Acht Brücken | „Lessons in Love and Violence“ semi-konzertant in der Kölner Philharmonie

Für 2020 war die Aufführung im Kölner Philharmonieplan bereits vorgesehen und kommt jetzt mit dem Mahler Chamber Orchestra unter der Leitung des Komponisten George Benjamin im Rahmen einer Tournee bei Acht Brücken unter. Mit dem Festivalthema „Musik oder Nichts“ hat diese dritte Oper Benjamins vielleicht weniger zu tun, ist aber musikalisch wie szenisch auf der reduzierten Podiumsbühne vor Orchestermusikern eine eindrückliche Lektion über Liebe und Gewalt, zumal unter der Stabführung Sir Georges. (Von Sabine Weber, Foto: Jörn Neumann)

Erregungskurven in Benjamins Musik

(Aufführung am 29. April 2023 in der Kölner Philharmonie) 90 Minuten lang – ohne Pause – fesselt diese dritte Oper von George Benjamin. Die Grausamkeit liegt in zwischenmenschlichen Auseinandersetzungen, wird durch Dialoge und auch Ensembleszenen ausgelöst. Es gibt zwar Hinrichtungen, die werden aber nicht gezeigt, sondern finden in der Musik durch oszillierende Gewaltklänge und in instrumentalen Zwischenmusiken Ausdruck. Und ob die Lektion nur über obszöne Liebe und Pflichtvergessenheit eines grausamen und Macht-besessenen Königs geht, ist nicht ausgemacht. Die Musik George Benjamins wirbt mit ihrer Sinnlichkeit auch um Verständnis für die homoerotischen Gefühle des Königs zu Gaveston, was die Regie von Dan Ayling trotz fehlender Kulisse und wenig Raum in der Gestik und Mimik des Kings deutlich macht. Der King (Bassbariton Evan Hughes) und sein Geliebter (Bariton Gyula Ortendt) küssen sich zwei Mal in elektrisierenden Szenen. Versichern sich ihrer Liebe. Einmal versuchen beide auf den Philharmoniestühlen der Solisten sogar eine Kopulation anzudeuten, was vielleicht komisch klingt. Im Zusammenhang des Live-Erlebnisses sich fügt. „Liebe kann doch kein Gift sein!“, behauptet der König, dessen Name nie ausgesprochen wird. Die Erregungskurven in Benjamins Musik finden zwischen gewaltigen Messiaënschen Orchesterklangblöcken immer wieder Raum für erotische Momente und Farben – ohne jemals Kitsch auch nur zu streifen. Und bei einer Musiktheateraufführungs-Szene vor dem König wird die alttestamentliche Erzählung von David und Jonathan aufgeführt. Der verzweifelte Schrei von David erklingt drei Mal. David soll Jonathan ja nicht nur als Bruder geliebt haben, das spricht jedenfalls Bände.

Der Königssohn rächt im Finale wie einst Orest den Tod seines Vaters

Die Charaktere sind bei Benjamin und seinem Librettisten Martin Crimp auch gebrochen gezeichnet. Crimp hat das Schauspiel Edward II. beim Shakespeare-Zeitgenossen Philippe Marlowe gefunden und ihn Benjamin empfohlen. Die Historie blenden beide aus. Es geht um die Typen. Mortimer (Tenor Paul Curievici) streitet sich mit dem König gleich in der ersten Szene, weil der König die leidende Bevölkerung vernachlässige und Geld nur für die Kunst ausgebe. Die Königin überzeugt Mortimer in einem ernüchternden Reisebericht vom Land. Gaveston schiebt er die Schuld in die Schuhe. Er wird also ermordet. Der König, der nicht von ihm lassen will, festgesetzt. Mortimer will an die Macht und bringt seinen König wegen dessen „falscher“ Liebe ins Gefängnis – was bei einer gesellschaftlich akzeptierten weiblichen Geliebten vielleicht nicht hätte sein können. Die Königin (Sopranistin Giorgia Jarman) im weißen Kleid, die Männer tragen Konzertsmoking, versucht die Fassade aufrecht zu erhalten, bettelt nach der Ermordung Gaveston sogar noch einmal vergeblich beim König um einen Kuss und verbindet sich verhärmt mit Mortimer, der mit ihr die Gewalt über den Königssohn und Thronfolger (Tenor Samuel Boden) gewinnt.
Der Königssohn rächt im Finale wie einst Orest den Tod seines Vaters. Womit diese elisabethanische Tragödie an Oedipus erinnert, denn Mortimer werden die Augen ausgestochen.

Es werden viele auch ungewöhnliche Klangfarben aufgefahren

Wie eine antike Tragödie hat Crimp die Handlung auch angelegt und streng konzipiert. Und das Orchester liefert die Chorkommentare. Dicht und Klang-mächtig gewoben, kommentieren einzelne Instrumente mal mit Glissandi oder mit Vierteltonverschiebungen, flirrenden Tönen. Es werden viele auch ungewöhnliche Klangfarben aufgefahren, die auch psychologisierend das verzweifelte Machtspiel gekoppelt mit Liebesansprüchen begleiten. Eine Bassposaune mit Flatterzunge steht für das Grauen, ein Bassetthorn für die Liebe! Häufig spielen die Streicher mit Dämpfern und können sich Oberton-verarmt mit anderen Instrumenten besonders gut mischen. Harfen zupfen perkussiv und ein Hackbrett neben der Celesta sorgt sogar für exotische Klänge. In einer Wahrsagerszene geben türkische Trommeln wie bei einer Sufi-Musik den Takt an. Diese Szene wird wiederholt, wenn Gaveston in der Gestalt des Tod vor den König tritt, der bereits im Wahnsinn oder Jenseits ist. Ohne Smokingjacke sind beide auch barfuss! Tote auf dem Kölner Philharmoniepodium.

Die Regie an diesem Abend hat vollauf genügt.

Bis zuletzt verliert dieses Werk eine gewisse Rätselhaftigkeit nicht. Es gibt auch keinen Zeigefinger. „Die schlüssige Anwendung von Gewalt“, wie der Königssohn seine Rache an Mortimer gegenüber der am Boden zerstörten Mutter rechtfertigt, ist auch keine Lösung. Was hier vorgeführt wird, hat immer mindestens zwei Seiten, lässt Interpretationen in Tiefen und Abgründe zu und ruft noch im emotionalisierten Nachhausegehen weitere Assoziationen hervor. Nicht zuletzt beeindruckt die Musik, die das Mahler Chamber Orchestra unter der Stabführung von George Benjamin atemberaubend zur Szene liefert. Und die Regie an diesem Abend hat vollauf genügt. So konnte man sich perfekt auf den Text in übersetzten Übertiteln konzentrieren. Und auf die wunderbaren Gesangssolisten, die teilweise schon bei der szenischen Uraufführung – ebenfalls unter Benjamin – 2018 am Royal Opera House in London dabei waren.

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