Gambenpiècen und arabischer Gesang? Die in Brüssel lebende österreichische Gambistin Romina Lischka beschreitet schon ungewöhnliche Wege. Die klassisch-westliche Tradition der barocken Gambenmusik bringt sie mit indischer und arabischer Musik zusammen. In ihrem Konzert beim Festival Felix Original.Klang.Köln., zusammen mit der tunesischen Sängerin Ghalia Benali, ruft sie in dem eher düsteren Saal des Filmforums in der Kölner Philharmonie sofort ein besondere Stimmung hervor. Innige Momente, die das Publikum in eine fast magische Stimmung versetzen. Mit einfachen Bordunklängen, gezupft, oder mit Passagen aus Marin Marais Gambenpiècen begleitet oder durchzieht sie den Gesang. Zu keinem Moment stellt sich das Gefühl ein, hier passe etwas nicht zusammen. Zwischendurch spielt Romina Lischka auch Gambenpiècen des großen Gambenmaîtres pur – ohne Begleitung. Auch eine Pièce von Antoine Forqueray. Für die, die dieses außergewöhnliche Konzert verpasst haben, seit dem 7. August ist das Programm und noch mehr auf CD beim Label FUGA LIBERA nachzuhören. Dann ist auch Vincent Noiret, Kontrabissist und Percussionist dabei. Nach dem Konzert im Filmforum hat mir Romina Lischka ein paar Fragen beantwortet. (Die Fragen stellt Sabine Weber)
Wie kommt eine Gambistin auf Indischen Gesang?
Mir ist das schon als Jugendliche begegnet. Ich habe an der Musikschule Wien Gambe gelernt. Der Vater einer Schülerin hat diese Musik gemacht. Und so bin ich früh damit in Kontakt gekommen. Ich habe dann auch mal Sarangi gelernt (die indische Form der Gambe) und Gesang und bin später darauf zurück gekommen, weil mich das nicht mehr losgelassen hat.
Sie haben klassisch indischen Gesang sogar in Indien studiert. Wie läuft das denn dort ab? Ist doch wahrscheinlich ein völlig anderes Studium als wir das kennen?
Das ist eine ganz andere Welt. Eher mittelalterlich, wenn wir uns das vorstellen wollten. Auch in Indien lernen das nur wenige. Und es ist normalerweise so, dass man bei einem Meister wohnt. Traditioneller Weise lebt man zusammen, hilft im Haushalt, und traditioneller Weise kommt man als Jugendlicher und lebt dort Jahre. Es hat auch nicht so eine deutliche Struktur wie bei uns. Man muss in der Früh die Übungen machen. Und der Unterricht passiert am Tag, viel in Gruppen, weil viel improvisiert wird. Man lernt auch viel von den anderen Studenten oder Schülern, bekommt Ideen. Es ist eine mündliche Tradition. Man spielt nach, was der Lehrer macht. Und man braucht auch viel Zeit, um Ragas zu verstehen. Am Anfang lernt man einen Raga pro Jahr. Irgendwann hat man eine Basis, das man das öffnen kann.
Mehr als zwanzig Ragas gibt es. Es braucht ja dann ein ganzes Leben, um sie zu lernen. Sie haben auch zwei Ragas in Ihrem neuen Programm „Call to Prayer“. Raga Bhairav und Raga Yaman. Was ich über Raga weiß, ist dass sie für bestimmte Gefühle und auch Jahres- und Tageszeiten stehen. Was sind das für zwei Raga?
Raga Yaman ist ein Nacht-Raga, zwischen 21 und 24 Uhr wird er gespielt. Er ist einer der wichtigsten Raga in der indischen Musik. Die Stimmung ist für mich: alles ist vorbei, man sitzt zusammen. Die Sonne ist untergegangen. In Indien sagen sie, dass der Raga wie ein Mensch ist. Jeder Charakter ist anders. Und so ist auch jeder Raga anders.
Bairav und Bairavi, das sind zwei verschiedene, sind beides Morgen-Ragas. Und das sind die wichtigsten Morgen-Raga mit allen Übungen, die dazu gehören. Das ist ein Standard, den man lernen muss.
Klassisch-indischer Dhrupad-Gesang, den Sie ja studiert haben, ist das eine. Aber den in die Gambenwelt zu übertragen, das andere. Die Raga arbeiten mit Mikrotonalen Entwicklungen, und die Gambe hat Bünde, sie ist ganz klar ein diatonisches Instrument. Wie bringen Sie das zusammen?
Ich glaube, es liegt alles in der Vorstellung. Ich habe auch schon einmal versucht, die Bünde runter zu nehmen. Das funktioniert aber nicht so gut. Die Gambe ist nicht dazu gedacht und klingt besser mit Bünden. Aber ich glaube, wenn man sich das vorstellt, geht es. Es gibt unter den indischen Instrumenten auch ein Psalterium, auf dem auch keine Mikrotöne zu spielen sind. Und das geht auch…
Wobei es ja erstaunlicher Weise von Marin Marais ein Verzierungszeichen gibt, das fordert, von einem Ton zum anderen zu rutschen. Könnte er von dieser Musik geahnt haben?
Ja, ja das ist eine Art der Verzierung…
Wie haben Sie das technisch denn jetzt zusammen gebracht. Rondeaus tauchen in diesem Programm immer wieder auf. Also Stücke, die immer zu einem gleichen Teil mit gleichen Harmonien zurückkehren. Ist das das Sprungbrett in die andere Welt gewesen?
In diesem Projekt bin ich frei mit den Formen umgegangen. Ich muss nicht das ganze Stück spielen und alle Teile in der richtigen Reihenfolge. Dadurch sind halt viele Türen aufgegangen. Man muss sich ja auch anpassen. Und das war der Schlüssel.
Und wie ist es dann zusammengekommen. Sie nehmen sich Teile aus bekannten Gambenstücken von Marais. Dann singen ja auch Sie. Die indische Musik hat ja auch diese wahnsinnig komplizierten Tala-Rhythmen, lange Rhythmusgruppen, die auch gesungen werden.
In diesem Projekt habe ich keine rhythmischen Muster benutzt. Hier geht es um die pure Melodie. Arabische Musik und indische Musik sind auch anders. Aber es sind beides modale Richtungen. Es gibt zwar andere Stimmsysteme. Die arabische Musik hat mehr Vierteltöne, die indische Musik hat mehr Mikrostimmungen. Aber irgendeine Essenz erzählt es immer, eine Geschichte. Und das ist ein großes gemeinsames Element.
Es bleibt vielleicht auch ein bisschen ein Wunder, wenn und wie solche Kulturen zusammentreffen. Wie haben Sie denn Ghalia Benali kennen gelernt?
Wir haben uns in einem anderen belgischen Ensemble kennen gelernt und auch zusammen gespielt.
Und gesungen. Es war von Anfang an eine Verbindung da. Sie liebt die Gambe und die Musik und ich die arabische Musik. Es hat sich so ergeben.
Sie haben es eben im Konzert auch erzählt. Es war ein jahrelanges Zusammenarbeiten und Zusammenwachsen. Sie haben sich getroffen, Sie haben etwas von Marais vorgespielt und „zack“ ging es zusammen, war es so?
Ja, so war es. Wir haben viel probiert. Ich bin die Gambenliteratur durchgegangen und habe überlegt. Mmm, das könnte funktionieren. Und dann habe ich vor allem sehr viel aufgenommen. Man probiert ja viel aus. Was haben wir jetzt da gemacht? Und man hört dann sofort, ob es funktioniert oder nicht. Da ist sehr viel Machen, Experimentieren, Aufnehmen und Reflexion. Und das Beste bleibt dann über.
Verstehen Sie Arabisch? Verstehen Sie die Geschichten? Es kommen ja bei Ghalia Benali auch noch Gesten dazu. Sie singt wie eine Schamanin.
Nein, ich spreche kein Arabisch. Aber ich kenne die Texte, ich habe Übersetzungen. Für mich haben alle Texte etwas gemeinsam. Es geht immer um die Seele. Und das ist eine Sprache, auch wenn sie aus einer anderen Kultur stammt, in der wir uns auch wieder finden können.
Sie sprachen eben im Konzert von Entschleunigung. Morgens früh um vier Uhr aufstehen und eine Stunde lang einen Ton üben, ist ja Teil der Übung im Dhrupad-Gesang. Entschleunigung ist etwas, das wir alle brauchen könnten. Erleben Sie denn selbst, dass sich Ihr Leben entschleunigt durch die Art, wie Sie Gambenmusik entwickeln?
Nein, das würde ich nicht sagen. (Lacht) Im Moment ist es entspannt wegen Corona. Unser Musikerdasein ist sonst sehr Zeit- und Energieintensiv und fragt viel. Und es gibt auch Stress. Ich versuche das – so gut wie möglich – nicht an mich rankommen zu lassen. Und es ist ja auch meine Wahl, wie viel mache ich. Was mache ich. Es stimmt, wenn ich auf der Bühne sitze und spiele, dann vergesse ich alles. Das gibt viel Energie.