Die dunkeldüsteren Macbeths und die „Légèreté“ Verdis! Nicht nur daran scheitert die Regie der aktuellen Produktion am Aalto, die musikalisch grandios ist!

Man spürt die Freude des Essener Publikums, wieder Oper zu haben! Und sein Votum ist einhellig bei dieser Eröffnungspremiere: die Solisten werden mit euphorischem Applaus bejubelt! Massimo Cavalletti in der Titelpartie. Als Gast besteht er sein Aalto-Debüt in dieser erstmals einstudierten, wirklich schweren Baritonpartie bravourös. Ihm gelingt auch das von Verdi geforderte sotto voce, beziehungsweise das „Nicht zu singen, sondern mit verhohlen und verschleierter Stimme Darzustellen!“ An seiner dunklen Seite Astrik Khanamiryan als Lady Macbeth mit Durchschlagkraft und wohl geformter Fühligkeit und Suggestion. Dazu Sebastian Pilgrim als dunkeltönender Banco und der mexikanische Tenor Alejandro del Angel als Macduff, Macbeth‘ Gegenspieler. Sie sind neu im Ensemble, das für das italienische Belcanto-Fach bestens aufgerüstet ist. Als der neue GMD Andrea Sanguineti aufs Podium kommt, der Tomáš Netopil nach 10 Jahren nachfolgt, gibt es sogar stehende Ovationen. Der Meister des italienischen Fachs wird als alter Bekannter begrüßt, er hat am Aalto bereits mit Verdis „Don Carlo“ und Donizettis „Lucrezia Borgia“ gepunktet. Beim Regieteam um Emily Hehl weichen die Jubelschreie den Buhs. Obwohl man spürt, dass alle eher Jubel wollen, auch wegen der supersympathischen neuen Intendantin, die das Publikum vor der Vorstellung herzlich begrüßt hat. (Von Sabine Weber)

(3. September 2023, Aalto-Musiktheater, Essen) War es ein Fehler, dieser „jungen“ Regisseurin den nicht leichten Verdi-Stoff anzuvertrauen? Die im Netz öffentliche Agenda der Regisseurin Emily Hehl hätte ein Gelingen versprechen sollen. Regiestudium an der Theaterakademie August Everding, Erstaufführungen noch im Studium. Sie assistierte großen Opernregisseuren wie Achim Freyer, Barrie Kosky, Christof Loy, begleitete Produktionen von Milo Rau, Tatjana Gürbaca. Performativ und Interdisziplär sind ihre Schlagworte. Aber eine gute Grundkonzeption für eine Regie verlangt wohl Erfahrung, die durch interdisziplinäre und performative Meriten nicht aufgewogen werden können. Ein solides Grundkonzept scheint die junge Generation an Regisseuren auch nicht zu reizen. Die Überzeugung, ihre persönliche Ideenflut per copy and paste einfach auf die Bühne zu übertragen, sie werde sich schon mitteilen, funktioniert nicht. Die entscheidende Frage ist doch, ob Bilder die beabsichtigte Wirkung erzielen oder leerlaufen. Der letzte Fall in Köln war Regisseur Valentin Schwarz in York Höllers grandiosem Musiktheater Meister und Margarita. Die Bildideen waren so persönlich motiviert, dass sie beliebig blieben. Eine Aussage, wenigstens nachvollziehbare Atmosphäre, gar Charakterisierung der Bühnenpersonen war gar nicht intendiert.

Die Bühne, eine Bushaltestelle
Opernchor, Tänzerinnen. Foto: Alvise Predieri

Emily Hehl ist um Erklärungen ihrer Bilder auch nicht verlegen. Sie hat sich was gedacht, aber zu wenig die Wirkmacht, beziehungsweise Wirklosigkeit ihrer inszenierten Bilder bedacht. Die Grundaussage der korrumpierenden Macht von Herrschenden, die für immer mehr Macht zu Mördern und Monstern werden, wird ja von Shakespeare und Verdi bereits umgesetzt. Was will uns ein Wimmelbild auf einem römischen Sarkophag als Vorlage zu den Chorszenen also sagen? Zumal der „Riesensarkophag“ – eine leere Wand mit bisschen Dachwinkel oben dran – wie eine seelenlose Bushaltestelle im tiefsten Ruhrgebiet aussieht. Die Wand wird später auch mit Graffitis beschmiert. Die Assoziation Sarkophag bleibt leere Behauptung. Die Hexen in weiß, weil zum Wimmelbild des Sarkophages gehörend, haben weder etwas düster-böses, sondern sehen aus wie wallende Jüngerinnen einer alternativen Lichtreligion der 70er Jahre. So wird sich auch bewegt.

Die Effekte sind kontraproduktiv

Das Fahnenschwenken der Damen lässt jeweils an die Jungfrau von Orléans denken. Kämpfen die Hexen um Freiheit? Das Bankett findet an dieser Bushaltestelle statt. Auf einem Stuhl, der wohl im nächsten Raum zufällig gefunden wurde, darf einzig Macbeth sitzen. Der Wahn von Macbeth, Blut an seinen Händen nicht abwaschen zu können, wird in einer Massenszene in einer Art Yogatanz in Linie an der Rampe thematisiert. Der Chor in fleischfarbenen Überwürfen, innen karmesinrot (nicht blutrot!), kehrt die Farbe nach außen und quirlt den Stoff vor dem Körper. Dazu Kopfwackeln wie bei einem psychischen Tick, was leider eher die Assoziation von den Wackelköpfen der Hunde herauf ziehen lässt, die früher mal gern in Autos standen. Die Fleischbilder (von Francis Bacon oder Ludwig Kirchner angeregt?), die auf Planen hochgezogen werden und hoch und runter wippen, liefern nicht im entferntesten eine atmosphärische Entsprechung der musikalisch so gruselig auskomponierten Hexenszene in eben diesem 3. Akt. Vielleicht die unter einem schwarzen Fließtuch wirbelnden Tänzerinnen gemahnen an das Brodeln des Hexenkessels. Dass die drei Tänzerinnen des Aalto-Balletts ansonsten eher leichten Impulsen von Verdis Musik folgten, sich auch mal in einer Endlosschleife grazil hinwerfen und wieder aufstehen, wirkt zumeist verstörend. Ist zwar auf die Musik, aber im Effekt zur Handlung kontraproduktiv.

Opernchor, Tänzerinnen, Massimo Cavalletti (Macbeth)
Foto: Alvise Predieri

Mit Hehls Bildern werden die furchterregenden Dunkelszenen, die Verdi mit unglaublichen Farben auskomponiert und „Misterioso“ getauft hat oder mit „la Gran Scena del Sonnambulismo“ überschrieb, zumeist erfolgreich vertrieben. Das an Strippen eines unabänderlichen Schicksal hängen, deshalb Gezappel?, funktioniert nicht. Geschmacklos ist der Sicheltanz um eine schwangere Komparse, nur weil der Bezwinger Macbeths per Kaiserschnitt geboren wurde. Das muss man nicht darstellen, es wird deutlich gesagt! Eine Plattitüde ist das Kind, das zum Schluss eine Blume auf den toten Macbeth fallen lässt. Der wirklich irritierende Siegesjubel im Finale, mit dem Verdi dieses Werk enden lässt ist eine große Herausforderung. Die Zweitfassung entstand nach Giuseppe Garibaldis Zug der Tausend kurz vor der italienischen Einigung und der Befreiung von der Fremdherrschaft. Was macht man mit dieser eher zeitgeschichtlichen patriotischen Aussage? Fragen wie: Kann und darf es nach diesem grausig statuierten Exempel von Machtgier, kriegerische Macht und Siegeslärm geben, hat sich die Regisseurin jedenfalls nicht gestellt. Er findet ohne Brechung statt!

An der gehörten Partitur bleibt nichts zu wünschen übrig

Dass dennoch großartig gespielt und gesungen wurde – auch die Chorleistung (Einstudierung: Klaas-Jan de Groot) muss erwähnt werden – liegt an den einzelnen Sängerdarsteller*innen, die sich in einer durchaus passend an Aikido-Kampfröcken orientierten „schottischen“ Kleidung bewegen (Kostüme: Emma Sophie Gaudiano, Frank Philipp Schlössmann, der auch die Bühne gebaut hat), und an den Essener Philharmonikern, die unter Sanguineti musikalisch wirklich nichts zu wünschen übrig ließen…

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