Beim stARTfestival in Leverkusen frömmeln Jakub Józef Orliński und Lauren Snouffer operntauglich und sind berückend!

( Jakub Józef Orliński und Lauren Snouffer, Werner Ehrhardt. Titelfoto: peuserdisign.de) Das stARTfestival, mit seinen Heimspielstätten in Leverkusen und im Kulturpalast Wuppertal, Berlin und Bitterfeld, hat sich in diesem Jahr vorgenommen, die Hörsinne vorzüglich wach zu kitzeln. Noch bis Ende Mai sind Stardirigentinnen und Dirigenten auch in ungewohnten Rollen als Liedbegleiter zu erleben, und dazu Liedgesangsdiven und Entdeckungen im Repertoire zu machen.
L‘arte del‘mondo, ständiges Orchester in residence der Bayer Kultur, präsentierte sich im Rahmen des Festivals am Mittwoch im Bayer-Erholungshaus mit unerhörten Solisten: Jakub Józef Orliński und Lauren Snouffer. Sie ließen hören, dass religiöse Rührung mit operntauglichen Mitteln arbeitet. (Von Sabine Weber)
(4. Mai 2022, Erholungshaus, Leverkusen) Und vor der ältesten Spielstätte Leverkusens bündeln sich Menschengruppen. Parkplätze unmöglich zu finden, und am Schalter Stau, selbst an vorbestellte Karten kommt man nicht ran. Denn die Sopranistin Fatma Said, Nachwuchssängerin des letzten Jahres und dieses Jahr stART-Künstlerin hat sich mit einem Special Guest angekündigt. Jakub Józef Orliński soll ihr beim weltberühmten Stabat Mater von Giovanni Battista Pergolesi als Counter beziehungsweise Altist beiseite stehen. Doch wenn vor Beginn eine Ansage gemacht wird, kommt es meist anders. Der Leiter des stARTfestivals, Christoph Böhmke, begrüßt das Publikum charmant und verliest einen noch charmanteren Brief, in dem Fatma Said ihre Absage erklärt. Während der Proben, in denen die Sänger und L‘arte del mondo unter Werner Erhardt sofort zusammen gefunden hätten, habe sie eine Stimmbandentzündung ereilt. Am selben Abend sei sie bereits ohne Stimme gewesen – das Schlimmste, was einer Sängerin oder Sänger passieren kann. Dass Ersatz gefunden wurde, ist dann dem Gast Jakub Józef Orliński zu verdanken. Er rief Lauren Snouffer in Zürich an, die, wie er selbst , in Karlsruhe bei den Händelfestspielen in Barockopern gefeiert wurde. Und Snouffer setzt sich in den Zug, um am Abend neben Orliński zu stehen.

Begeistert werden l‘Arte del‘mondo und Leiter Werner Ehrhardt begrüßt. Das arabische Volkslied, mit dem die aus Kairo stammende Sopranistin Fatma Said laut Programm eigentlich einsteigen wollte, ersetzen sie durch Concerto- Sätze in gedämpfter moll-Färbung von Evaristo dall‘Abaco. Dann kommt Opernstar Jakub Józef Orliński aufs Podium. Erstaunlich ernst und spielerisch ungewohnt zurückgenommen steht er da und bezaubert mit dem sanften Vorspiel, beziehungsweise der Arie Vergnügte Ruh, beliebte Seelenlust aus Johann Sebastian Bachs ebenso überschriebener Kantate BWV 170. Und er lässt seine Counter-Kunst mit Ruhe und Klarheit mittels lang gezogener Melodien, die zuvor eine Oboe gestaltet hat, durch den Raum gleiten. Von sanften Begleitfiguren der Streicher und dem Continuo getragen. Das leidenschaftliche Concerto da chiesa in f-moll des Neapolitaners Francesco Durante, mit leidend lang gezogenen Tönen, Seufzern, aber auch bewegten Fortspinnungen im schnellen Mittelteil und einer trotzig stampfenden Gavotte mit synkopierten Stolperern am Schluss, ist eine perfekte Überleitung zum Stabat mater Pergolesis. Giovanni Battista Pergolesi war vor allem Opernkomponist. Das Stabat mater ist sein berühmtestes Kirchenwerk, kurz vor seinem Tod entstanden. Es ist zu seinem Vermächtnis geworden für eine Kunst der Rührung, die alle rhetorischen Mittel kunstvoll aufwendet, die im Barock entwickelt – und kurz bevor die Frühklassik ihre Tore öffnet – bereits geglättet melodiöser geworden ist. Orliński klingt in der Tongebung etwas schärfer als auf der Opernbühne gewohnt. Aber wunderbar verschmilzt seine mit Snouffers etwas weicherem Timbre. Sie wechseln sich in der Beschreibung und im Ausdruck des Leides ab und klagen für die Gottesmutter Maria unter dem Kreuz in herzzerreißender Weise. Mit teilweise wie vor Schmerz stockender Sprache, Hoffnungsschimmern in Fugenform, opernhaften Oktavsprüngen, die eigentlich für heldenhafte Arien reserviert sind. Alles gehört dazu. Und es fehlen auch nicht die neapolitanischen Trugschlüsse, die mit Pergolesi berühmt geworden sind. Das Publikum versinkt in Rührung, einige versuchen, bereits zwischen den Sätzen euphorisch hinein zu klatschen. Am Ende ist kein Halten mehr, Bravi-Rufe, Gestampfe, stehende Ovationen. Auch das Orchester wird zurecht bejubelt. Das waren 70 Minuten lang exquisiter musikalischer Genuss und Alte Musik vom Feinsten!

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