Gaspare Spontinis „Die Eroberung von Mexiko“ auf DVD beim Label Dynamic

Das italienische Label Dynamic darf sich die Weltpremiereneinspielung von „Die Eroberung von Mexiko“ auf die Fahnen schreiben. Jedenfalls die der Urfassung dieser Historien-Oper mit mehr als drei Stunden Musik. Bei der Uraufführung im Pariser Théâtre de l‘Academie Impériale 1809 ist Kaiser Napoleon I. dabei. Er hat „Die Eroberung von Mexiko“ und den Konquistadoren Fernand Cortez als Titelhelden bei Gaspare Spontini auch bestellt. Der laufende Feldzug gegen Spanien sollte eine ideologisch-musikalische Überhöhung bekommen. Cortez hatte seinen geostrategischen Krieg um Gold als katholische Mission gegen Menschenopfernde Atzteken verbrämt. Der Europa-Erschütterer Napoleon will sich als Befreier der Spanier von der blutrünstigen katholischen Inquisition ins Licht setzen. Der spanische Feldzug endet allerdings im Desaster. Die Oper wird nach zwanzig Aufführungen abgesetzt. Um aufführungswürdig zu bleiben, verändert Spontini. Und was für eine Volte in der Aufführungsgeschichte! Die Cortez-Oper gelangt in einer vierten Fassung nach Berlin, diesmal zurechtgestutzt für eine neue Weltordnung. Friedrich Wilhelm III. lässt „Die Eroberung von Mexiko“ aufführen, um den Sieg über Napoleon zu feiern! Ein kurioser Bedeutungswandel! Und die Oper bleibt auf Siegerseite! Das Opernfestival Maggio Musicale in Florenz ist letztes Jahr anlässlich 500 Jahre Eroberung Mexikos zu ihren Anfängen zurück gesprungen. Das Manuskript der Urfassung dieser Spektakel-Oper mit großen Massenszenen ist neu gesichtet worden. Das Label Dynamic hat aufgezeichnet. Nachzuerleben ist, dass bei der Aufführung im Teatro Maggio Musicale Fiorentino im Oktober 2019 nicht an Aufwand gespart worden ist. Die Regie von Cecilia Ligorio zeigt sich allerdings der Wucht des Stoffes nicht gewachsen. (Von Sabine Weber)

Spontinis Cortez-Oper auf DVD. Die Weltersteinspielung mit Dario Schmunck in der Titelrolle ist beim Maggio Musicale fiorentino entstanden

Dabei ist der Regie-Ansatz bemerkenswert. Cecilia Ligorio setzt auf eine Rahmenhandlung. Morales, Vertrauter und rechte Hand von Cortez, erzählt und kritisiert auch die Ereignisse. Er sitzt schon während der Ouvertüre vor schwarzem Hintergrund und schreibt in ein Büchlein.

Ein düsterer Gefährte von Cortez, ihm treu aber in dieser Regie kritisch Tagebuch-führend. Foto: Michele Monasta

Das Orchestra del Maggio Musicale Fiorentino unter Jean-Luc Tingaud setzt erste Ausrufungszeichen durch Akkorde mit Beckenschlägen. Gianluca Magheri als Morales sitzt, schreibt. Spruchbänder erscheinen im Hintergrund und verraten, was er schreibt. Morales erzählt, wie er Cortez als 20jähriger kennengelernt und seinen Hunger nach Gold geteilt hat. Später kommen kritische Noten dazu, immer im Bühnenhintergrund lesbar. Sie stellen das Heldentum der Konquistadoren und die Brutalität bei der Eroberung Mexikos in Frage. Die Idee ist wohl von dem überlieferten kritischen Augenzeugen-Bericht des Konquistadors Bernal Díaz del Castillo angestoßen worden. Was dann aber im großen und ganzen auf der Bühne passiert, lässt sich darauf reduzieren, dass die Spanier düster-schwarzledern mit Kammhelmen und Brustpanzer auf der einen Seite stehen und rot-orange gekleidete Blumenmädchen, die an Frieda Kahlos Selbstdarstellungen erinnern, auf der anderen Seite.

Gesungen wird hervorragend. Aber dieser Eroberung von Mexiko fehlt die Personenregie

Ein trockenes Maisfeld wird herein und auf Befehl von Cortez wieder herausgeschoben. Gesungen wird hervorragend, aber starr und ohne dass es einen berührt. Personenregie interessiert die Regisseurin leider nicht. Luca Lombardo als Telasco entwickelt beim Singen sogar ansatzweise Hospitalismus. Tenor Dario Schmunck, wenn er nicht gewaltig heroisch Einlassungen stemmt, dann ist man ganz bei ihm, steht oder sitzt im Bild herum. Alexia Voulgaridou hat eine metallisch-wuchtige großer Stimme. Sie ist sängerigsch eine atztekische Geliebte von Cortez, hampelt aber mit seltsamer Gestik und Mimik und ziellosen irgendwohin-Bewegungen herum. Ein gemeinsames Liebesduett wirkt abweisend. Selbst das flüchtig getupfte Stirn-an-Stirn wirkt reserviert.

Eine Kritik an Spontinis Helden-Demagogie gibt es auch nicht

Die Krönung sind dann die Ballette. Die Spanier tanzen Macho-mäßig-männlich, die Atztekendamen verrenken sich tierisch bis unterwürfig. Im zweiten Akt machen die Spanier mit aufgesetztem Pferdekopf auf Reitschule, scharren und treten – graziös bis derb – über die Blumenmädchen hinweg, die sich allzu gern misshandeln lassen. Eine Kritik an Helden-Demagogie ist das nicht. Die Wucht einiger Bühnenbilder, große schwarze Schiffe oder projizierte historische Landkartenausschnitte holen eher in den Ernst der Handlung zurück. Hier eine emfpehlenswerte Kritik der Premierenaufführung.
Das große Verdienst dieser DVD ist, dass Spontinis gewaltige Musikpartitur -live – in hervorragender Qualität mit Dolby 5.1 eingefangen wurde und diese Oper erstmals verfügbar ist. Manchmal wechselt die Kameraeinstellung sehr schnell, aber es bleibt immer ein großer Genuss, zuzuhören und dabei zu entdecken, dass Spontini Rossini und Berlioz inspiriert haben musste. Einmal ist sogar der Anfang von Berlioz‘ Idee fixe aus dessen Francs Juges-Ouvertüre zu hören. Wobei Berlioz natürlich von Spontini übernommen hat. Der nach-revolutionäre Schreckensoper-Ton steckt zwar auch noch in dieser Cortez-Oper. Aber wie man ein Marschidiom vielfältigst subsumieren kann, und das Militärische subkutan auch kritisiert, was ein Männerchor, was ein Frauenchor vermag – es gibt ein musikalisches Bachanal der Atztekinnen im dritten Akt, das Wagner nicht überhört haben wird, wie große Massenszenen funktionieren, die in der Grand Opéra raison d‘être werden, all das hat Spontini allen vorgemacht. Seine Oper hat er übrigens noch ‚Tragédie lyrique‘ genannt.

Die Atztekinnen erinnern an Darstellungen von Frida Kahlo. Foto: Michele Monasta

Was an dieser DVD beim genovesischen Label Dynamic auch zu loben ist, ist ein informatives Booklet auf Englisch mit Auflistung sämtlicher Szenen und Inhaltsangabe. Untertitel können auf Deutsch eingeblendet werden. Das ist sehr hilfreich! Außerdem gibt es Bonus-Tracks, in denen der Dirigent über die Musik und die Regisseurin über die Hintrgründe der Opernentstehung aufklärt. Dazu sind dann allerdings Italienisch-Kenntnisse nötig.

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