Kölner Philharmonie: Haydns Oratorium als Mitsingerlebnis!

Auf dem Programm steht Haydns „Schöpfung“ , das dritte seiner vier Oratorien, geschrieben in den Jahren 1796 bis 1798, und das als Mitsingkonzert. Geht das in dieser Zeit? Und müssen da etwa alle mitsingen, mit Maske oder ohne? Erleichterung für alle, die nicht stimm- und textsicher sind, dann beim Eintritt in den Saal der Kölner Philharmonie… (Von Jukka Höhe)

(26. März 2022, Kölner Philharmonie) Alle, die mitsingen werden, sitzen nämlich schon – schwarzgewandet und mit Text-Kladde – in den vorderen Reihen. Dahinter bleiben etwa zehn Reihen als Corona-Sicherheitsabstand frei, die Zuhörer füllen erst ab Reihe 21 die Oberränge des Saals – und erleben mit Abstand einen bewegenden Oratorien-Abend!

Das WDR-Sinfonieorchester ist fast vollständig von Chören, auf dem Podium der WDR Rundfunkchor, umgeben. In der Mitte der Chor- und Orchesterdirigent Simon Halsey, der sozusagen unter den Musikern steht – nicht auf einem Podest wie sonst üblich. Auch verzichtet er auf einen Taktstock. Beides wohl, um beweglich und „mitmusizierend“ zu dirigieren. Er wendet sich viel freier, als es auf auf einem Podest möglich wäre, den einzelnen Orchester- und Chorgruppen zu, auch immer wieder zu den „Mitsängern“ im Publikum vorn – und dirigiert dabei nicht nur, sondern singt „stumm“ mit, den Text deutlich mit den Lippen akzentuierend.

Simon Halsey. Das Bild wurde bei einem Mitsingkonzert des rbb aufgenommen. Foto: rbb/Matthias Heyde

Dass Halsey sowohl das Orchester als auch die Chöre dirigiert, ist gerade bei diesem Oratorium ein Glücksfall, ist doch der Orchesterpart nicht bloße Untermalung des Textes, sondern weist viele eigenständige Passagen auf, die einzelne Elemente der Schöpfungstage lautmalerisch gestalten. Hier zeigt das WDR-Sinfonieorchester, dass es sich auch historisch informiert auf das klassische Repertoire versteht: präzise und im Klangvolumen klar zwischen den lauteren und den intimeren Passagen wechselnd.

Auch die Auwahl der drei Solisten, die als Erzengel die ersten sechs Schöpfungstage singend erzählen, ist durchgehend gelungen: Katharina Konradi (Sopran) als Gabriel, im Schlussteil als Eva, Ilker Arcayürek (Tenor) als Uriel und Dingle Yandell (Bass) als Raphael, im Schlussteil als Adam, singen stimmschön und mit für den großen Saal ausreichendem Volumen – das Publikum saß ja im „Oberrang“. Besonders Dingle Yandell stach aus dem Trio hervor: seine Stimme erlaubt ihm einen Wechsel zwischen reinem und baritonal geprägtem Bass und überzeugt mit einer dramatischen und den Inhalt akzentuierenden Ausgestaltung seines Gesangsparts.

Die Corona-bedingte Platzierung des Publikums auf Distanz erwies sich an diesem Abend sogar als Glücksfall. Die Mitsinger waren über die Reflexionen der rückseitigen Wände der Philharmonie klar und deutlich zu hören – auf den vorderen Plätzen hätte sich womöglich ein Ungleichgewicht der Chorstimmen ergeben.

Am Ende eines bewegenden, zum Teil auch berührenden, Oratoriums einhelliger Jubel des Publikums für alle Beteiligten – und beim Verlassen des Saals stellte sich heraus, dass viele Freunde und Angehörige der Mitsingenden dabei waren, also auch in gewissem Sinne „Beteiligte“…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert