ZAMUS: early music festival. Stummfilm mit live-Cembalo-Musik und Händels „Esther“ auf Hebräisch

Zur Halbzeit zeigt das ZAMUS-Festival Jean Epsteins legendären Stummfilm „The Fall of the House of Usher“ von 1928 zu improvisierter Cembalomusik und Händels Oratorium „Esther“ in Hebräischer Sprache. (Von Sabine Webert)

Marguerite Gance als Madeline doppeltbelichtet. Foto: Sabine Weber

(27. Juni 2021, Filmforum Ludwig und Kölner Philharmonie) Jean Epstein gehört zu den wichtigen frühen Film-Theoretikern Frankreichs. Er experimentiert mit Zeitlupe und Doppelbelichtungen, und zusammen mit dem noch jungen Luis Buñuel als Film-Assistenten bannt er Edgar Allan Poes psychotische Kurzgeschichte Der Fall des Hauses Usher filmisch, indem er Landschaften zu zerrütteten Seelenbildern stilisiert und Mimik und Gestik fokussiert. Vor allem Jean Debucourts wasserhelle Augen immer wieder in Nahsicht.

ean Debucourts wasserhelle Augen sind in dem Stummfilm "The fall of the house of Usher" immer wieder im Fokus
Jean Debucourt als Roderick. Foto: Sabine Weber

Als nervlich überdrehter Roderick Usher kämpft er mit Wahnbildern seiner schwächelnden Ehefrau Madeline (hier nicht seine Schwester) im Film durch Doppelbelichtungen gespenstisch verfremdet. Weil Roderick sie portraitiert, bekommt sie eine Doppelexistenz im Bildrahmen, die umso stärker wird, je mehr sie ihr reales Leben auszuhauchen scheint. Und dann die gespenstische Climax, sie wird lebendig begraben und kehrt gespenstisch ins Leben zurück. Lange Gänge, wehende Vorhänge, wirbelndes Laub, Ritterrüstungen, Bücher, die ohne Zutun herunterfallen, Nebel-durchzogene Säle, gespenstische Moorlandschaften, dazu der wahnsinnige Blick Roderick Ushers wirken in schwarz-weiß nochmal verstörender.

Mit barocker Rhetorik unterstreicht Matan Porat eine gestörte Gefühlswelt

Mit barocker Rhetorik auf dem Cembalo unterstreicht Matan Porat eine gestörte Gefühlswelt
Matan Porat. Foto: Sabine Weber

Die Cembalo-Filmmusik, die Matan Porat 60 Minuten lang improvisiert, gestaltet er durch Steigerungsbögen, reibenden Sekunddissonanzen, Akkorde drischt er, dass die Tasten (Modell Couchet-Ravalement von Burkhard Zander) sogar ein Holzklappern verursachen. Beeindruckend ist ein langes Lamento, als Madelines Sarg zur Gruft getragen wird. Die wiederum sieht aus, als hätte Jean-Pierre Ponelle eine mythologische Grotte mit Blumenranken und Blütenkelchen dekoriert. Matan Porat ist Komponist und lebt in Berlin. Er hat vor allem in den USA einen Ruf als Filmmusikimprovisateur auf dem Klavier. Er ist einer der wenigen Schüler von Murray Perahia. Seine Klavierimprovisation zu Fritz Langs Metropolis hat ihn 2009 in New York als Filmmusikbegleiter mit einem Male berühmt gemacht. Auf dem ZAMUS: early music festival hat er jetzt bewiesen, dass das auch auf dem Cembalo funktioniert. Cembaloklänge nehmen seit den Miss-Marple-Krimis im filmischen schwarz-weiß-Horror für viele einen ersten Platz ein. Porat intensiviert mit minimalistisch rotierenden Motiven die eindringlichen Blicke auf Gesichter, Hände, windgestörten Kerzenschein. Er folgt wehenden Schleiern und Panorama-Fahrten durch winterkahles Baumgeäst. Im Sinne einer barocken Rhetorik formt er sprechende Phrasen, die eine verstörte Gefühlswelt unterstreichen. Diese Absicht verfolgen auch die Bilder. Dieser Stummfilm gilt zu recht als ein filmisches Meisterwerk. Es wird außerdem daran erinnert, dass die Anfänge der L‘Art Lumière in Frankreich sind. Die Brüder Auguste und Louis Lumière führten 1895 in Paris die ersten laufenden Bilder vor. Und Camille Saint-Saëns lieferte zu dem Stummfilm Die Ermordung des Herzog von Guise 1908 eine der ersten komponierten Begleitmusiken der Filmgeschichte.

Georg Friedrich Händels Oratorium „Esther“ auf Hebräisch in europäischer Erstaufführung

Wurde im Filmforum Ludwig an Filmgeschichte erinnert, so gab es abends in der Kölner Philharmonie – im selben Gebäudekomplex – die europäische Erstaufführung von Georg Friedrich Händels Oratorium Esther. Unter der Leitung des israelischen Cembalisten Shalev Ad-El  – vom Instrument aus – musiziert Concerto Köln. Hana Blažíková als Esther, Alex Potter als der persische König und ihr Ehemann Ahasveros (Xerxes I.), Dana Marbach, israelische Frau, Marcus Ullmann, Mordechai, und Tomàs Král als Haman, der die Vernichtung der Juden im Namen des Königs durchsetzen will, was Esther verhindert, sind erstklassige Besetzungen. Der Bariton Kràl liefert mit seiner Verlierer-Arie „Wie tief Dein Fall vor der Höh“ einen der musikalisch schönsten Momente vor den siegesgewissen Alleluja-Koloraturen im Finale. Verzweiflung in punktierten Ketten über große Intervalle hinweg in den Streichern, lähmende Oboentöne darüber als große Trauerlinie. Sowieso denkt man in den meisten Arien, sie könnten aus den vorangegangenen italienischen Opern Händels stammen. Differenziert im Klang und wie immer klangschön beteiligt sich das Chorwerk Ruhr hinter dem Podium in den Rängen verteilt. Die Adaption in Hebräischer Sprache geht auf einen venezianischen Rabbiner namens Jacob Raphael Saraval bis ins Jahr 1759 zurück. Darauf hat Schalev Ad-El für seine Einrichtung zurückgegriffen. Ein wirklicher Mehrwert beim Hören war durch das Hebräische nicht zu gewinnen. Zumindest für die nicht, die des Hebräischen nicht mächtig sind. Das dürfte die meisten betreffen. Dieses Jahr wird in Deutschland und Köln 1700 Jahre jüdisches Leben gefeiert. Dazu liefert das natürlich einen wichtigen Beitrag, und  dokumentiert, dass das jüdische Leben in unserer Kultur eine Rolle spielen soll und darf!

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