Gedanke drängt sich auf, dass sich Holmès in dieser starken und im Zentrum ihrer Oper gegen widrige Umstände behauptende Frau selbst gesehen haben könnte.

Regisseurin Emily Hehl, die zu Anfang der Saison an Verdis Macbeth am Aalto gescheitert ist, zeigt hier ein glücklicheres Händchen. Gott sei Dank, denn einem Jungtalent wünscht man und frau doch, dass die ersten Niederlagen nicht aus der Bahn werden. Allerdings bleibt ihre Inszenierung doch im klassisch-normativ konservativen Rahmen. Die Kostüme sind historisierend (Emma Gaudiano): Männer in weißen Röckchen mit Filzkappen, Frauen in Folklore-bunt mit Kranzkronen auf dem geflochtenen aufgebundenem Haar.

Dafür ist die Bühne von Frank Philipp Schlößmann modern karg. Ein grauer Rahmen mit orthodoxer Kathedrale im Relief. Es werden Teppiche aufgerollt und Schafsfelle verteilt. Die graue Wand schiebt sich auf und Stallstroh ist zu sehen. Warum ein Mann mit Eselskopf dazwischen muss, nur weil das Original-Epos von einer Beziehung zu einem Pferd spricht, teilt sich im Bühnengeschehen nicht mit und wirkt kindisch. Ebenso dass Mirko, als er zu trinken beginnt, in braunen Plüschknickerbocker als Bacchus rumrennen muss. Verordnete Massenticks wie Schnippen (sind wir in der Westside-Story?) oder Tanzallüre mit Folkloreschritten zu nicht wirklich tanzbarer Musik sollen was sagen. Obwohl – zugegeben – ein schwingender Walzertakt und Barcarole-Rhythmus in der Musik, letzteres durch Offenbach ja französisiert, immer wieder für Leichtigkeit im großen Klang sorgt.

Die Geschichte packt, weil allein die Musik unglaublich souverän das Drama vorantreibt. Lyrische Momente sind gekonnt dazwischen eingeschoben. Augusta Holmès konnte offenkundig für Stimmen komponieren und hat ihren Charakteren großartige Partien zu Füßen gelegt. Dazu gehört auch die des Stamm-Priesters Sava, dem Denis Velev seinen profunden Bass leiht. Wo hat sie das bloß gelernt? Ihre vorherigen Opern würde man auch mal gern hören.

Dass die Beweggründe der Handelnden im Libretto leider nicht vertieft werden, weitere Geheimnisse im Verlauf beispielweise gelüftet werden, sich Abgründe auftun und Fallhöhen in der Geschichte erzeugt werden, ist etwas schade, aber von Holmès nunmal nicht angelegt. Mirko als gefeierter Held könnte ja noch andere Gründe als die Leidenschaft haben, um aus der kriegsgeplagten und engen Welt seines Stammes ausbrechen zu wollen. Über seine Braut und auch von seinem Freund Aslar erfährt man keine Details. Ab und zu fällt das Wort von bösen Christen oder Moslems. Aber der Religionskonflikt ist wie in anderen Grand Opéras ganz und gar nicht Thema. Ja, warum hat Holmès überhaupt diese montenegrinische Legende aufgegriffen?

Vielleicht werden wir das irgendwann auch noch erfahren. Jetzt genießen wir die Musik und wünschen August Holmès und dieser Produktion einen Mitschnitt auf CD. Das würde sich auf jeden Fall lohnen. Bis dahin heißt es nach Dortmund zu pilgern. Und den „Schwarzen Berg“ nicht zu verpassen. Der verdient eine Besteigung!

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