Eine US amerikanische Passion? John Adams „The Gospel According to the other Mary“ im Theater Bonn. Peter Sellars hat Regie geführt

In der Wüste. Das Evangelium der anderen Maria von John Adams. Foto: Oper Bonn In der Wüste. Das Evangelium der anderen Maria von John Adams. Foto: Theater Bonn
Passionszeit! Da entdecken die Großen jenseits des Teichs ihre heimliche Spiritualität. Erinnern Sie sich noch an Mel Gibsons filmische Passion Christi? Kreuzigung „so echt brutal“! Der US amerikanischen Regisseur Peter Sellars hat sich wie einst Mauricio Kagel für seine Sankt Bachpassion lieber vom großen Bachs inspirieren lassen. Die meisten Arien in der Matthäuspassion hätte Bach dem Alt, also Maria Magdalena, zugeordnet. Und so ist Maria Magdalena auch Sellars zentrale Figur. Neben Martha. Die Frauen stehen im Zentrum! Sellars hat die Texte zusammengestellt. Moderne Texte von der US amerikanischen Autorin Louise Erdrich, der New Yorker Journalistin Dorothy Day, Gründerin der Catholic-Worker-Bewegung, oder der Mexikanerin Rosario Catellanos hat er mit Passagen aus dem Alten und Neuen Testament kombiniert. Drei Countertenöre verkörpern Jesus. Der wiedererweckte Lazarus spielt eine gewichtige Rolle. Die Inszenierung für die Londoner English National Opera 2015 hat Peter Sellars für Bonn angepasst. Am Sonntag war Premiere der deutschen Erstaufführung in Bonn. (Sabine Weber)
Theater Bonn: THE GOSPEL ACCORDING TO THE OTHER MARY
(25. März 2017, Theater Bonn) Leid im Ghetto, Staccatoschreie des Chors in Hippie-Blumen-bunt! Menschen stehen zwischen Metallzäunen mit Stacheldrahtkrone. Karton-Kisten sind die einzigen Requisite. Sie werden zu Tisch oder Plateau, sind Treppenstufen und Stühle. Dahinter und darüber zeltähnliche Planen und Flächen mit projizierten Wüstensandschlieren, die an menschliche Körperteile denken lassen und auch mutieren. Eine proletarische Martha, Karohemd, Jeans, leitet ein Obdachlosenheim. Maria, im gestreiften T-Shirt über knatschenger Jeans, erzählt traumatisiert von leidenden Drogensüchtigen in einem Frauengefängnis. Und lernt das Beten. Die drei Countertenöre in Tarnfleckenjacke treten auf und beginnen mit der Passionserzählung. Vier Tänzer in schwarz verdoppeln Figuren und illustrieren, was sie denken, Theater Bonn: THE GOSPEL ACCORDING TO THE OTHER MARYfühlen oder was ihnen bevorsteht. Alle Aktionen sind ineinander verzahnt. Moderne Beschreibungen, Passionserzählung, zu pulsierenden Rhythmen und Klängen aus dem Graben. Wabermusik, Wundermusik, ein Hackbrett, Gongs oder Melodiefetzen der Streicher, die sich jedes Mal höher schrauben. Ein dramatisierender Klangmotor, der Akzente setzt und Höhepunkte ansteuert. Das Ganze wirkt wie ein Geheimritual, was die Akteure einige Male mit rätselhaften Gesten und Fingerbewegungen nahe legen. Einige Male gerät alles auch an den Rande des Kitschs. Etwa wenn eine stehende Sekundreibung in einem schmachtenden Erlösungsdreiklang aufgeht und die Countertenöre im Terzett die Stunde ankündigen, die für Jesus gekommen sei. Der erweckte Lazarus zieht mit „Tell me!“ eine Predigt ab, die fast an Baptistenkirchenveranstaltungen denken lässt.

Die Bühne brennt in Rot, ertrinkt im Blau, und löst sich in Naturverhafteter Betrachtung auf

Die stärksten Momente bietet der zweite Teil. Mit Rapp-Rhythmen und „haunting bases“ beginnt er. Sogar ein E-Bass „funkt“ mit. Der Chor verwandelt sich zu einem Turbachor. Jetzt geht es nach Golgatha. Für die Passionserzählung findet Sellars eindrucksvolle Bilder – Momentaufnahmen, die bekannte Kirchenbilder und Motive streifen. Das letzte Abendmahl, die Pieta … Auf einem Plateau schreiten die drei Counter mit Maria und Martha zu einer imaginären Schädelstätte. Auf dem anderen Kartonplateau schleppt ein Tänzer den anderen wie Jesus das Kreuz. Helle Klarinetten Theater Bonn: THE GOSPEL ACCORDING TO THE OTHER MARYjaulen schmerzhaft auf, dann klagen die Bassklarinetten, alles im gelben Flutlicht der Überwachungsleuchten. In der Kreuzigungsszene kreuzigt erst ein wütender Tänzer den anderen hilflos auf dem Boden liegenden. Mit Kreuzigungsarmen wird er auf ein Plateau gehoben. Dann legt sich der zweite eben noch böse Tänzer auf ihn. In Spasmen, Rhythmen und Bewegungen sterben sie vereint, umringt von Martha, Maria und einer weiblichen Tänzerin. Und einige der sieben letzten Worte Jesu am Kreuz sind auch inszeniert… Sehr berührend. Nachdem die Bühne in tiefem Rot brennt, dann im Blau ertrinkt, löst sich die Katastrophe in einer Naturhaften Betrachtung auf. Auferstehung. Wiedergeburt. Ein ritueller Frühlingstanz folgt.

Am Ende ist das Publikum im Bonner Theaterraum gerührt, feiert Chor und Solisten und die britische Dirigentin

Theater Bonn: THE GOSPEL ACCORDING TO THE OTHER MARYChristin-Marie Hill als Maria Magdalena stimmstark und mit ausdrucksstarker Gesichtsmimik, und Ceri Williams als Martha, sind die in fast jedem Moment präsenten Hauptakteure. William Towers mit seinem silberreinen Timbre führt die Countertenor-Kollegen Benjamin Williamson und Russel Harcourt an. Ronald Samm ist ein gewaltiger Moses-Lazarus und Baptisten-Prediger. Die Tänzer sorgen wie Schatten und Nebenfiguren dezent und doch entscheidend für Bewegung in den Bildern. Ja, am Ende ist das Publikum im Bonner Theaterraum gerührt und feiert Chor und Solisten und die britische Dirigentin Natalie Murray Beale. Peter Sellars mit hochstehendem Haupthaar und Ketten über blumigem Hemd lässt sich auf der Bühne natürlich auch feiern. Fehlte nur John Adams. Der Gründervater einer ziselierten und alles andere als tumben Minimalmusik wollte sich aus der Bay Area bei San Francisco wohl nicht wegbewegen. Wahrscheinlich fastet er… Mit Peter Sellars ist ja sein Hausregisseur am Platz ist. Sellars hat bisher alle Bühnenwerke Adams szenisch aus der Taufe gehoben.

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