„Das Enescu Festival hält mit den BBC Proms und dem Lucerne-Festival locker mit!“ Das hat der ehemalige Geschäftsführer Mihai Constantinescu schon 2015 stolz gesagt. Der rumänische Staat fördert alle zwei Jahre lang klassische Kultur auf Hochtouren. Dennoch müssen die Teams im Off Low Budget arbeiten, damit rumänische Musik eine Plattform bekommt und die europäische Klassikelite sich den Rumänen neben eigenen Orchestern präsentiert. In dieser 26. Ausgabe sind 43 Orchester eingeladen. Die europäischen spielen jeweils zwei Programme. 29 Tage sind gefüllt mit täglich ein bis vier Konzerten. Es gibt ein Beiprogramm mit heimischen Neue-Musik-Ensembles und weiteren Veranstaltungen. Zum ersten Mal ist das WDR Sinfonieorchester dabei. Sein Chefdirigent Cristian Măcelaru ist Rumäne. Und er ist seit dieser Spielzeit außerdem künstlerischer Leiter des Festivals! (Von Sabine Weber)
(27. bis 29. August 2023, Sala Palatului, Ateneul Român, Bukarest) Rumänien ist schon im Frühjahr näher an Köln gerückt. Das WDR Sinfonieorchester ist mit seinem Chefdirigenten in die diesjährige europäische Kulturhauptstadt nach Timișoara oder Temesvar im Westen Rumäniens gereist. Unter anderem wurde die Dritte Mahlers zusammen mit Musikerkollegen aus dem Banatul Philharmonic Timișoara aufgeführt. Die dortige Gastfreundschaftlichkeit und die Kuchenbackkunst ist bei den Musikern bis heute Legende. Der Kontakt zwischen einigen Musiker bis heute gepflegt. So konnte Solotrompeter Peter Mönkedieck kurzerhand in Timișoara anrufen, um beim Enescu Festival-Auftritt für einen erkrankten Kollegen Ersatz zu bekommen. Jetzt reist sogar ein Trompetenspieler aus Timișoara für den 1. und 2. September nach Köln, um in der Kölner Philharmonie mitzuspielen. Denn das WDR Sinfonieorchester eröffnet an diesen beiden Abenden seine Abo-Saison mit einem der in Bukarest vorgestellten Programme!
Auch Măcelaru hat erst Geige studiert
Rumänien ist auf unserer Klassiklandkarte schon längst angekommen. So spielen seit Jahren Rumänen im WDR Sinfonieorchester mit. Natürlich in den ersten Geigen. Auch Măcelaru hat erst Geige studiert, bevor er in die Dirigentenkarriere umgeswitcht ist. Und Măcelaru sei der beste Geiger unter den Dirigenten, so Andrea Floriescu mit Augenzwinkern! Giorgetta Iordache kam 2013 für ein Geigenstudium nach Köln. Sie wurde danach Mitglied der Orchesterakademie und hat das Probespiel bestanden. Es gibt für sie kein besseres Musikerleben als in Deutschland, sagt die 29jährige. Ihr Mann, ebenfalls Rumäne, ist Kontrabassist im Landestheater Detmold. Natürlich ist das ein Problem, wenn die jungen rumänischen Musiker auswandern.
Der rumänische Präsident Klaus Johannis ruft Măcelaru an
Inzwischen kehren einige wie Măcelaru aber auch wieder zurück. Seit 2019 ist er Chef des WDR Sinfonieorchesters und seit 2021 auch des Orchestre National de France. Seit 2010 dirigiert er regelmäßig in Rumänien, um Orchester zu fördern, zu unterstützen, etwas von seinem internationalen Renommee zurück zu tragen. Nach seinem Auftritt mit dem Orchestre National de Paris bei der letzten Enesco Festival Ausgabe habe dann unerwartet der rumänische Präsident Klaus Johannis ihn persönlich angerufen. Er hätte mit seinem Einsatz für die rumänischen Orchester etwas demonstriert, das sei angekommen. Ob er die künstlerische Leitung übernehmen wolle?
Neue Visionen für das Enescu Festival
Jetzt darf Măcelaru die heimischen Orchester des Landes auch auf Rumäniens wichtigstem Festival fördern. Schon immer haben sie in einer eigenen Serie ihren Platz. In den nächsten beiden Spielzeiten, also den kommenden sechs Jahren, will Măcelaru aber verstärkt internationale Solisten mit den Orchestern zusammenbringen und junge Solisten fördern. Er hat auch Familienkonzerte an vier Sonntagen initiert. Ob ihn die Kölner „Maus“-Konzerte inspiriert haben? Visionen muss man pflegen. Den Innenumbau des viel zu großen Palatuluis, beispielsweise. Da träumt Măcelaru vielleicht nicht zufällig von einem amphitheatralen Raum wie in der Kölner Philharmonie. Dass der traditionelle Riesensaal des Palatului nicht gefällt, hat mit der Akustik und vielleicht mit seiner Geschichte zu tun. Das ist der Sitzungssaal der Kommunistischen Partei gewesen und für bis zu 4000 Parteimitglieder ausgelegt. Angeblich werden in dem gigantischen Saal die Geräusche des Publikums besser auf das Podium getragen als die Musik umgekehrt vom Podium aus abstrahlt. Der Diktator und Persona non grata Nicolae Ceaușescu sei schuld. Ceaușescu sei Applaus-gierig gewesen. Die Akustik ist also schwierig und dennoch hat der Saal mit postsowjetischem Charme ein Alleinstellungsmerkmal. Er findet sich so auf keinem anderen Festival!
Konzerte – Das Eröffnungskonzert mit den Bukarest George Enesco Philharmonikern
Zum Eröffnungskonzert ist der Saal ausgebucht. Angeblich kommen zu jeder Festival-Ausgabe bis zu 20.000 Touristen, auch Rumänen aus dem Ausland. Măcelaru leitet das traditionell hier stattfindende Eröffnungskonzert mit den Bukarester George Enescu Philharmonikern und gibt seinen Einstand. Antonín Dvořáks berühmtes Cellokonzert in h-moll mit Weltstar Gautier Capuçon erzeugt auch auf weite Entfernung hin sofort Wirkung. Capuçon gab auch mächtig Vibratogas, um so laut wie möglich zu sein. Bei der orchestral begleiteten Zugabe, dem Lied an den Mond aus Russalka schmelzen alle dahin. Nach der Pause spielen Măcelaru und das Bukarester Traditionsorchester dann rumänische Visitenkarten aus. Enescus Zweite Rumänische Rhapsodie, die im Volksmusikalischen Sinne mit natürlichen Verstimmungen und Schleifern spielt und die Măcelaru in geradezu mystischen Flötentönen enden lässt.
Eine rumänische Rosenkavalier-Suite
Die Rosenkavalier-Suite von Richard Strauss hat rumänische Verve. Alles da, fein und doch ein bisschen wilder ausgespielt. Sogar ohne Celesta kommen die Silberrosen-Töne, mit den Holzbläsern und einem Xylophon. Die Zugabe kann dann selbst die Musiksuch-App Shazam der rumänischen Journalistin neben mir nicht ermitteln. (Mobilfunkgeräte sind selbstverständlich während des Konzerts zur Hand. Im Finale der Konzerte werden sie für kleine Filmchen immer hochgehalten!) Später erfahren wir, dass es Theodor Rogalskis auf eine Bergregion Bezug nehmender letzter Tanz aus seinen Drei Rumänischen Tänzen gewesen sei! Das Publikum ist begeistert. Am Ende werden sogar verpackte Geschenke aufs Dirigenten-Podium gestellt. Das gigantische Blumengebinde mit weißen Schneeballblüten, von zwei Männern getragen, soll wohl der Präsident geschickt haben. Für die Zugabe muss sich Cristian Măcelaru zum Dirigentenpult daran vorbei arbeiten.
Die zweite Hauptspielstätte – ein rumänisches Juwel
Das Ateneul Român ist die zweiten wichtige Spielstätte. Und er hat wie der Sala Palatului ein rumänisches Alleinstellungsmerkmal. In dem Rundbau mit Kuppel und Säulengang davor gibt es einen Konzertsaal mit rund 1000 Sitzplätzen, der wie ein Hunnen- oder Zirkuszelt wirkt. Die Decke ist mit grotesken Verzierungen, asiatischen Drachenschwänzen und Feuersäulen geschmückt. Entlang der Wand ist dann die Geschichte Rumäniens auf historisierenden Freskenbilder dargestellt. Von den römischen Anfängen über den Osmanischen Einfluss bis hin zur Gründung des rumänischen Königreiches im 19. Jahrhundert. Die erste rumänische Königin war übrigens eine Prinzessin zu Wied, keine 100 Kilometer von Köln entfernt in Neuwied am Rhein geboren.
Konzerte – WDR Sinfonieorchester mit Jörg Widmann
Diesen eher intimen akustisch perfekten Konzertsaal hat Măcelaru für die zwei Konzerte des WDR Sinfonieorchesters vorgesehen. Wobei Dirigent und Komponist Jörg Widmann die erste Visitenkarte ausspielt. Ein Programm mit eigenen Kompositionen, deren Stil den WDR Sinfonisten hörbar vertraut ist. Drei Spielzeiten war Widmann Residenzkünstler beim WDR Sinfonieorchester. Die gewachsene Verbundenheit merkt man in jedem Ton. Widmanns ironisch anspielungsreiches Zweites Violinkonzert, das über weite Strecken mit leisen Geräuschen Spannung und Witz erzeugt, zelebriert Schwester Carolin Widmann mit ernster Überzeugung. Als Klarinettist interpretiert Widmann dann ein für den eigenen Vortrag geradezu kitschig bearbeitetes Andante aus einer Mendelssohn-Klarinettensonate und lässt sich genüsslich begleiten. Für Mendelssohns Reformationssinfonie steht er wieder am Dirigentenpult.
Măcelaru begeistert mit dem „Holzgeschnitzten Prinzen“ von Bartok
Das zweite Programm übernimmt Măcelaru und eröffnet mit dem lärmig tosenden Stück Formido des Rumänen Dan Dediu. Im Auftrag des WDR entstanden, ist es 2020 in Köln bereits uraufgeführt worden und erlebt jetzt seine rumänische Erstaufführung. Auch das ist ein Anliegen des Festivals, neue rumänische Musik im Land aufzuführen und rumänische Komponisten zu fördern, wie es seinerzeit Enescu getan hat. Im besten wie diesem Fall für rumänische Erstaufführungen zu sorgen. Für die Auswahl an orchestral aufgearbeiteten Wunderhornliedern von Mahler steht Bassbariton Matthias Goerne als Solist neben dem Dirigenten. Aber das Nonplusultra-Signaturstück ist Bela Bartoks Holzgeschnitzter Prinz. Die orchestralen Farben, die die Musiker hervorzaubern, sind einfach umwerfend. Nicht immer versteht man, wie sie zustande kommen. Die bereits im letzten Jahr aufgenommene Ballettpantomime ist sowohl Măcelaru als auch den Musikern in Fleisch und Blut übergegangen. Das Bukarester Publikum ist jedenfalls aus dem Häuschen und jubelt, worauf Măcelaru mit dem berühmten vierten Ungarischen Tanz von Brahms eins drauf setzt.
Legenden auf dem Enescu Festival
Euphorie ist auf dem Enescu Festival sowieso Programm. Trotz der vorherrschenden 36 Grad ist jung und alt auf den Beinen. Wie der 87jährige Honorar-Präsident Zubin Mehta den konzertanten Otello durchsteht, bleibt ein Rätsel. Den kann er, und mit großartigen Solisten und einem vorzüglich klingendem Orchester des Maggio Musicale Florenz zaubert er nur mit minimalsten Bewegungen. Dass die Italiener Verdi können ist selbstredend, aber im zweiten Konzert stemmen sie noch Mahlers Auferstehungssinfonie mit den gewaltigen Zusammenbrüchen und Ferntrompeten vom Proszenium aus. Das ist wirklich sensationell. „Dieses Konzert in
Salzburg hätte zu einem Begeisterungserdbeben geführt“, raunt mir eine deutsche Nachbarin zu. Seine letzten Konzerte hat der Maestro alle abgesagt. Nicht die in Bukarest, wo er am Stock an den Musikern vorbei zum Pult getippelt ist, dass einem Angst und Bange wurde, er könne vom Podium fallen. Das Publikum hat ihn ermutigend weiter klatschend nach vorne begleitet. Vor seinem ersten Konzert ist ihm von der Kultusministerin der rumänische Verdienstorden verliehen worden. Und mit fester und klarer Stimme hat er sich auf Englisch bedankt und dem Publikum verraten, dass er seit 1974 regelmäßig nach Bukarest gekommen sei. Und auch in schlechten Zeiten hätte er hier nur gute Erfahrungen gemacht. Vielleicht hat man ihn hier zum letzten Mal gehört. Auf dem Enescu Festival werden Legenden geschrieben.