Wagners „Rheingold“ historisch informiert gesprochen, gesungen, gespielt…

In Berlin dampft gerade der Ring von Stefan Herheim. Da kommt in Köln ein ganz anderes Ringprojekt zum Tragen. Concerto Köln unter Kent Nagano präsentiert „Das Rheingold“ historisch informiert. Unter dem Motto „Wagner-Lesarten“ werden seit einigen Jahren neue Herangehensweisen an die Partitur erforscht. Ich erinnere mich noch gut an den ersten historisch informierten Holländer mit der Capella Coloniensis unter Bruno Weil. Jetzt also der Ring im historisch informierten Neuklang. Symposien und Workshops gingen voraus. Vier Wagner-Oboen wurden neu gebaut, die Wagnertuben kennt man ja. Hier sind sie allerdings auch neu gebaut worden wegen des Stimmtons 435 hz. Ritterbratschen sind wohl out, weil die riesigen, von Wagner präferierten Bratschen wohl unspielbar bleiben. Dafür wurden besondere Sing- und Sprechgewohnheiten erprobt, die Wagners Diva Wilhelmine Schröder-Devrient zur Begeisterung von Wagner entwickelt und geprägt haben soll. Und sogar eine rekonstruierte Pädagogik der Sprachbewältigung und Erlernung der Partitur, von Wagner autorisiert, sei hier zum Zug gekommen. Gestern war die Probe aufs Exempel. Und einiges Unerhörte war in den zweieinhalb Stunden ohne Pause tatsächlich zu bemerken. (Von Sabine Weber)

Ein ntr-Mitschnitt der Zaterdagmatinee aus Amsterdam inklusive eines Interviews mit Kent Naganos ist derzeit online nachzuhören!!!

Kent Nagano. Foto: Concerto Köln

(18. November 2021, Kölner Philharmonie) Erstmals wieder drängelt sich Publikum vor den Eingängen. Wagner überwindet Vorbehalte. Auch Altmeister Kent Nagano ist ein Zugpferd. Die Kölner Philharmonie ist so gut gefüllt wie seit langem nicht mehr. Und das Podium auch. Kontrabässe aufgeteilt in drei rechts, vier links, die 10 Violoncelli in langgezogenem Halbrund vor den Bläsern, jeweils zwei Harfen rechts und links. Acht Hörner, vier Spieler greifen später zu den berühmten Wagnertuben, je vier Posaunen und Trompeten. Vier Klarinetten und die seltsam dünn aussehenden Wagner-Oboen, die einen extrem hellen Klang haben. Das berühmte Naturwabern des Anfangs, erst mit drei Hörnern – welche Ventil haben und welche Naturhörner sind, ist optisch nicht genau auszumachen – fängt wie aus dem Nichts an. Die drei Fagotte mischen im tiefen Register mit. Ungeheurlich wirkt die Steigerung des hin- und her pendelnden Es-Dur Dreiklangs. Es ist ein hörbares Weben. Tuba, die Posaunen, dann die Celli, schließlich die Streicher kommen dazu. Bis die Natur bebt. Mit sparsamen, fast schüchternen Bewegungen leitet Kent Nagano an.

„Schröder-Devrient-Momente“

Rheintöchter Eva Vogel, Ida Aldrian und Ania Vegry. Foto: Conerto Köln

Die Rheintöchter, Ania Vegry (Sopran), Ida Aldrian und Eva Vogel (Mezzo) treten auf und beginnen ihr neckisches Spiel mit Alberich, der von der anderen Seite dazu gestoßen ist. Und bald vernimmt man auch, was mit „deklamatorischem“ Sprechgesang gemeint ist. Gesprochene aber melodisch nach oben oder unten gezogene Wörter begleitet von Gesten, „Schröder-Devrient-Momente“, die ungewohnt maniriert klingen aber den Aussagen etwas Betontes geben. Allerdings fällt da schon auf, dass das Problem der Textverständlichkeit beim Singen im Vergleich zum Sprechen, obwohl die Sänger hier ja vor dem Orchester stehen, immer noch nicht gelöst ist. Es laufen hilfreiche Übertitel auf einem Board. Thomas Mohr, der für den an Corona erkrankten Julius Prégardien als Loge kurzfristig eingesprungen und die neue Pädagogikschule wohl nicht durchlaufen hat, ist sogar mit einer der Textverständlichsten.

Loge (Thomas Mohr) und Kent Nagano. Foto: Concerto Köln

Eine der besten aber wiederlichen Szenen

Daniel Schmutzhard ist eine Idealbesetzung für die Partie des Alberichs. Ob mit oder ohne das von Wagner vorgeschriebene Kreischen, Heulen und Lautverschleifungen belebt er die bei den Rheintöchtern abblitzende und verachtete Kreatur vorzüglich, die immer wieder mit geballter Faust aufbegehrt, sich dann des Rheingoldschatzes bemächtigt, um wenigstens damit Macht zu haben, aber – von Wotan und Loge überrumpelt – des Rheingoldes wieder beraubt wird. Das ist eine der besten, aber widerlichen Szenen: Alberich, von dem arroganten Wotan, Derek Welton, und dem neutral tuenden Loge, „hat er genug bezahlt, darf ich ihn jetzt losbinden?“ aufs Kreuz gelegt, muss auch Tarnhelm und Ring rausrücken. Sein Ringfluch trifft dann durch Mark und Bein. Die Riesen rächen ihn in gewissem Sinne. Tijl Faveryts als Fasolt und Christoph Seidel als Fafner,  tiefes wuchtiges Bassregister und dabei erstaunlich textverständlich, werden vom Orchester immer schon mit groben Schritten vorangekündigt. Sie bieten Wotan die Stirn. „Was Du bist, bist Du nur durch Verträge“ … Und jetzt will Wotan den Vertrag mit den Riesen brechen? Für den Bau Walhalls ist ihnen Freia, Sarah Wegener, versprochen worden, die mehr oder weniger den Abend lang um Hilfe ruft. Fricka, Stefanie Irányi, mit etwas viel Vibrato auf einigen Tönen, klagt ihren Mann an, die Schwester lieblos verschachert zu haben. Die Frauen wurden von der Sitzung ausgeschlossen, als die Sache beschlossen wurde.

Da fragt man sich schon, warum in Bayreuth verdeckt unter der Bühne gespielt wird …

Es nimmt seinen Lauf mit vor allem ungewohnten Farben aus dem Orchester. Dass die Pauke mit ihren Wirbeln sozusagen im Dauereinsatz ist, hier ist es herauszuhören. Ebenso die Klarinettenstimmen, die in der Orchestrierung eine wichtige Rolle haben. Nichts ist verquirlt, sondern alles deutlich. Wie sich Tuba und Wagner-Tuben mischen oder Blechsätze aufgebaut werden, quiekend Holzbläser dazu kommen. Aufgeraute Klänge sind hier Programm. Manchmal klingen Stimmgruppen gegeneinander sogar leicht verstimmt, was einen besonderen Reiz ausmacht. Wenn das Orchester so richtig aufdreht, ist es wie ein Naturereignis, weil es vorher auch wirklich leise war. Und die gestopften Hörner haben hier einen besonders boshaft „dräuenden“ Klang. Die Partitur entwickelt ungewohnte Drastigkeit und damit Tragik. Da fragt man sich schon, warum in Bayreuth verdeckt unter der Bühne gespielt werden muss. Das Orchester ist soviel Ereignis! Bombastisch ist der Einzug nach Walhalla im Finale, nachdem Erda, Gerhild Romberger, auf der Wendeltreppe von oben mit mahnender, in der Tiefe sonoren Altstimme zur Räson gerufen hat. „Meide den Ring!“

An diesem Abend war jeder froh, den Ring nicht gemieden, sondern diese neue Wagner-Klangwelt miterlebt zu haben. Da braucht es auch keine Inszenierung. Die Inszenierung steckt in der Partitur. Euphorischer Applaus, stehende Ovationen, die gar nicht mehr enden wollen!

Morgen, Samstag, spielt Concerto Köln im Concertgebouw Amsterdam in der Zaterdag Matinee. Ausverkauft!

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