Beim Alte Musik Festival Felix in Köln gastiert das spanische Ensemble Accademia del Piacere aus Sevilla und rundet den Felix urban Samstag ab. Mit historisch-traditionell-modernen Instrumenten und einer unerhört irrisierenden Melange. Die tunesisch-belgische Sängerin Ghalia Benali und die spanische Sopranistin Quiteria Muños surfen souverän im und über dem Klang. (Von Sabine Weber)
(19. August 2023, Kölner Philharmonie) Während Javier Núñez bereits die instrumentale Intro auf der Truhenorgel mit Verzierungen über La spagna improvisiert (über Basstöne, die u.a der Spanier Diego Ortiz in seiner Gambenschule als La Spagna-Modell berühmt gemacht hat), legt Ensembleleiter Fahmi Alqhai cool seine Gambe beiseite und kolophoniert erst mal den Bogen. Neben ihm zwei weitere Gambisten, Frau und Bruder – ein Familienensemble. Auf der anderen Seite ein Mann mit wallendem Schwarzbart und traditioneller persischer Langhalslaute in der Hand, daneben wird eine moderne Flamenco-Gitarre gehalten, und ein Perkussionist sitzt auf einer Trommelkiste. Vor sich hat er eine Rahmentrommel aufgebaut, die wie die Snare Drum vor dem Schlagzeuger steht und die er auch so spielt.
So beginnt das Ritual
Kaum hat die Orgel ihre Verzierungsvariationen im Stile Antonio de Cabezóns beendet, bricht es von rechts oben los. Sopranistin Quiteria Muñoz steht auf einem der Balkone neben dem Podium und schneidet mit dem gregorianischen Choral Da pacem Domine die Luft in der Philharmonie. Mit glasklarem Timbre intoniert sie den Friedensgruß eher wie eine Kampfansage. So beginnt das Ritual des Abends. Denn Ghalia Benali setzt von der anderen Seite mit arabischem Gesang ein, auf einen Text von Ibn al Arabi aus Murcia. Mit leicht rauchigem Mezzo-Alttimbre serviert sie ihn, durchsetzt mit gutturalen Lauten, die aus der Bauchmitte oder aus ihrer Seele zu kommen scheinen. Und sie begleitet ihren Gesang mit sprechenden Gesten der Hände und Arme und kommuniziert sofort mit dem Publikum. Das ist Emotion pur! Beide Sängerinnen singen verstärkt.
Schnippen zum Flamenco-Rhythmus
Mit Benali setzt auch das Ensemble im Tutti ein. Die Gamben, erst im Unisono mit der Sängerin, dann füllen sie den Klang mit Harmonietönen auf, im Sprechrhythmus gestrichen. Der Setar-Spieler tremoliert auf seinen metallen klingenden Saiten, der Flamenco-Gitarrist wirft Kaskaden dazu, und auch der Perkussionist, der bereits ungeduldig vorab mit Stabaufschlägen seinen Einstieg gesucht hat, hat den Rhythmus gefunden und wischt jetzt mit einem Besen auf seiner „Rahmentrommel-Snare“. Der irisierende Klangbrei bewegt sich im Inneren. Und das junge Publikum, darunter sicherlich einige Spanier, versucht immer wieder zu den herausgehörten Flamenco-Momenten und zum Rhythmus zu schnippen.
So lässt die Accademia del Piacere also das Christentum auf den Islam treffen. Mit ungewöhnlichen, nicht unbedingt historisierend gedachten Sounds und Rhythmen, die die sagenhafte Welt Al Andalus aufleben lassen sollen. In Al Andalus (Murcia gehörte dazu) haben unter muslimischer Herrschaft angeblich Christen und Moslems, sogar mit den Juden friedlich koexistiert. Das wird von der Forschung längst in Frage gestellt. Fromm bleibt der Wunsch des gregorianischen Friedensgrußes, den Ghalia Benali und Quiteria Muñoz nach anderthalb Stunden im Unisono vortragen werden und sich dabei die Hände reichen. Die spanische Musik, nicht zuletzt die europäische Musik hat immerhin von den muslimischen Einflüssen profitiert. Die Laute, die Vihuela, gestrichene Instrumente wie die Vihuela d‘arco, beziehungsweise die Gambe und nicht zuletzt die Geige kamen über Al Andalus aus Arabien nach Europa.
Die hier zu hörenden Arrangements tragen die Handschrift Fahmi Alquais
Noch Jahrzehnte nach dem Fall von Granada und dem Abschluss der Reconquista 1492 haben spanische Komponisten die historischen Ereignisse reflektiert. Was typisch wäre an der Musik des Dichter-Komponisten Juan del Encina, der übrigens als Hofmusiker mit dem schillernden Borgia-Papst in Rom war, oder Luis de Narváez und dem blinden Miguel de Fuenllana, den berühmtesten Vihuela-Spieler ihrer Zeit, das bleibt das Ensemble allerdings schuldig. Die hier zu hörenden Arrangements tragen zumeist den Namen des Ensembleleiters Fahmi Alqhai, dem Chef-Arrangeur. Und sie werden in dem oben beschriebenen Sinne fast durchweg zu spontanen Riesenimprovisationen genutzt, die von den recht einfachen Melodieschemen ausgehen oder von Akkord-Extrakten und immer im Tutti enden.
Perkussionist und Flamencogitarrist klopften mit dem Fuß
Wenn einer der drei Gambisten diminuiert hat, war es oftmals nicht zu hören. Der Eindruck stellte sich sogar ein, die vom Publikum aus gesehen rechte Seite, vom Orgelpositiv aus, und die linke Gambenseite würden gegeneinander spielen. Perkussionist und Flamencogitarrist klopften mit dem Fuß nicht immer im selben Rhythmus. Noch lauter und schnellere Töne hintereinander wiederholen bis hin zum Tremolieren war der Treffpunkt am Ende. Wenigstens waren einmal nur drei Gamben zu hören.
Der Fall Granadas durch die Brille des Maurenkönigs
Schade, dass die Texte der vierzeiligen Strophen der Romanzen nicht im Programmheft abgedruckt waren. Wenn dieses Konzert doch als politisches Statement angelegt sein soll, wie Alqhai vor der Zugabe erklärt, sind die Botschaften doch wichtig. Beispielsweise wird in der Romance Paseávase el rey moro von Narváez der Fall Granadas durch die Brille des Maurenkönigs beschrieben. Wie wird der Maurenkönig aus Sicht des Christen dargestellt? Ebenfalls fleht und lamentiert ein Maure in Fuenllanas De Antequera sale el moro. Das Bedürfnis, den Text zu verstehen hatten aber längst nicht alle. Viele ließen sich einfach von der Klangsoundgroove tragen. Die drei jungen Spanier neben mir halten lieber die Augen geschlossen und schnippen immer wieder mit den Fingern, wenn es die Flamenco-Gitarre möglich machte.
Sopranistin Quiteria Muños, für die Romanzen zuständig, behauptet sich tapfer gegenüber ihrer Kollegin, die mit traditionell eher improvisierten arabischen Gesangsstilen sozusagen im Ensemblethema ist und mit ihrer Selbstverständlichkeit und Freude alle anstecken konnte. Ghalia Benali zieht mal eben eine Feder vom Revers und spielt damit, tanzt um das ernst blickende Ensemble herum, dreht sich sogar wie ein Sufi um die eigene Achse und lässt ihr Kleid fliegen! Offensichtlich hat sie Spaß. Ein Solo des persisch-kanadischen Kiya Tabassian entwickelt auf der Setar noch einmal besondere Sogwirkung. Er versinkt geradezu in seinem Solo, und produziert mit einem Finger hin und her auf der Diskantsaite rasend schnelle Verzierungen wie einst Pacco de Lucia. Er und Ghalia Benali kommen absolut authentisch rüber. Gern hätte man auch mehr authentischen Flamenco gehört. Kaum setzt Dani de Morón zum Solo an, schnell hat er noch das Kapodaster aufs Griffbrett gesetzt, verfällt er schon wieder in irgendwelche Akkordfolgen, über die das Ensemble improvisiert.
Das Ende des pausenlosen durchgespielten Konzerts mit kleinen Stimmpausen wird mit heftigsten Trillern und Crescendissimo eingeleitet. Und der Del-Piacere-Sound gewinnt. Den rund 400 Besuchern hat nichts gefehlt, sie sind aus dem Häuschen. Die beiden Sängerinnen werden euphorisch beklatscht. Fahmi Alqhai wendet sich ans Publikum und erklärt, warum ihm das Zusammenleben der Religionen wichtiges Thema sei und warum er Al Andalus hinterher trauere. Endlich verliert er seinen überaus angestrengten Blick. Und nochmal ganz anders klingt die Romanze von dem Fall Granadas jetzt als Zugabe…
Das Konzert wurde aufgezeichnet und wird am 30. August ab 20 Uhr auf philharmonie.tv gesendet. Der Stream wird unterstützt von JTI.