Heute feiert Julia Varady ihren 80. Geburtstag! Eine 10 CD-Box der Orfeo-Recordings durchstreift das Lebenswerk dieser großen Sängerin. Klaus Kalchschmid mit persönlichen Eindrücken einer Bühnenpersönlichkeit, die ihm Mitte der 1970er zum ersten Mal begegnet ist.
(1. September 2021) Das Programmheft des Don Giovanni am 7. Juni 1976 an der Bayerischen Staatsoper hat alle Umzüge überstanden! Unter Leitung von Wolfgang Sawallisch sang damals der 29jährige Wolfgang Brendel die Titelpartie, die nur wenig ältere Julia Varady Donna Elvira: also die Frau, die dem Don wirklich zugeneigt ist und bis zuletzt (vergeblich) um ihn kämpft. Ihre unbedingte Liebe, aber auch ihr Eifersuchtsfuror haben sich tief ins Gedächtnis eingebrannt. Ihre flammende Elettra aus Mozarts Idomeneo bei einem Gastspiel der Bayerischen Staatsoper im Markgräflichen Opernhaus in Bayreuth im selben Jahr ebenfalls. Bereits fünf Jahre zuvor und dann viele Festspiel-Sommer lang war sie die Vitellia in der legendären Jean-Pierre-Ponnelle-Inszenierung von Mozarts letzter Oper Titus im Münchner Cuvilliés-Theater.
Später waren es vor allem Verdi-Partien, mit denen Varady als Leonora in Forza del destino Mitte der 1980er, aber auch als Traviata, Elisabetta in Don Carlo, Aida, Leonora in Trovatore, in München von 1974 bis in die späten 1980er, faszinierte. Grandios gestaltete sie eine böse flackernde Abigaille im frühen Nabucco, selbst in einer wegen defekter Bühnenmaschinerie unfreiwillig konzertanten Aufführung mit einem roten, weit ausgestellten Kleid im Zentrum, ebenso eine sanfte wie störrische Desdemona in Otello unter Carlos Kleiber.
Julia Varady, die heute ihren 80. Geburtstag hat, ist eine Ausnahmesängerin in des Wortes umfassender Bedeutung gewesen. Vom Beginn ihrer Karriere bis zu ihrem Bühnenabschied 1997 nach 33 Jahren, da was sie noch keine 56 Jahre alt, hat die gebürtige Ungarin in den verschiedensten Partien ihr Publikum fasziniert. Mit ihrem von Anfang an bis zuletzt unverwechselbar feinherb leuchtenden Timbre, das sie über alle Fachgrenzen hinweg von Mozart über Verdi, Puccini und Mascagni bis Aribert Reimann stilistisch perfekt anpassen konnte. Zudem mit einer außergewöhnlichen Bühnenpräsenz. Auch das jugendlich-dramatische (Wagner-)Fach erobert sich Julia Varady zu dieser Zeit – als Senta, Sieglinde oder Eva – stets unter Wolfgang Sawallisch an der Bayerischen Staatsoper, die neben der Deutschen Oper Berlin ihr Stammhaus wird. Auf Platte singt sie sogar Isoldes Liebestod und Brünnhildes Schlussgesang ein.
1972 wird Varady in München Ensemblemitglied, nach 10 Jahren in Cluj/Klausenburg und einigen Jahren in Frankfurt. Legendär bleibt ihre Arabella neben Dietrich Fischer-Dieskau als Mandryka in München 1977 (auf CD). Ebenfalls an der Seite ihres Mannes in der Partie der Cordelia neben Dieskau als Lear in der Uraufführung der gleichnamigen Oper von Aribert Reimann 1978. Varady konnte perfekt russisch sprechen. Also war sie prädestiniert für Tschaikowskys Tatjana (Eugen Onegin 1977), Lisa in Pique Dame (1984, auch auf CD) und für seine Lieder, die sie begleitet von Aribert Reimann am Flügel singt. Einige ihrer Münchner Parade-Rollen sind bei Orfeo in Livemitschnitten aus dem Nationaltheater dokumentiert. Sie hat auch Entlegenes exzellent im Studio eingespielt, so die Titelpartien von Spohrs Jessonda oder Spontinis Olympie.
Die 10-CD-Box der Orfeo-Recordings umfasst Recitals von Julia Varady mit Arien und Szenen von Verdi, Wagner, Puccini und Strauss, aber auch drei schöne Lied-Platten. Aus Jessonda und Olympie gibt es Ausschnitte sowie die wunderbar schräge Kantate mit Männerchor Gli amori di Teolinda von Giacomo Meyerbeer. Der Livemitschnitt eines Verdi-Requiems von 1980 als Erstveröffentlichung zeigt Varady auf der Höhe ihrer Kunst: ein wunderbar rares Dokument einer Sängerin, die in der Unmittelbarkeit der Bühne unerreicht blieb.