Roland Wilson und Musica Fiata lassen zu dessen epochalem 350. Todestag dieses Jahr eine totgeglaubte Oper von Schütz wiedererstehen. Dafne!

Heinrich Schütz gilt als der Vater der deutschen Musik. Er hat auch die erste deutsche Oper gezeugt, was wir seinerzeit noch im Genuss eines profunden Musikunterrichts gelernt haben. Das epochale Wunderwerk gilt – leider – als auf immer verschollen. Das Libretto von Martin Opitz hat sich aber erhalten. Und hat jetzt neue Schützmusik bekommen, vom Schütz-Spezialisten Roland Wilson zugeteilt, der seit Jahrzehnten davon träumt, Dafne wieder auferstehen zu lassen. Seine Recherchen und seine Umsetzungsversuche sind zu einem Ergebnis gekommen, das sich hören lassen kann. Mit seinem Ensemble Musica Fiata hat Roland Wilson beim diesjährigen zamus: Festival für Alte Musik in Köln sogar für ein Highlight gesorgt. (Von Sabine Weber)

(25. Mai 2022, ZAMUS: early music festival Köln im Ventana) Zwei Orchesterensembles, solistisch besetzt, also zwei Violinen, zwei Viole da gamba und Bombardone (ein Renaissance-Fagott) sitzen links neben dem Podium. Zwei Zinken, drei Posaunen rechts. Die sogenannte Mehrchörigkeit gehört zu Schützens Klangbildern. Denn die hat er aus seinen mehrmalig und mehrjährigen venezianischen Lehrzeiten nach Deutschland importiert. Dazu das üppige Continuo mit zwei Chitarronen, bzw. eingewechselter Laute, eine barocke Doppelharfe, dazu Cembalo, bzw. Orgelpositiv und Regal. Claudio Monteverdi lässt grüßen. Für seinen Opernerstling Orfeo hat er ein buntes Renaissance-Instrumentarium mit eben diesen Continuo-Instrumenten vorgeschrieben. Es klingt auch die fünf Akte über ziemlich italienisch, erinnert immer wieder an Monteverdi, dem Schütz 1628 in Italien begegnet sein könnte, was aber nicht belegt werden kann. Die mehrstimmigen Madrigale oder Konzerte, zumeist drei oder fünfstimmig mit Instrumentalteilen, klingen aber auch nach Schütz.

50 Prozent ist originaler Schütz

Das muntere Duett Venus und Amor mit einer ziemlich langen Triosonaten-Sinfonie als Einleitung geht beispielsweise auf ein Canzonetta-Fragment zurück auf Schütz. Schütz hat sich mit Monteverdi beschäftigt, er hat mit eigener Feder Monteverdis Madrigal Chiome d‘oro abgeschrieben und sogar den anonymen Text übersetzt. Eine Steilvorlage für Wilsons Projekt. Nur Opitz-Zeilen mussten Schützens originale deutsche Übersetzung ersetzen. Das Lamento der keuschen Dafne kurz vor dem Finale letzter Akt hat Wilson in dem berühmten Klaglied von Schütz auf den Tod seiner Ehefrau Magdalene gefunden. Und alle Silben des Opernlibrettos gehen sich fast problemlos aus! Das Lamento des seiner Nymphe verlustig gegangenen Apoll findet sich bei Alessandro Grandi in dessen O vos homnes. Ritornelli und Vilanellen von Biagio Marini und Marco da Gagliano liefern Instrumentalstücke. Eine schmissige Gagliarda von Carlo Farina ist auch hinein geschmuggelt. 50 Prozent der Musik seien aber originaler Schütz, so Wilson, dessen Werk er in akribischer Arbeit nach Brauchbarkeit durchforstet hat. Für die Bearbeitung der Rezitative brauchte es freilich den italienischen Zugriff. Komponist Marco da Gagliano, der bei der ersten italienischen Dafne-Oper mitgewirkt hat, ist Hauptlieferant.

Die Dramaturgie funktioniert wie aus einem Guss

Kein Bruch ist zu hören, obwohl sogar für die vielen deutschen Silben hier und da Zählzeiten und Takte dazu gebastelt werden mussten. Die hochpoetische, weil barocke Verssprache bleibt natürlich etwas fremd schwülstig, aber jedes Wort ist zu verstehen. Die Dramaturgie zwischen Monodie, Duett, Terzett und Quintett mit je nachdem eingeschobenen Ritornellen oder Orchesterzwischenspielen funktioniert wie aus einem Guss. Und gerade, wenn Stimmungen durchbrochen werden, es zu Affektbrüchen kommt, von lichtem Streicher-Dur ins düstere moll der Bläser abstürzt, wie beim Übergang vom Prolog zum ersten Akt, scheint es genau so gewollt, als dürfe es nicht anders sein!

Apollo (Thomas Hunger). Foto: ZAMUS

Mit großer Spielfreude und Hingabe werfen sich die Solisten für die keusche Nymphe Dafne ins Zeug, der Apollon nachstellt. Tobias Hunger im brustoffenen Hemd mit hervorlugenden Goldkettchen als anzüglicher, dennoch sensibler Liebender übernimmt den größten Part, und überzeugt bei der ohne Regisseur:in wohl spontan entstandenen halbszenischen Einrichtung. Er hat eine unglaubliche Bühnenpräsenz und gibt den erst lüsternen, dann hörbar geschlagenen Apoll mit schlanker, gut fokussierter Stimme und ist auch der virtuos verzierten Trauer seines Lamentos gewachsen.

Amor und Venus (Juliane Schubert, Magdalena Podkoscielna). Foto: ZAMUS

Marie Luise Werneburg gibt die keusche Dafne mit freudiger naturverliebter Unbedarftheit bei ebenfalls klarer Stimmführung und bittet in ihrem Lamento herzzerreißend um die Baumverwandlung. Juliane Schubert ist mit Schlagmütze und Sonnenbrille ein aufmüpfig triumphierender Amor, ständig in Bewegung und switcht auch mal in eine Hirtenrolle. Die anderen Stimmen, insgesamt sind es acht, funktionieren am besten im Ensemble. Immer wieder ist das Continuo andersfarbig, es fällt vor allem Vincent Kibildis an der Arpia doppia auf mit genau getimten Einsätzen und einfühlsam gesezten Arpeggien. Sowie Adrian Rovatkay, Fagott oder Bombardone, der passgenau zu seinen streichenden Mitspielern links im Ensemble mit der Bassstimme führt. Wunderbar dunkel die Blechbläser mit den beiden Zinken, die zweimal auch zu den Blockflöten greifen. Zu Anfang braucht das Gesamtensemble ein wenig Zeit, um in die ständigen Orchesterwechsel hinein zu finden, kommt aber immer besser zusammen. Ob Schützens Dafne im Original so geklungen hat, wissen wir natürlich nicht. Aber es spricht einiges dafür.
Ein großartiger Versuch also, der mit jeder Aufführung nur besser werden kann. Mehrere Aufführung sind diesem Projekt zu wünschen. Ein großer Wurf für das Schützjahr, für das am 19. November die Feuerwerke gezündet werden. An die CD-Aufnahme wurde auch gedacht. Sie kommt ganz bald bei cpo heraus.

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