Die Opéra Comique mit Mondonvilles „Titon et l‘Aurore“ versilbert Schäferidylle und vergoldet Musik! Und kommt im Stream nach Hause!

Jean-Joseph Cassanéa de Mondonvilles „Titon et l‘Aurore“ ist selbst für romantische Opernfans eine märchenhafte Repertoire-Entdeckung. Zumal der musikalische Altmeister William Christie (ohne Mundschutz) sie leitet und das von ihm gegründete Ensemble Les Arts Florissants im Graben (mit schwarzem Mundschutz) musiziert. Der USAmerikaner aus Buffalo hat Ende der 1970er die Wiederentdeckung des Stile classique in Frankreich eingeleitet, entschieden vorangetrieben, unter anderem im Haus der Opéra Comique mit einer gefeierten Tragédie en musique von Jean-Baptiste Lully. Bis auf den heutigen Tag unvergessen ist dieser „Atys“. Ein ganz besonderes Augenmerk legte Christie aber stets auf Jean-Philippe Rameau. Dessen Balletteinlagen-Musik sei das Beste überhaupt, was diese Zeit hervorgebracht habe. Und ein Tambourin kann da mal fast aus der Kurve fliegen. Die Pastorale héroïque „Titon et l‘Aurore“ erinnert vom ersten Moment an die Wucht, den Schwung und die tänzerische Eleganz, die Vorgänger Rameau in seine Partituren gelegt hat. Mondonville verkörpert nach Lully und Rameau die dritte classique-Generation, die Christie erobert. Alle haben die französische Sprache in den melodischen Fluss eingefügt und umgekehrt, den melodischen Fluss an der Aussprache der französische Sprache orientiert. (Von Sabine Weber)

Titon, Reinhoud van Mechelen und Aurora, Gwendoline Blondeel. Foto: Stefan Brion

(Opéra-Comique Paris, Livestream der Premiere, 20. Januar 2021) Genau daran scheitert heutzutage zumeist eine Aufführung von Lully, Rameau oder Mondonville! An dem Duktus französischer Melodien, Betonungen und Abphrasierungen, dazu das jazzig lockere inégale Spiel (leicht triolisch interpretierte Achtelketten). Fällt vor allem Deutschen schwer! Die französische Oper wurde als Pendant zur klassischen Literatur eines Quinault oder Racine erfunden. Beides sollte gleichermaßen nebeneinander stehen. Hat es natürlich nur für die kurze Lully-Zeit. Schon Rameau ließ Musik mehr wollen als nur Dienerin des klassisch gestelzten Wortes zu sein. Wie auch immer, diese goldene Epoche hat einen unvergleichlichen theatralen Musikschatz hervorgebracht.

Text ist tiptop zu verstehen. Selbst wenn die Musik es zum Äußersten bringt!

Éole, Marc Mauillon. Foto: Stefan Brion

Und die von Christie rekrutierte Ensembleschar hat bis auf den heutigen Tag die größte Expertise für die gesungene französische Sprache dieser Zeit. Alles ist natürlich tiptop zu verstehen! Selbst wenn die Musik in Feuer, Donner und Sturmszenen es zum Äußersten bringt! Eine junge Göttin steht im Mittelpunk. Aurora, mit Gwendoline Blondeel eine geradezu strahlend jugendliche Schönheit mit klar-scharf-deutlich artikuliertem Sprachklang und auch in höchsten Lagen blitzblank sauber. Sie hat sich verliebt in den Schäfer Titon. Reinoud van Mechelen, ein gewichtig gemütlicher Schäfer im folkloristischen Schlapphut, aber mit äußerst schlank geführtem und mit großer Höhe ausgestattetem und dennoch voluminösem Tenor, der den Sprachklang perfekt formt und temperiert. Der Belgier Mechelen ist unter Christie groß geworden. Sein Gegner ist Auroras gehörnte Gatte Éole. Marc Mauillon, ein hoher leichter Bariton, wütet als Aeolus, Wind- und Sturmgott, in aufgeblähtem Gewand. Als sei der sixtinische Gottvater mit wallendem Bart aus dem Fresco gestiegen. Ganz großartig ins Bild gesetzt mit luftigen Adlerschwingen von Kostümbildern unter Leitung von Regisseur Basil Twist. Er hat auch den Décor, das Bühnenbild entworfen. Éole wird von der Schäferchefin Palès unterstützt, Emmanuelle de Negri, ebenfalls eine lange Weggefährtin William Christies. Sie tritt mit Widderhörnern und auf dem Boden schleifenden Rockvolants aus Schaffellen auf. Und liebt ihrerseits Titon, versucht daher die Rache Éoles aufzuhalten. Bis sie merkt, dass auch sie keine Schnitte hat und mit einer großartigen Rachearie ihr Schicksal besiegelt. Nicht nur die Italiener konnten wüten, auch die Franzosen.

Die Gloire gehört dem Plaisir!

Die Moral ist hier leicht geschürzt. Nachdem Titon mit Alter – der Bart wird grau und immer länger – und Blindheit geschlagen wird, steht Aurora dennoch weiterhin zu ihm. Sie erkennt ihn im Herzen. Das ist wahre Liebe. Gott Amor, der zur Hilfe gerufen wird, belohnt sie, macht die Verheerungen retour. Und im abschließenden Schlussduett Aurora-Titon, nach einer Bravourarie von Titon, wird dem mächtigen Herzenesgott, Julie Roset als silberner Rosenkavalier, zugejubelt. Apropos Strauss, es gibt auch ein wunderbares Damenterzett mit drei Waldnymphen! Die Gloire gehört dem Plaisier. „Une nouvelle chaîne est une douce erreur“. Es braucht Liebesbande (chaîne = Ketten) unter denen sich atmen lässt! Und noch einmal Tanz, aus dem Himmel tanzende Elfenpuppen. Die Schafe tanzen insgesamt etwas viel, auch wenn die Choristen von Les Arts florissants ganz virtuos und gekonnt die Schafattrappen führen.

Prometheus, Renato Dolcini. Foto: Stefan Brion

Eine idyllische Welt soll erschaffen werden. Daher wird im Prolog auch die Prometheus-Legende verkörpert. Und Prometheus ist eine äußerst Koloratur-starke Basspartie, hier mit Renato Dolcini, der den neu zu erschaffenden Menschen mit Feuer natürlich nicht das Leben und das Wissen, sondern vor allem das Liebesfeuer bringt. In diesem Prolog hat auch Gott Amor seinen ersten Auftritt und bleibt bis zum Schluss der Playmaker.
Eine wunderbar barock verspielt angelegte, ästhetisch runde Inszenierung, die Schafballette sind ein bisschen übertrieben. Keine leichte Aufgabe für den heutigen Regisseur, ohne Tänzer – wie damals – auskommen zu müssen!
Titon et l‘Aurore wurde nach der Uraufführung 1753 Mondonvilles erfolgreichste Bühnenwerk. Und hat in der damals grassierenden Querelle des Bouffons mächtig mitgepunktet, natürlich für die Franzosen gegen die Italiener. Das glaubt man nach dieser Produktion sofort. Sie ist übrigens als Stream über medici-tv noch drei Monate verfügbar. Diese Aufführung sollte sich jeder nach Hause holen! Zum Link

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