Das WDR Sinfonieorchester präsentiert Brahms’ zweites Klavierkonzert und dessen vierte Sinfonie, die einen Kompositionsauftrag „Miniaturen der Zeit“ umrahmen. „Caritas“ von Klaus Lang. Das ist auch das Programm des Auftaktkonzerts einer mehrtätigen Residency des WSO im rumänischen Timişoara. Am Montag gehen das Orchester und Solist Simon Trpčeski auf Reise. Warum nach Timişoara, besser bekannt als Temeswar? Die Stadt in der Nähe der ungarischen Grenze im Westen Rumäniens ist die Heimat des Chefdirigenten Cristian Măcelaru und in diesem Jahr Kulturhauptstadt. Anlass für ihn, diese Kooperation anzustoßen, sinfonische und kammermusikalische Programme auch in Zusammenarbeit mit einem Orchester vor Ort zu präsentieren. Außerdem Musikstudierende und begabte Jugendliche zu Instrumental-Workshops einladen, die von Musikern des WSO geleitet werden.(Von Sabine Weber)
(10. März 2023, Kölner Philharmonie) Rumänien ist ein musikalisches Land! Und das bringt Cristian Măcelaru dem Publikum in der gut gefüllten Kölner Philharmonie an diesem Freitag in einer sympathischen Zugabe nahe. Eben noch Dirigent kehrt er mit Violine aufs Podium zurück und geigt eine swingige (rumänische?) Melodie. Nicht sehr laut, fast ein bisschen schüchtern, aber blitzblank sauber, auch bei den Doppelgriffen in den höheren Lagen, von leicht jazzigen Akkorden getragen, die Trpčeski, eben noch Solist, zu Măcelaru hingeneigt untermischt. Die Noten des Stücks liegen auf dem Flügel. Das hat etwas Intimes und sehr Persönliches, wie die beiden da musizieren. Măcelaru, jüngstes von 10 Kindern, hat von klein auf die Violine im Familienkonzert gestrichen. Alle Geschwister haben ein Instrument gelernt und geübt, wenn Schule und Arbeit der sich selbstversorgenden Familie auf dem Feld erledigt war. Das waren die musikalischen Anfänge Măcelarus, der heute Chefdirigent beim WSO und dem Orchestre de Paris ist, zudem das Enescu-Festival in Bukarest als künstlerischer Leiter verantwortet und in diesem Jahr erstmals sein Programm vorstellt.
Was für ein Kontrast also zum vorausgegangenen Klavierkonzert in B-dur von Johannes Brahms! Aber auch da gibt es innige Momente. Gleich zu Anfang im Kopfsatz, wenn Simon Trpčeski zur Hornmelodie (Haeree Yoo) einsteigt, entfaltet sich ein Zauber in der Philharmonie. Dann das Duett des Solisten zu dahinschmelzenden Klarinettentönen (Lewin Kneisel), oder wenn das Klavier sich in die letzten Töne eines Violoncello-Solos (Oren Shevlin, im Titelbild rechts neben dem Dirigenten. Foto: WDR / Peter Adamik) im dritten Satz wie verträumt einmischt. Kraftvolle Momente gibt es mindestens ebenso viele. Das Konzert hat sich Brahms in die eigenen Finger geschrieben, die mächtig dreschen konnten, ohne Rücksicht auf falsche Töne, wie Clara Schumann einmal moniert hat. Nach der Uraufführung 1881 ist Brahms als Solist auf mehrmonatige Tournee aufgebrochen. Wenn Trpčeski kraftvoll zupackt, klingt der Flügel allerdings matt, das Innere der Klänge nicht konturiert. Das irritiert, auch wenn das Zusammenspiel zwischen Solist und Orchestersolisten, Orchestergruppen oder dem Tutti ganz wunderbar gelingen! Liegt es vielleicht am Sitzplatz in der Philharmonie? Am Flügel? Es ist an diesem Abend einmal mehr ein sehr sinfonisches Konzert, das Klavier übernimmt ja auch immer wieder Begleitfunktion…
Bei Brahms Vierter geht Măcelaru nach der Pause dann mit einer geradezu schockierenden Verve ran. Vom Konstrukteur Brahms hört man nichts. Und an der fein ausgetüftelten Struktur der Partitur gäbe es gerade in dieser Sinfonie doch einiges hörbar zu machen.
Richard Strauss saß im Publikum der Uraufführung 1885 und meinte: „…ein Riesenwerk, von einer Größe der Konzeption und Erfindung, Genialität in der Formbehandlung, von eminentem Schwung und Kraft, neu und originell und doch von A bis Z echter Brahms.“
Nicht zuletzt in der Chaconne des vierten Satzes. Natürlich sind da die plötzlich aufscheinenden Posaunen Ereignis. Măcelaru lässt lieber besondere Momente aufleuchten, Momente, die er persönlich gefühlt herausstellt. So irritierend hat man Brahms jedenfalls noch selten gehört!
Klaus Langs Caritas ist wie eine Gebirgsblume zwischen den gigantischen Werken. Es besteht aus einer durch pendelnde und mäandernde Ganztöne bestimmten Harmonie, die zunächst wie in späten Mahlersinfonien entrückt aufleuchtet, dann in einem großen Crescendo aufgeht und wieder verklingt. Mein Nachbar meint sogar, es klinge wie kosmische Filmmusik und erwähnt den Film Passenger! Wenn auch marginale Musik dennoch ein dramaturgisch fein gesetzter Moment im Konzert.