„Acht Brücken | (Neue) Musik für Köln” in der Philharmonie mit dem WDR Sinfonieorchester fulminant eröffnet

(Beim Betreten der Philharmonie! Foto: Sabine Weber) Im Eröffnungskonzert der 13. Ausgabe bietet das WDR Sinfonieorchester unter Cristian Măcelaru in der ersten Hälfte in die Jahre gekommene Moderne. Aber György Ligetis „Clocks and Clouds“(1972/3) mit Frauenchor (Frauen des WDR Rundfunkchores) und „Atmosphères“ für gigantisches Orchester (1961) – Ligetis 100. Geburtstag wird in diesem Jahr gefeiert –  sowie Claude Viviers „Orion“ (1979) mit noch mehr Schlag-Klangwerk, wirken unerhört frisch und sogar aufregend modern im Vergleich zu dem postromantischen Violinkonzert von Mark Simpson (*1988), das nach der Pause uraufgeführt wird. Der Brite lässt vor allem die Solistin arbeiten. Und hat gute Aktien, denn Nicola Benedetti liefert eine beeindruckende Performance, die trotz einigen Leerlaufs mitreißt. (Von Sabine Weber)

(Aufführung am 28. April 2023 in der Kölner Philharmonie) Für Köln ist dieses Festival konzipiert, betont Louwrens Langevoort in einer kurzen Ansprache vor dem Konzert. Langevoort ist Gastgeber weil Intendant der Philharmonie, außerdem Gesamtleiter von Achtbrücken, und vergißt auch nicht darauf hinzuweisen, dass das Festival vom Kernzentrum Philharmonie in der Stadt bis zum 7. Mai an weitere 13 Spielstätten – schon wieder die 13 – ausstrahlt und es mit Achtbrücken Freihafen am 1. Mai sogar einen Tag Musik mit jungen Nachwuchskünstlern bei freiem Eintritt gibt. Köln, einst eine Hochburg für Neue Musik, soll in diesem Sinne wieder hochkommen. Langevoort glaubt daran. Seine Begeisterung teilt sich jedenfalls mit und kommt beim Publikum an. Auch bei der NRW-Ministerin für Kultur und Wissenschaft, Ina Brandes, die neben ihm steht und bestätigt, dass die nächsten Ausgaben finanziell vom Land abgesichert seien. Das sind frohe Botschaften vorneweg.

WDR Rundfunkchor und Sinfonieorchester unter Cristian Măcelaru: Foto: Jörn Neumann

Das WDR Sinfonieorchester füllt die Botschaft sofort mit Leben und entwickelt feinfühlig einen gewaltigen György-Ligeti-Klangkosmos im pianissimo. In Clocks and Clouds spielen erst fünf Flöten mit nur zwei Tönen. Phasen aus einem rhythmisierten Ganzton überlagern sich immer wieder anders und verschieben sich in einem schillernden Spiel. Das Spiel wandert zu fünf Klarinetten, wieder zurück zu den Flöten, dann zu den Celli. Alles immer noch piano, aber schon permutiert. Der Frauenchor, im Halbkreis in den Balkonen über dem Podium steht er, ist plötzlich wie eine extraterrestrische Stimme dabei. Unmerklich im pianissimo dazugekommen, liefern die Damen eine feine Klangschicht aus sich überlagernden Vokalisen auf Laute. Text gibt es keinen. Alles scheint Raum und Zeit sanft zu fluten, mäandert, morphosiert, fasziniert. Zwei Harfen mit Vibraphon durchbrechen einmal das Klangnetz, an dem auch zwei Trompeten, zwei Posaunen und Basstuba, natürlich auch die hohen Streicher längst mitwirken. Eine Überraschung ist auch eine nur-pizzicato-Fläche, die sich kurzzeitig überlagert. Die kaum merklichen Veränderungen sind das Ereignis, wobei Măcelaru Uhr und Bezugspunkt ist. Stoisch hält er alles zusammen und lässt am Ende in einem pianissimo ausklingen, dass die fallende Nadel in der Philharmonie noch gehört worden wäre…

Legt dieses Stück schon irgendwie Weltallklänge nahe, denn Stanley Kubrick hat durch die Verwendung von Ligeti-Klängen (u.a. Lux aeterna für Chor) in seiner Sci-Fi-Legende Odyssee 2001 diese zum Inbegriff von Weltraummusik gemacht, so ist Atmosphères dann das Werk, bei dem sich Kubrick tatsächlich bedient hat. Dem voraus geht aber erst noch Orion für großes Orchester von Claude Vivier. Auch in diesem Stück entstehen Klangflächen, die aber anders als bei Ligeti mit realen Gesten wie Kindermelodien oder Trompetensignalen durchsetzt sind oder mal nur aus fasslichen Quart-Quint-Klängen bestehen. Zwei Male ruft der Orchesterpianist Paolo Alvares ein „Heio“ (Rufterz!) in den Raum. Buckelgongs liefern ein pentatonisches Intermezzo. Auch die Posaune hat ein bemerkenswertes Solo. Einmal spielen Hörner und Kontrabässe so zusammen, dass Obertöne als Paritialtöne durch den Raum wabern. Das ist fast Magie. Viviers Musik setzt in den Abschnitten, es gibt immer wieder Pausen, jede Menge Assoziationen Richtung Sterne frei. Anders als Ligeti gibt es hier auch Pathos! Orion ist ja auch eines der bekanntesten weil markantesten Wintersternbilder. Komponiert hat es der Kanadier Vivier übrigens unmittelbar nach seiner dem Astronomen Kopernikus gewidmeten Oper. Und wie in seiner Oper spielen auch hier zwei Trompeten tragende Rollen, die Vivier mit dem Tod in Verbindung sehen wollte. Das WDR Sinfonieorchester hat Orion unter Peter Rundel 2007 übrigens schon aufgenommen.

Ligetis Atmosphères ist der Orchester-Superlativ des Abends. Bis zu 87 Orchesterstimmen sind in der Partitur übereinander gesetzt, vierfaches Holz, jeweils vier Trompeten und Posaunen, eine Basstuba. Das WDR Sinfonieorchester unter Măcelaru ist den Klanganforderungen in jedem Moment gewachsen und entwickelt eine Klangpracht, die in fließenden Übergängen und fein austarierter Dynamik durch das Orchester wabert. Vieles müssen die Musiker sicherlich selbst machen und finden, aber die Augen sind stets auf Măcelaru gerichtet. Das Publikum geht beeindruckt in die Pause.

WDR Sinfonieorchester unter Cristian Măcelaru: Foto: Jörn Neumann

Das neue Violin Concerto von Mark Simpson wirkt im Vergleich zu den komplexen Klangfantasien der ersten Hälfte fast simpel. Mich erinnert die Musik an den georgischen Komponisten Giya Kanchelis, der durch modal wirkende Motive entfesselt oder elegische Melodien über stehende Klänge zieht. Mit einem Lamento beginnt dieses Konzert aus insgesamt fünf ineinander übergehenden Teilen. Über solche Vergleiche wird aber nicht lange nachgedacht, denn die Geigerin Nicola Benedetti bannt sofort alle Aufmerksamkeit. Groß und schön geigt sie auch noch wie der Teufel. Das darf, das muss sie hier auch. Doppelgriffe sägen, rauf und runter, sich gegen einen sehr lauten Orchesterpart durchsetzend, es ist also ein weiteres virtuos alles abverlangendes Violinkonzert. Einige Male sind übrigens typische Stradivarius-Nebengeräusche zu hören. Sobald Benedettis Bogen ruhig über das Instrument streicht, klingt es dann auch, wie nur eine Strad klingen kann. Leider sind solche Momente rar. Benedetti scheint der Virtuosen-Exzess aber zu liegen, und sie liefert eine beeindruckende Performance, inklusive einer sehr langen Solokadenz, die dem Violinkonzert dann auch die Begeisterung des Publikums sichert. Ein fulminanter Abschluss im Eröffnungskonzert für Acht Brücken und ein gutes Omen für das nächste große Opern-Konzert heute Abend.

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