Die Opernstadt der Frauen heißt Nancy! Unaufgeregt sensationell punkten hier Maestra Jacquot und Regisseurin Bernreitner mit Prokofjews „Drei Orangen“

Dass Marie Jacquot und Anna Bernreitner hier in Nancy für die aktuelle Produktion von Sergej Prokofjews „Die Liebe zu den drei Orangen“ zusammentreffen, hat mit dem Intendanten Matthieu Dussouillez (37) zu tun. Er hat zu seinem Antritt 2019 bereits eine junge cheffe d’orchestre aus Polen, Marta Gardolińska (32) in die lothringische Hauptstadt geholt. Ein Goldgriff. Das Orchestre de l’Opéra de Lorraine überzeugt im Graben à point. Jetzt unter Marie Jacquot (32), die, wie auch Regisseurin Anna Bernreitner (36) ebenfalls der Intendant engagiert hat. Die Niederösterreicherin Bernreitner hat übrigens mal eine Oper in sämtlichen Wiener Schwimmbädern aufführen lassen während  des laufenden Badebetriebs. Und Jacquot hat über die Neue Musik zur Oper gefunden. Mehr darüber gleich in zwei Interviews. Denn Klassikfavori hat die beiden nach der Premiere getroffen, die Regisseurin unmittelbar im Anschluss und die Dirigentin am Tag darauf. Es gibt also hier keine gewöhnliche Kritik. Aber einiges konnte über die Produktion und die Frauen natürlich in Erfahrung gebracht werden und warum ausgerechnet Nancy uns vormacht, wie Oper mit flacher, junger, weiblicher Hierarchie geht. (Die Fragen stellt Sabine Weber)

Hier direkt zum Interview mit Marie Jacquot.

Anna Bernreiter in einer Loge zum Interview nach der Premiere. Foto: Sabine Weber

Anna Bernreitner, gerade ist die Premiere vorbeigegangen, wie fühlen Sie sich?

Total erleichtert, es hat super funktioniert. Das Stück wurde 2018 angefragt, 2019 haben wir es vorbereitet, für 2020 war es geplant und wurde vor Probenbeginn abgesagt. Wir haben uns im Regie-Team jetzt gesagt, dass gefühlt ein großes Kapitel von vier Jahren sich schließt und es super gelaufen ist.

Wegen Corona, nehme ich an. Was denken Sie nach so viel Zeit über Prokofjews Drei Orangen. Märchen, Scherz und Satire, vor allem eine durchgeknallte Handlung mit Zauberei. Ist es eigentlich mehr musikalisches Theater als Oper?

Es hat viele theatrale Elemente. Ich kenne die Handlung jetzt so lang und gut, dass mir das nicht mehr auffällt. Letztens durfte ich für ein Interview die Handlung nochmals erzählen, und wenn man das Stück für Stück nochmal erzählt, merkt man wieder, wie verrückt das Stück eigentlich ist. Es ist eine harte Mischung, die man mal verdauen muss als Zuschauerin und Zuschauer. Ich habe auch jetzt, es hat ja bei mir geruht, und wurde wieder frisch vorbereitet, musikalisch neue Sachen entdeckt, die total spannend sind und interessant und die mir vor zwei Jahren nicht aufgefallen sind…

Es steckt also viel drin. Worauf haben Sie denn Ihr Hauptaugenmerk bei der Realisierung gelegt? Wie ist das Stück gemeint, und was erkennen Sie darin?

Im Stück selbst schon drinnen ist, dass es mit zwei Ebenen spielt. Es hat die Handlungsebene mit den Hauptdarstellerinnen und Hauptdarstellern, und es hat diese zweite Ebene, die der Chor einnimmt, der das Geschehen kommentiert, beobachtet, der auch verändern will. So wird das Stück auch eröffnet. Der Chor äußert seine Wünsche, was in diesem Spiel jetzt passieren soll. Manche wollen es romantischer oder tragischer, verschiedene Meinungen prallen aufeinander.

Clarice (Lucie Roche), Léandre (Anas Séguin) und Sméraldine (Linette Margo Arsane), Chœur de l’Opéra national de Lorraine. Foto: Simon Gosselin

Die auch mit dem Theater und der Oper überhaupt zu tun haben…

Genau. Aber im Stück wird nicht klar, ob die zwei Welten voneinander wissen. Da verschwimmt das eher so. Uns war wichtig, dass wir das klar trennen. Wir wollten zwei Realitätsebenen zeigen. Die Handlungsträgerinnen und Träger, die das gar nicht wissen, dass sie beobachtet werden. Und die andere Realität vom Chor, der das beobachtet und steuert. Ich wollte zeigen, dass wir ja immer glauben, die Welt zu kennen, dass sie so ist, wie wir sie wahrnehmen. Aber dass für andere Menschen ganz andere Regeln und Perspektiven gelten, dass liegt im Stück drinnen und das wollte ich zeigen. Die Figuren, die den Handlungsstrang spielen, merken gar nicht, dass sie beobachtet werden. Sie glauben, in ihrer Welt passiert Magie wirklich und Magie ist möglich. Es wird erst am Ende dekonstruiert, wo sie langsam merken, dass es nicht die richtige Realität ist. Andererseits die Chorebene ist auch nicht die richtige Realität, es ist ja ein Opernstück. Und was wir heute im Opernhaus erlebt haben, ist auch wieder eine Realität. Es ist alles sehr verschachtelt. Die Frage, was ist Theater, diese Frage stellt das Stück ganz gut.

Fata Morgana (Lyne Fortin), Tschélio (Tomislav Lavoie). Foto: Simon Gosselin

Und zum Schluss lassen Sie auch ein bisschen die Kulissen fallen und man sieht die Techniker hinter der Bühne…

Das ist nochmals eine eigene Eben, die man leicht vergisst…

Wie war der Umgang mit den Sängern hier?

Tomislav Lavoie (Tchélio) und Anna Bernreitner. Foto: Amandine de Cosas

Sängerinnen und Sänger waren super professionell. Toll, mit ihnen zusammenzuarbeiten, sie haben meine Ideen warmherzig aufgenommen und weitergeführt und waren auch nicht müde, als ich immer noch andere und neue Anmerkungen hatte. Sie waren sehr offen und spielfreudig. Das war ein Luxuscast kann man sagen. Man weiß ja nie vorher, was da kommt.

Es gibt ja auch Sänger, die toll singen aber eben nicht gut spielen können… Toll, wenn alles zusammentrifft. Die beiden wichtigsten Personen dieser Produktion sind allerdings zwei Frauen, die Dirigentin und die Regisseurin – Chefdirigentin in Nancy ist auch eine Frau. Herrscht hier eine andere Energie?

Ich würde sagen, seit der neuen Intendanz, ich kannte das Haus ja nicht, sondern auch erst seit der Intendanz von Matthieu Dussouillez. Aber man hat das Gefühl, dass viele Sachen jetzt hier neu gemacht werden, bewusst neue Schritte gesetzt werden. Bewusst in Richtung Regietheater auch. Es war sehr harmonisch. Das habe ich schon oft erlebt, dass mit Frauen zusammen zu arbeiten dann doch oft noch eine Spur harmonischer ist, als wenn es ein gemischtes Team ist. Das Haus ist jedenfalls sehr zuvorkommend, und weil es ein En-suite-Betrieb ist, hat man sehr konzentrierte Proben. Man hat auch immer alle Sängerinnen und Sänger, die sind ganz selten weg, weil sie keine anderen Verpflichtungen haben. Man hat auch relativ lang die Bühne, es wird nicht immer wieder abgebaut, wie an einem Repertoire-Haus, wo man nur kurz probt am Vormittag, am Abend ist wieder etwas anderes. Man kann hier sehr konzentriert arbeiten…

Sie sind auch Regisseurin für das Sprech-Theater? Und wenn: gibt es einen ästhetischen Unterschied zur Opernbühne?

Ich mache tatsächlich nur Oper. Ich habe in Wien Oper studiert. Und ich musste mich da tatsächlich vor der Aufnahmeprüfung entscheiden. Es gibt getrennt Opernregie oder Theaterregie am Max-Reinhardt-Seminar. Ich wusste ganz lang nicht, dass ich Regisseurin werden will. Das war eine spontane Entscheidung. Da ich aber Musik liebe und Musikverbunden war, kam es zwar aus dem Nichts, aber ich bin sehr glücklich drüber. Mich haben schon ein paar Leute gefragt, ob ich Sprechtheater machen will. Aber da habe ich noch Respekt davor. Das Tolle bei der Oper ist, man kann mit der Atmosphäre mitgehen, die da herrscht oder sich dagegen entscheiden. Man hat sehr viel Vorlagen. Für manche oft sehr einengend. Aber ich finde, es ist eine große Chance, eine eigene Position zu beziehen.

Das klingt sehr klar und eindeutig! Sie sind eine Regisseurin, die nur Oper macht, aber Oper auch in ungewöhnlichen Kontexten zu realisieren versucht, nicht nur im Opernhaus, sondern an Alltagsorten. Welche verrückten Orte konnten Sie denn mit welchen Opern erobern?

Wir haben wirklich schon viele verrückten Orte bespielt. Die herausragende Produktion ist die Fledermaus, die wir im Schwimmbad gemacht haben. Und zwar in acht verschiedenen Schwimmbädern in ganz Wien. Erstens, es war ein Experiment. Wenn man das in Wien macht, hat jeder seine Staatsopernbilder vor Augen: so wird es gemacht. Es ist ein sehr traditionelles Stück bei uns. Und da war es sehr erfrischend zu sehen, dass es auch im Schwimmbad gut funktioniert; ohne Walzerrobe, sondern im Badeanzug. Auch zu sehen, wie die Leute unterschiedlich darauf reagieren. Ich habe Oper auch im Wald gemacht, auf einem Supermarktparkplatz, in einer aufgelassenen Fabrik, da geht es mir darum den Leuten, die nie in die Oper gehen zu zeigen, dass es um Geschichten geht, die mit ihrem Leben zu tun haben, von denen sie profitieren können, emotional oder auf einer anderen Ebene. Und es ist geglückt, Leute bleiben stehen, sind neugierig, und bleiben dann bis zum Schluss stehen, obwohl sie noch nie eine Oper vorher gesehen haben.

Das heißt, Sie lassen diese Opern stattfinden, ohne das Publikum explizit einzuladen.

Genau, es gibt zwei Konzepte, und das eine Konzept, wie im Freibad, da haben wir bei regulärem Badebetrieb, und einmal sogar, das war im Juni, ein Feiertag, da war es so voll, dass sie keine Leute mehr reingelassen haben. Es war der erste große warme Badetag in Wien. Und alle waren im Schwimmbad, und wir haben angefangen, die Oper aufzubauen und skeptische Blicke empfangen. Aber die Musik ist auch so eingängig. Viele in Wien kennen die Musik, auch wenn sie nicht wissen, woher sie kommt…

Und das Orchester hat auch irgendwie im Bad rumgesessen, das ist ja nun keine einfache Partitur.

Nein, wir haben da immer so einen kleinen Pavillon mit, falls es regnet, damit die Instrumente geschützt sind. Die Instrumente spielen aber immer live mit. Einmal ging auch der Dirigent baden. (Lachen) Wir haben schon viel ausprobiert, um die Leute zu überraschen.

Was war Ihre erste Oper?

Das war Die weiße Rose von Udo Zimmermann, das war noch auf der Probebühne an der Uni. Das war mein allererstes Stück auf der Uni. Das war aber sehr berührend, weil das zwei junge Sängerinnen und Sänger gemacht haben, Paul Schweinester und Denise Beck. Und das war ein sehr intimes Setting, meine erste Regiearbeit. Und der Stoff und die Thematik sind sehr berührend.

Haben Sie die aktuelle Hamburger Produktion gesehen?

Ich habe nur Bilder gesehen, ich glaube, ein Kollege hat mitgesungen. Aber ich habe es nicht im Ganzen gesehen

Gab es in Nancy außergewöhnliche Kontexte, auf die Sie reagieren durften?

Ich bin ja immer schon froh, wenn ich mal in einem Opernhaus bin…

das ist also nichts, was Sie ablehnen…

Nein gar nicht. Es war ein sehr harmonischer Probenprozess, nichts war schwierig, außer unserem Covidfall, den wir hatten (Klassikfavori: Roi Trèfle musste kurzfristig neu besetzt von der Seite singen)

Was war der Auslöser, Ihre Gruppe Oper rund um zu gründen?

Das war in dem Sommer, nachdem ich mein Studium abgeschlossen hatte. Und ich wusste, ich gehe als Regieassistentin nach Berlin. Ich wollte unbedingt eine eigenes Stück inszenieren, bevor ich Assistentin werde, weil man dann nicht weiß, wann kommt diese Chance wieder. Und ich war neugierig, denn ich habe das erste Stück an einem ganz ganz kleinen Dorf in Niederösterreich, wo ich auch herkomme…

Wo kommen Sie denn genau her?

Ich komme aus Waidhofen an der Ybbs, eine superkleine Stadt in der Nähe von Linz. Und in einem noch kleineren Nachbardorf wollte ich dann Oper machen und sehen, ob da einer kommt. Weil die Leute waren noch nie in einer Oper. Und wirklich alle sind gekommen. Weil wir geprobt haben am helllichten Tag und an öffentlichen Plätzen, haben sie gemerkt, es ist auf deutsch, sie versehen es, es ist lustig, und sie finden die Musik toll. Und dann sind gekommen, zur Premiere, alle, ein Erfolg, und im nächsten Jahr habe ich das wieder gemacht. Und so hat es sich entwickelt.

Sie haben Ihre Mitstreiter dann bei den Wiederholungen im fliegenden Progress gefunden?

Genau!

Und wer gehört jetzt zu Ihrem Team?

Definitiv Hannah Oellinger und Manfred Rainer, die jetzt auch diese Produktion mit mir gemacht haben, also die Ausstatter von Die Liebe zu den drei Orangen. Lange hat uns auch ein Dirigent begleitet. Raffael Schlüsselberg. Es haben auch immer wieder Leute gewechselt und auch Sängerinnen und Sänger. Eine Sängerin hat alle Produktionen mitgemacht, Barbara Angermaier, mit der ich im Musikverein jetzt eine Kinderoper mache. Es sind Leute, mit denen ich immer wieder versuche, zusammen zu arbeiten. Aber mit Hannah und Manfred habe ich Oper rund um, und auch andere Produktionen, obwohl wir uns noch gar nicht so lange kennen, unsere 15. Produktion. Wir haben wirklich viel gemacht…

Kann man wohl sagen…

zack, zack, zack, zack, zack…

Bühnenbildner und Kostümbildnerin waren also in Nancy dabei…

Sie teilen sich beide Posten, deshalb sind sie die Ausstatter…

Wer hat Sie eigentlich nach Nancy geholt?

Das war der Intendant. Matthieu Doussouillez. Man bekommt als Regisseurin oft Angebote und weiß nicht, warum man sie bekommt. Das ist immer eine schöne Überraschung. Er hat mich angerufen und gefragt, ob ich dieses Stück machen möchte. Dann haben wir uns einen Monat später in Nancy getroffen. Und es hat gepasst und auch unser Konzept, dass wir ihm dann wieder einen Monat später vorgestellt haben hat ihm gefallen. Dann ist es ja ausgefallen. Dafür hat er mir in der letzten Saison, eingeschoben, Die Zauberflöte angeboten. Die wurde eingeschoben. Die habe ich dann früher inszeniert, letztes Jahr.

Das wusste ich ja gar nicht. Ach wie Schade ist denn das! Was ist denn Ihr nächstes Projekt?

Genau diese Zauberflöte geht im Dezember nach Montpellier, mein Frankreichaufenthalt ist noch nicht vorbei (Lacht). Da gibt es eine Koproduktion und eine neue Premiere. Die darf ich nochmal in Montpellier einstudieren. Auch eine sehr effektvolle bunte Produktion voller Überraschungen Und Mozart, wenn man dann auch noch aus Wien kommt eine Bürde, aber auch immer wieder schön daran zu arbeiten.

Was ist denn Ihr nächstes Projekt in Deutschland? Wo kann man Sie denn da erleben?

Letzte Saison war ich an der Bayerischen Staatsoper und durfte Kinderoper machen und war in Bielefeld für die Entführung aus dem Serail und vor kurzem in Magdeburg für den goldenen Hahn. Tatsächlich das nächste Mal bin ich in Braunschweig für Tosca, das Sommer-Open-Air am Burgplatz.

Aufführungen in Nancy am 18., 20. und 22.. Novmeber. Weitere Infos hier.

Marie Jacquot in Nancy
Marie Jacquot. Foto: Werner Kmetitsch

Erst einmal herzlichen Glückwunsch für die Premiere gestern, die ist ja wunderbar über die Bühne gegangen. Es gab keine Zwischenfälle oder einen Bühnenunfall. Sie sind seit 2019 1. Kapellmeisterin in Düsseldorf an der Oper am Rhein. Oder gewesen, bis zu diesem Jahr auf jeden Fall. Was hat Sie als Dirigentin eigentlich zur Oper getrieben?

Das ist eine gute Frage. Ich habe als Kind keinen richtigen Zugang zur Oper gehabt, weil meine Eltern keine Musiker waren. Damals habe ich Posaune gespielt und sehr viel in Orchestern. Sinfonisches Repertoire hat mich geprägt. Mit Stimmen hatte ich eigentlich wenig Kontakt. Dann habe ich in Wien Dirigieren studiert…

Dirigieren, das war schon immer klar, dass das Ihr Ding ist? Posaune ist doch ein tolles Instrument ...

Ich wollte beides machen. In Wien habe ich die Aufnahmeprüfung für Dirigieren probiert… Die erste Prüfung für Posaune hat dort nämlich nicht geklappt, weil das französische Posaunenspielen ganz anders ist als das Wienerische oder österreichische Posaunenspielen. Drei Wochen später kamen wir zurück aus Frankreich mit dem Auto, 13 Stunden Fahrt, meine Eltern sind gefahren. Und ich habe die Aufnahmeprüfung fürs Dirigieren dann geschafft. Posaune ist dann weg gerückt. Es wäre sowieso zu viel gewesen. Wir hatten damals in Wien fürs Dirigieren im Studium auch sehr viel andere Fächer. Eines davon war Korrepetition. Ich hatte zwar als Kind drei Jahre Klavierunterricht. Das war aber nicht genug, um den Rosenkavalier zu begleiten. Also das Opernrepertoire überhaupt zu begleiten. Das Korrepetieren war daher sehr selten auf dem Plan (lacht). Sagen wir es so. Ich hatte einen Deal mit dem Lehrer, dass es sowieso keinen Sinn hat, zum Klavierunterricht zu kommen. Das heißt, Oper war überhaupt nicht auf meinem Plan. Dann habe ich Kirill Petrenko in München assistiert, eine Uraufführung von Miroslav Srnkas Oper Southpole. Ich hatte damals die Assistentenstelle bei ihm bekommen, weil ich an der Uni ganz viele Uraufführungen von jungen Studentinnen und Studenten bei Klassenabenden dirigiert habe. Sie haben immer Dirigenten gesucht, die ihre Stücke zusammenbringen. Ich habe während meines Studiums ungefähr 150 Uraufführungen dirigiert, weil kein anderer Kollege diese Aufgaben übernehmen wollte.

Das ist ja spannend!

Ich habe sehr viel durch neue Musik gelernt. Und Kirill Petrenko hat damals einen Studenten oder eine Studentin gesucht, die sich mit neuer Musik auskennt. Das war ich, konnte Kirill Petrenko in München assistieren und habe mich gleichzeitig in Würzburg auf die erste Kappellmeisterstelle beworben, ohne Klavierverpflichtung, was sehr, sehr selten ist an der Oper heute. Sie wollen einen Korrepetitor haben, der auch dirigieren kann. Aber andersherum einen Dirigenten, der nicht Klavierspielen muss, ist nicht häufig. Ich habe mich beworben, obwohl ich noch nie eine Oper in meinem Leben dirigiert hatte…

Also keine klassische Oper, denn im modernen Musiktheater waren Sie ja bereits Chefspezialistin.

Ok, ich habe dann die Lustigen Weiber von Windsor von Otto Nicolai vordirigiert. Und ich habe so eine Freude gehabt, das Orchester und die Bühne zusammen zu bringen, dass ich die Stelle bekommen habe. Man muss ein bisschen Glück haben, ich war zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle. So habe ich mit Oper begonnen. Jetzt liebe ich die Oper, und könnte mir meine Karriere als Musikerin ohne Oper nicht mehr vorstellen.

Wie hat Sie Axel Kober nach Düsseldorf geholt?

Ich war drei Jahre in Würzburg, wo ich bei Enrico Calesso extrem viel gelernt habe, er ist dort immer noch GMD in Würzburg. Ich wusste ja nichts von der Oper, musst von vorn anfangen, hatte eine Riesenlücke. Man muss auch einen Opernbetrieb kennenlernen, viele Wörter, die ich lernen musste und Wege, die man gehen muss und Probenphasen usw. Ich habe drei intensive Jahre in Würzburg verbracht, es war auch sehr schwierig. Aber der erste Schritt ist sehr wichtig für jeden, der Oper dirigieren möchte…

Ist ja auch die klassische Laufbahn. Bis jetzt bei Ihnen das Korrepetieren…

Genau, da habe ich einen kleinen Sprung machen. Und nach drei Jahren wollte ich die nächste Stufe spüren. Und ich habe in Düsseldorf Rigoletto ohne Probe geleitet. Es ist eine Repertoire-Vorstellung gewesen und eine Sternstunde. Es hat alles geklappt, das Orchester war super, die Bühne war sensationell. Ein Wunder ist geschehen. Das ist interessant, weil ich überhaupt keine Nachdirigat oder Repertoire-Dirigentin bin. Ich kann das. Aber mich erfüllt mehr, wenn ich eine Probenphase habe und ich etwas zusammen aufbaue, als in den Graben zu kommen und zu dirigieren, sodass alles zusammenpasst. Ohne Tiefgang, ohne Bogen, das micht mich traurig und ist frustrierend.

Wissen Sie noch wann das war?

Es war vor drei Jahren. Mai, Juni, oder Juli der Spielzeit, bevor ich angekommen bin

Also 18/19. Da hat Axel Kober gesagt, diese Lady brauche ich, die will ich haben? Nach der Vorstellung kam der Operndirektor zu mir und sagte, wir engagieren Sie, ist gleich eine Woche später mit dem Vertrag gekommen. So ging meine Laufbahn in Düsseldorf weiter. Doch leider eine zu kurze Zeit. Corona ist gekommen, gleich nach unserer Romeo et Juliette Produktion von Gounod. So sechs Monate ohne nichts. Wir haben versucht, Kleinigkeiten zu machen. Die Spielzeit war dann fertig. Und dann kam die zweite Corona-Spielzeit. Eugen Onegin ist für mich ausgefallen. Statt dessen haben wir eine Barbiere-Produktion gehabt, mit Corona-Abständen. Aber die schöne Aufgabe, die ich in Düsseldorf eigentlich gehabt hätte, konnten wir nicht durchführen, wegen der Pandemie. Weil dann zu viel Engagements sich verschoben haben auf diese Spielzeit, konnte ich meine Position an der Deutschen Oper am Rhein nicht mehr behalten, weil ich zuviel unterwegs gewesen wäre als Gastdirigentin.

Das heißt aber immerhin, Ihr Auftragskalender ist gut gefüllt.

Ja, ich habe großes Glück. Viele Kollegen von mir wollen jetzt eine fixe Stelle haben, weil die Pandemie viel durcheinander gebracht hat. Und es ist eine große Sicherheit, jeden Monat sein Gehalt zu bekommen. Bei mir ist das Gegenteil der Fall. Ich bin als Gastdirigentin so gefragt, dass ich mir leisten kann, diese Sicherheit nicht mehr zu haben.

In welchen Städten sind Sie denn demnächst gefragt, nennen Sie mal ein paar Namen, ich denke immer Oper?

Nein, nicht immer Oper. Das nächste Programm nächste Woche ist mit den Dresdnern und Diana Damrau und Piotr Beczała. Dann habe ich ein Konzert mit dem WDR-Sinfonieorchester in Köln.

Schönes Programm, ein zeitgenössisches Stück von David Horne, dann Chaussons Poème de l’amour et de la mer mit Michèle Loisier und nach der Pause kommen Vorspiel und Liebestod aus Tristan und Isolde und dann La mer von Debussy.

Und die nächste Oper wird sein?

Ich habe in dieser Spielzeit vier Premieren, das sind acht Monate Probenzeit. Die nächste wird sein Hamlet von Ambroise Thomas an der Komischen Oper Berlin. Und am Ende der Spielzeit Le nozze di Figaro in Antwerpen und Gent.

Welcher Kontakt hat Sie denn nach Nancy gebracht?

Das ist eine schöne Geschichte. Der jetzige Intendant der Oper in Nancy (Matthieu Dussoillez), der noch nicht seine Funktion inne hatte, aber wusste, dass er die Position übernehmen wird, ist vor vier Jahren nach Stuttgart gekommen, um eine Vorstellung von mir anzuhören. Medea von Cherubini. Damals haben wir uns getroffen. Und es ging darum, eine Oper in Nancy zu dirigieren, weil meine gesamte Familie aus der Umgebung von Nancy kommt. Ich habe also eine Verbindung oder ein Herz für diese Region.

Sie sind zwar in Paris geboren, aber ihre Familie lebt in Épinal…

Genau. Und wir hatten eine Oper geplant, die in der Pandemie gewesen wäre und ausgefallen ist. Dann ist es nicht mehr ausgegangen mit meinem Kalender und wir haben ein anderes Stück gesucht. Les amours des trois oranges ist ins Gespräch gekommen. Und ich habe ein Riesen-Ja gegeben. Es ist ein tolles faszinierendes Stück.

Was war denn die Oper, die für Sie hinten runtergefallen ist?

Das wäre auch ein traumhaftes Stück gewesen. Ariane et Barbe-Bleu von Paul Dukas.

Jetzt ist es für Sie Prokofjew geworden, ein Stück, dass einem die Schuhe auszieht. Kaum sitzt man bequem, wird man schon wieder aus dem Sessel katapultiert mit neuen Einfällen. Prokofjew hat Die drei Orangen im US-Exil komponiert. Hat Prokofjew versucht, für die USA bestimmte Musikidiome aufzubieten, um dort erfolgreich zu sein?

Nicht, dass ich wüsste. Es ist die einzige Oper, die ich von ihm dirigiert habe. Seine Opern werden selten auf die Bühne gebracht, weil sie sängerisch und von der Partitur her anspruchsvoll sind. Ich kenne seine Sinfonien. Nach dieser Oper hat er unmittelbar seine 1. Sinfonie komponiert. Seine klassische Sinfonie lässt aber noch nicht seine voll entwickelte Sprache hören. Die fünfte Sinfonie, die ich mal dirigiert habe, ist viel gewaltiger, bitterer, auch als L’amour des trois Oranges, die energetisch, leichter und humorvoll ist.

Prokofjew hat ja in dieser Oper über Oper eine Revue mit Mythen, Masken und Konventionen komponiert. Ein Märchen, mit dem Krankenzimmer des Prinzen, einer Verschwörerbande, es geht ab in die Hölle, Wüste, in die Hexenküche… Was spricht Sie in diesem Handlungs-Tohuwabohu am meisten an?

Es spricht mich sehr viel an. Als Dirigentin bin ich bei der Oper sehr häufig mit Liebe, Tod und existentiellen Fragen, philosophischen Hintergründen beschäftigt. Ich investiere ganz viel in die Produktion. Manchmal muss man sich von einer Produktion sogar erholen…

Weil sie belastet, so schön es ist.

Genau. Und in dieser Produktion mit Les Amours des trois Oranges geht es um ein Stück, das direkt ist, sehr deutlich, es geht nicht um etwas, was es nicht im ersten Moment ist. Im Libretto steht alles drin. Man muss keine Hintergründe befragen oder eine Geschichte hinter der Geschichte suchen. Es ist wie ein Charakter aus der Comedia dell’Arte. Pierrot oder der Buffon, der hat nicht eine Riesenschicht von Persönlichkeit. Der ist einfach und deutlich gezeichnet. Dieser Oper von Prokofjew ist sehr deutlich komponiert. Die Musik erreicht uns direkt ohne Zwischenwege. Dazu ist sie auch humorvoll, leicht, und es gibt schöne Momente, aber wir können uns nicht ausruhen. Es ist sehr energetisch, gibt aber auch viel Energie zurück fürs Leben. Das ist sehr selten bei Opern.

Marie Jacquot bei der Klavierhauptbrobe. Foto: Amandine de Cosas

Es gibt aber auch viel Militärkappellenton. Und dann doch auch die doppelte Ebene der Beobachtung zur Handlung. So ganz eindimensional ist es ja nicht. Die Chorschlacht mit falschem Fugato ist schon sehr speziell. Mit Schlichtern und Ordnern gleich im Prolog. Danach eine höllische Musik zum Kartenspiel von Tchélio und Fata Morgana mit Misterioso-Défilé und Zauberfluch! Wie würden Sie die Musik umschreiben, gibt es da auch mal den Moment, „och, ist das aber schön…“

Nein, überhaupt nicht. Ich finde die Musik fast schon sarkastisch. Das Kartenspiel ist als Parodie gedacht. Und wenn Tchélio am Anfang des dritten Aktes kommt und nach Farfarello ruft, der mit seinem Wind helfen soll, damit die Orangen gesucht werden könnten, kommt ein mysteriöse, über zwei, drei Minuten dauernde Musik. Das ist übertrieben…

So eine Art Evocation. Ich habe versucht zu zählen, Farfarello hat er glaube ich mehr als 20 Mal gerufen…

Wahnsinnig viele Mal. Es ist faszinierend, dass wir dennoch nicht denken, noch einmal? Zuviel! Es ist so raffiniert gemacht, dass wir das Gefühl haben, es geht immer noch. Dieser Moment ist ein Bijou.

Es ist wie eine Art Wiederholung, die man begreift. So ist es ja auch. Man wartet, bis derjenige kommt, den man ruft, der kommt ja nicht sofort, und es geht einem dabei viel durch den Kopf…

Spontan erinnere ich mich an eine Oper, die ich vor kurzem in Kopenhagen dirigiert habe. Faust von Gounod. Faust ruft Mephisto und der ruft „me voilà“ und kommt aus dem nirgendwo (lacht) …

Da ist man ja erschreckt! (Lachen)

… in der Vorstellung waren Kinder, und die haben sich deppert gelacht, weil es so komisch gewirkt hat.

So geht es eben nicht mit dem Rufen der Geister!

Genau. Wenn man verzweifelt ist und jemanden ruft und hofft, dass er oder sie kommt, da macht das viel Sinn, was Prokofjew schreibt. Und wie es geschrieben ist, parodiert, ist großartig!

Es gibt auch viel Bewegungsmusik, das hat die Regisseurin Anna Bernreitner sehr gut aufgegriffen. Teilweise choreografiert, sie hatte glaube ich jemanden dabei, der ihr bei den Bewegungsanleitungen geholfen hat. Leanders Schleichen und der schleppende Zug des Prinzen in der Wüste, die Verfolgungsjagd der Bösewichter. Traurige Musik gibt es auch. Und jede Menge singendes Personal… Was war für Sie die Herausforderung in diesem Stück?

Einer der Gründe, warum ich das Stück unbedingt machen wollte, ist, dass es stimmlich, technisch für das Orchester und auch für mich eine Herausforderung gibt. Wie wir schon gesagt haben, es gibt keine Ruhe in dem Stück. 10 Takte ein Tempo, ein Charakter, und dann wieder ein völlig anderer Charakter. Und das geht anderthalb Stunden so. Man hat keine Zeit, sich auf irgendetwas vorzubereiten. Bei anderen Opern, bei Wagner sind die Anschlüsse smooth. Es geht ineinander. Hier ist dauernd Kontrast. Und die Tempi zu treffen, sofort, vor allem die Tempi, die auch den Sängern helfen, das ist wirklich eine Herausforderung. Genau das mit dem Orchester zu schaffen, dass die Musiker auch die Verantwortung übernehmen, das richtige Tempo zu treffen, das hat einige Zeit gedauert. Gestern ist zu spüren gewesen, dass wir das Stück wirklich kennen. Und auch befreit musizieren konnten.

Das hat man gespürt, dass das Orchester richtig loslegen konnte und à point war. Haben Sie als Posaunistin das Blech besonders in Augenschein genommen, denn es gab da ja viele gestopfte Blechmomente, die gar nicht so einfach sind.

Ich glaube, ich bin mit meinen Kollegen zu nett. (Ganz viel Lachen)

Zu nett?

Weil ich weiß, welche Herausforderung das ist, beispielsweise mit den gestopften Tönen. Wenn wir eine Sourdine (Dämpfer) in den Pavillon (Schalltrichter) hineinnehmen, dass die Intonation sich wahnsinnig verändert. Es gibt einen Moment, wo die Trompeten mit Dämpfer spielen und die Posaunen ohne Dämpfer. Die Intonation von drei Trompeten mit Dämpfern ist schon ziemlich schwierig und dann noch drei Posaunen und Tuba ohne Dämpfer, diese Klangfarbe zu mischen, ist nicht einfach. Schon ziemlich schwierig hinzubekommen. Sie tuen ja sowieso immer das Beste. Und ich unterstütze dabei.

Mit dem Wissen einer Posaunistin, die weiß, wo die Probleme sind wenn man in so ein Instrument bläst. Wie war denn die Zusammenarbeit mit der Regisseurin Anna Bernreitner?

Anna hat bei den szenischen Proben die Leitung übernommen. Da war ich sehr zurückhaltend. Das war ihre Arbeitsphase. Dann habe ich mit meinem Orchester angefangen. Dann war sie sehr zurückhaltend. Sie hat mir aber immer gesagt, was sie gerade auf dem Plan hat, und gefragt, ob der Chor, wenn er vom Saal herkommt, ich damit einverstanden wäre, ob der Chor auf dieser Leiter stehen kann oder ob das die Akustik verschlechtert. Für mich war das kein Thema, ich unterstütze die guten Ideen der Regisseure. Gestern kam sie nach der Premiere zu mir und sagte, dass ich die unkomplizierteste Dirigentin bin, mit der sie je gearbeitet hat.

Ein schöneres Kompliment kann es doch nach einer Premiere gar nicht geben. Und da kommt doch Kopenhagen ins Spiel, das dortige Opernhaus hat Sie doch nicht von ungefähr engagiert, in zwei Jahren Musikalische Direktorin zu werden?

Dort habe ich Faust von Gounod im September der letzten Spielzeit gemacht. Die Produktion ist so schön gelaufen. Das war Liebe auf den ersten Blick, und mit jeder Abteilung. Sogar mit der Administration, natürlich mit dem Chor, dem Orchester, dem Ensemble, den Sängern. Und nachdem ich längst weg war, sagte mir der Operndirektor, dass viele zu ihm gekommen seien und gesagt haben, dass ich unbedingt zurück kommen sollte und vielleicht mit mehr Verantwortung. Sie hatten gar nicht vor, einen neuen Chef zu nehmen. Also haben wir überlegt, in welcher Konstellation ich mich mehr einsetzen könnte und sind auf die Idee gekommen, mich als Musikalische Direktorin einzusetzen, was mir noch Raum lässt zu gastieren. Ich habe also zwei Opernproduktionen und ein Sinfoniekonzert. In der Zukunft, wenn es gut läuft, werde ich vielleicht Artistic Director, also wie bei uns Generalmusikdirektorin mit mehr Verantwortungen fürs Haus.

Also jetzt erst einmal Musikalische Direktorin mit einem Türchen in die eigene Freiheit.

Ich darf hier überlegen, in welche Richtung ich mit dem Repertoire mich verstärken möchte, mit dem Orchester, welche Identität ich da reinbringen möchte. Als Generalmusikdirektorin müsste ich ganz viel vor Ort sein. Ich nehme das Beispiel von Axel Kober an der Oper am Rhein. Er ist sehr viel da, obwohl er auch viel gastiert. Er ist involviert in die Planung der Spielzeit, ist immer da, wenn Musiker ein Problem haben, und setzt sich für die Lösung von Problemen ein. Sein Haus ist wie seine Familie. Und dafür braucht man natürlich einen Wohnsitz vor Ort, weil man nicht nur bei seinen Produktionen dabei ist, sondern auch bei den Produktionen der anderen.

Das wollen sie langfristig also in Kopenhagen realisieren?

Das werden wir sehen. Der Grund, warum ich mich noch nicht als GMD mit dem Haus verbunden habe ist, dass es meiner Meinung nach zu früh wäre. Die Schwierigkeit in unserem Beruf ist nicht eine Oper zu leiten. Es sind die Menschen. Ich möchte noch mehr menschliche Erfahrungen machen, sodass ich mal top an einem Haus sein kann und genug im Gepäck habe, um mit allen Menschen umzugehen. Das ist das Schwierigste. Dafür bin ich noch zu jung, ich möchte noch mehr Erfahrungen sammeln!

Ich würde gern noch auf ein letztes Thema zu sprechen kommen, wir haben über die Oper hier in Nancy und über Ihre Karriere gesprochen. Sie sind Leistungssportlerin gewesen und haben mal in einem Interview gesagt, dass Leistungssport ein Trigger für sie gewesen sei, um den Posten der Dirigentin zu erobern. Könnten Sie uns das mal genauer erläutern, warum Leistungssport für die Dirigentin eine wichtige Erfahrung war?

Der Leistungssport, das Tennisspielen, hat mir viel gebracht. Die Disziplin, wir wissen, dass wir jeden Tag auf ein Datum oder einen Wettkampf hin viel trainieren müssen. Das Planen kommt dazu, auch wann ich was planen oder verstärken muss. Wir waren mit einem Team unterwegs. Mit 10 Jahren war ich viel von zuhause weg und habe in diesem Team Zeit verbracht. Diese Comunity war ein ganz besonderer Aspekt in meinem jungen Leben. Wir haben im Orchester auch eine Comunity. Der Unterschied ist hier nur, dass ich im Tennis gegen einen Gegner spiele und gegen mich selbst. Vor dem Orchester musiziere ich mit dem Orchester. Das ist eine wichtige Nuance. Rein körperlich, physisch gibt es auch Aspekte. Die Unabhängigkeit der Arme, mein Wissen um meine Muskeln, wenn der Arm wehtut und ich eine Pause brauche. Ich weiß, wann ich aufhören muss, weil ich das erfahren habe. Antizipation ist auch wichtig. Als Tennisspielerin bist Du reaktiv, Du musst abwarten, bis der Ball kommt, um zu reagieren …

und vorab erkennen, wie der Ball kommt, ob er angeschnitten ist oder im Loup kommt…

… genau, und du musst dich vorbereiten, musst wissen, in welche Richtung du gehen willst. Das ist beim Dirigieren das Gleiche. Beim Tennisspielen, da bist du erst einmal in der Gegenwart. Die Vergangenheit ist aber auch dabei, die ist mental verbunden. Wenn du beispielsweise die vorherigen Sätze verloren hast und gewinnen willst, dann musst Du mental stark sein, dich überwinden, nicht mehr darüber nachzudenken und positiv bleiben. Und natürlich zählt die Zukunft, wo es zum Sieg und zur Niederlage geht. Bei der Musik geht es allerdings nicht um das Gewinnen. Das spricht mich auch viel mehr an, weil ich gern etwas mit anderen zusammen aufbaue. Aber diese drei Zeitspalten sind da genau gleich, ich stecke beim Dirigieren permanent in dieser Klammer. Es ist die Gegenwart, in der man dirigiert, man ist in der Vergangenheit, von woher wir kommen. Man muss sich erinnern, wie gespielt wurde und in die Zukunft denken, wie man interpretieren will. Das muss man auch im Voraus angeben. Das ist mental, psychisch und körperlich belastend. Vom Leistungssport her habe ich das im Gefühl.

Was war denn Ihr größter sportlicher Erfolg?

Ich war unter den fünf besten Tennisspielerinnen in Frankreich und habe in der Frankreichauswahl gespielt. An einen großen Sieg kann ich mich aber nicht erinnern, weil Siege waren mir nicht so wichtig, das Spiel hat gezählt. Ich habe aufgehört, bevor die wichtigen Siege kommen sollten.

Betreiben Sie heute noch Sport? Und ist es auch noch Tennis oder ist es ein anderer Sport geworden?

Dirigieren ist schon auch Sport. (Lacht) Ich habe gelesen, dass Schach auch Sport ist, und das ist der Sport, der die meisten Kalorien verbrennt.

Tatsächlich? Da habe ich etwas gelernt.

Und Dirigieren auch (lacht). Ich setze mich zwar nicht so emotional ein, weil ich will eine Distanz haben und den Musikern helfen, die die Musik ja spielen und tragen. So helfe ich am besten den Musikern, sich auf die Musik zu konzentrieren. Aber ich vermisse Tennis. Das Bedürfnis zu spielen ist wieder da. Und ich habe diese Spielzeit wieder angefangen. Ich nehme meine Schläger mit zu den Auftritten. Jetzt hier in Nancy nicht. Aber kürzlich in Strasbourg. Und in der Zukunft werde ich bei den Musikern anklopfen und fragen, ob jemand mit mir spielen will. Entspannt natürlich. Besser wäre es zu trainieren. Aber fürs richtige Trainieren muss man oft zuhause sein, und ich bin viel unterwegs.

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