ZAMUS: early music festival. Ustvolskajas Klarinettentrio zwischen französischen Cembalopiècen und frühbarocke Violinsonaten betanzt

Suna Cönca tanzt neben CordArte. Foto: Ira Givol

Die klassizistische Trinitatiskirche ist im Inneren hell. Ein strahlender Ort für die beiden Konzerte am dritten Abend des ZAMUS: early music festivals in Köln. Den Kirchenraum erklärte die Sankt Petersburger Komponistin Galina Ustvolskaja zudem für den geeigneten Aufführungsort ihrer Musik. Ihr Klarinettentrio steht im Zentrum des ersten Konzerts von NeoBarock. Auch frühbarocke Violinsonaten und Viola-bastarda-Diminutionen sind hier trotz Hall von jedem Platz aus doch gut zu verfolgen. CordArte musste sich allerdings an die Seite drücken, weil eine Tänzerin Platz beanspruchte. (Von Sabine Weber)

(25. Juni 2021, Trinitatiskirche Köln) Das Ensemble NeoBarock stellt die drei Sätze des von Galina Ustwolskajas 1949 komponierten Klarinettentrios ins Zentrum. Das heißt aber nicht, dass die Zwischengänge mit barocken Tastenkompositionen im französischen Stil von Johann Jakob Froberger oder François Couperin weniger gehaltvoll wären. Die mit Virtuosität gespickte Sonata detta la Desperata vom Italiener Carlo Farina, die in Verzweiflung mit chromatisch abwärts ziehenden Tönen endet, ist erster Höhepunkt. Maren Ries spielt sie auf der Barockgeige, bevor sie zum modernen Instrument greift. Das Einleitungsstück in diesem Programm – vor Farina – ist ein Prélude non-mesuré des französischen Tastenmaîtres Jean-Henri D’Anglebert, bei welchem Taktstriche fehlen, damit der Ausführende sich der Inspiration durch Harmonieabfolgen zeitlich ungebunden hingeben kann. Stanislav Gres gelingt das fantastisch.

NeoBarock rundet einen Bogen unter dem sich barocke und moderne Musik ergänzen

Genauso souverän wechselt er zum Flügel für den ersten Ustvolskaja-Satz, den der Klarinettist Marco Thomas erstmal mit aus dem Nichts entwickelten fast gehauchten Tönen beginnt. Sie fügen sich wie gesprochene Phrasen eines Gebets. Ein inniger Moment, der bald durch harsche Einwürfe des Klaviers und der Violine sein Ende findet. Ihre Musik sei „tragisch und brenne sich durch ihre Expression und ihren Schmerz ein“, hat Ustvolskaja mal über ihre Musik gesagt. Konkret hat sich die 2006 verstorbene Komponistin nie zu eigenen Stücken geäußert. Sicherlich mit ein Grund dafür, dass hinter den Ausdrucksextremen ihrer Musik immer ein ritueller, irgendwie spiritueller Bezug gefühlt wird. Jeder einzelne Satz, Espressivo, Dolce und Energico überschrieben, entwickelt Sogwirkung, auch durch die Unerbittlichkeit wie Innigkeit, die die drei Musiker einzeln und gemeinsam in die Töne legen. Die Cembalopiècen dazwischen beanspruchen letztendlich sogar auch einen spirituellen Bezug, die Klage über den Tod Ferdinand IV. von Froberger oder L’âme en peine – Seelenqual – von Couperin. Zitate wie „Mein Jesus kömmt: nun gute Nacht. Weil ich fahr ins Himmelhaus“ in das kleine Abendprogramm wie Haikus eingefügt, sind dem Schlusschoral „Es ist genug“ aus Johann Sebastian Bachs Kantate O Ewigkeit, du Donnerwort entnommen. Mit diesem für Klarinettentrio bearbeiteten Choral rundet NeoBarock einen Bogen, unter dem sich barocke und moderne Musik vieldeutig gelungen ergänzt haben.

Stylus Phantasticus: Bizarrerien und unerwartete Einfälle auf der Geige

Überzeugend musizierte dann auch CordArte. Cembalist Markus Märkl hat tags zuvor das-Einweihungskonzert einer neuangeschafften ZAMUS-Orgel mit bestritten. Hier ist er im Dauereinsatz für das Leib- und Magenrepertoire des Ensembles. Werke, die dem nicht genau zu präzisierenden, von Musiktheoretikern eigens dafür entwickelten Begriff des Stylus phantasticus zuzuordnen wären. Stücke angeblich ohne Stil und Regeln, was natürlich nicht stimmt. Aber sie warten mit Bizarrerien und unerwarteten Einfällen auf, wobei ein Ziel verfolgt wird: in Verwunderung zu versetzen. Und das haben zumeist Violinistenvirtuosen versucht. Der barocken Violinkomponist Padre Marianus liefert mit seiner Sonata ex a per Violina e Basso bestes Beispiel: wilde Akkoladen lässt Daniel Deuter per Violinbogen über die Saiten rauschen. Unerhört ist eine übermäßige orientalische Sekunde, die sich Violine und Cembalo plötzlich zuwerfen. Verrückte harmonische Rückungen oder Taktwechsel und Synkopenstolperer wie in Giovanni Battista Fontanas Sonata quinta per Violino.

Viola-bastarda-Diminutionen sind das Pendant auf der Gambe

Heike Lindner steuert auf ihrer Viola da gamba virtuose Diminutionen, notenreiche Verzierungen über Madrigal-Hits wie Anchor che col partire und La bella netta von Cipriano de Rore bei. Die von Riccardo Rognoni oder Vincenzo Bonizzi jagen die linke Hand bis weit über die Bünde des Griffbretts und zurück, sogenanntes Viola-bastarda-Repertoire, das die Solistin mit stoischer Ruhe klangschön beherrscht. Aber warum räkelt sich dazu eine Tänzerin, zuckt, zieht an ihrem Ärmel, bis das schwarze Hemd die Schulter frei gibt? Teilweise ist sie gar nicht zu sehen, weil es vorne kein Podium gibt und sie vorm Publikum verschwindet. Im Finale steigt sie einmal auf einen Tisch. Tanzt mit Tischchen. Ist dann weiß angezogen. Erst kam sie in schwarz, etwa eine platte Anspielung auf Nacht und Tag im Festivalmotto? Spannung in Bezug auf die Musik erzeugt das zu keinem Moment. Auch keinen Mehrwert. Zumal die Musiker sie komplett ignorieren, an ihr vorbeischauen, ihren Stiefel machen. Tanz und Musik kommen also nur räumlich zusammen. Irgendwann sieht man einfach nicht mehr hin, sondern hört zu! Vollauf genug!

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