Endzeit! Das ist ein erstaunlich bedrückender Titel für ein Orchester, das vor Zukunftspotential nur so strotzt! Denn auf dem Podium der Kölner Philharmonie sitzen junge Musikerinnen und Musiker, die gute Chancen haben, demnächst die besten Orchester national und international zu füllen. Verstärkt durch das US amerikanische JACK Quartett und unter Jonathan Nott, seit 2014 künstlerischer Leiter und Erster Dirigent der Jungen Deutschen Philharmonie, widmen sie sich auf ihrer diesjährigen Herbsttournee Helmut Lachenmanns „Tanzsuite mit Deutschlandlied“ und der Tondichtung „Ein Heldenleben“ von Richard Strauss. (Von Sabine Weber)
(13. September 2019, Kölner Philharmonie) Unterschiedlicher können Werke nicht sein. Einmal Helmut Lachenmanns „Tanzsuite mit Deutschlandlied“, das durch seinen Titel hymnische Überhöhung befürchten lässt, aber über weite Strecken statt Pathos das geräuschhaft Verhuschte zelebriert. Klänge, die der Tonerzeugung eigentlich ‚unerwünscht‘ vorausgehen postuliert Lachenmann als Klangqualität. Atmen, Anblasen, das Kratzen, wenn der Bogen auf die Saite mit Grip gesetzt wird oder das Schlagen auf Instrumententeile. Auch die Pianistin hängt nur im Flügelinneren. Subtil werden in den Nischen und Ecken der Klangentstehung Phrasen und Motive pastellartig und Momenthaft herausgekitzelt.
In der zweiten Hälfte dann eine gewaltige Tondichtung vom Meister der Instrumentierung im großen Stil. Richard Strauss‘ autobiografisch auf sich gemünztes Heldenleben flutet den Raum. Da ist die pathetisch überhöhte sinfonische Macht Programm. Ein Held steht im Zentrum, dessen Widersacher musikalisch karrikiert, dessen Gefährtin portraitiert und dessen Friedensbotschaft bis hin zur Weltflucht alle Möglichkeiten romantischer Klangkombinationen einfordert.
Und die Junge Deutsche Philharmonie ist fabulös sowohl in der einen wie der anderen Mission! Wie akkurat sie Lachenmanns widerständige Klanganweisungen spielfreudig aufgreifen, absolut perfekt auch im momenthaften Zusammenspiel über weite Distanzen im Orchester. Deutschlandlied, heißt, die Haydnsche Streichquartett Melodie, oder Rhythmen von Walzer, Gigue, Siziliano oder das Wiegenlied „Schlaf, Kindlein schlaf!“, das Lachenmann hier angeblich auch dekonstruiert und als Struktur in seine geisterhafte Klangwelt überführt hat, sind kaum zu hören! Sie gehen auf in dieser völlig neu gedachten Klanglichkeit. „Komponieren heißt für mich, ein neues Instrument zu bauen“, sagt Lachenmann. Und das Orchester ist das Instrument, mit dem er den der Musik immanenten Moment des Expressiven oder des Beschwörens, Nietzsche hat das einmal „das Hinzugedachte“ genannt, ausschaltet oder umlenkt. Das fordert unerhörte Hellhörigkeit beim Zuhörer aber vor allem von den jungen Musikerinnen und Musiker, die sich mit Hingabe in Lachenmanns Welt bewegen. Großartig, wie die Schlagzeuger punktgenau ihre rhythmischen Patterns einbringen. Vier ganze Tage hat der Meister auch mit den jungen Musikern in Bredbeck bei Bremen gearbeitet und sie von seinen Ideen wohl absolut überzeugt. Mario Alarcón Cid, der unterstützt vom Stimmführer der Celli, Basile Orth, die Zuhörer charmant süffisant vor dem Konzert in Lachenmanns Werk einführt, erzählt, wie Lachenmann in der Probe einmal von einer Cellistin gefordert hätte: „weicher Kratzen! Es muss klingen wie eine schnurrende Katze!“ Die vier Streicher des JACK Quartetts werkeln gleichermaßen sanft kratzend aber auch expressiv ploppend und zupfend und die Geigenzargen streichend als Solisten durch das Deutschlandlied. Als im letzten Drittel das Orchester im Tutti fortissimo auffährt, kommt das wie ein Schock! Und einmal hat man einen Melodiefetzen samt harmonische Fortschreitung des Deutschlandliedes auf „für das deu…“ – aber nur bis dahin – doch deutlich herausgehört. Und auch einige Rhythmen wiedererkannt, die Mario Alarcón Cid vorab vom Orchester hat vorspielen lassen, was geholfen hat zu verstehen, wie Lachenmann die Rhythmen, verteilt auf verschiedene Instrumente, verfremdet.
Im zweiten Teil lotet Jonathan Nott, hingebungsvoll im Einsatz, noch einmal ganz andere Möglichkeiten aus. Acht Hörner, sechs Trompeten – drei rückten für eine Fernmusik aus – vierfache Besetzung im Holz, zwei Harfen … Die Junge Deutsche Philharmonie schickt einen regelrechten Strauss‘schen Klangpanzer los. Aber immer ist Raum für kammermusikalische Feinheiten oder solistisches Spiel des Klarinettisten, der Flötistin und Englischhornistin. Vor allem Konzertmeister Moritz König gestaltet seinen solistischen Part in „Des Helden Gefährtin“ Wienerisch charmant, kapriziös, schmeichelnd und schnippisch. In diesem eingearbeiteten Violinkonzert fährt dem Zuhörer das Wesen von Pauline de Ahna, Strauss‘ Frau und lebenslanger Gefährtin, an diesem Abend deutlich in die Ohren. Moritz König gibt einfach alles, zeigt noch einmal, was die Geiger hier drauf haben, bei dieser letzten Tournee, die er mitspielen darf. Ab nächster Spielzeit wird er von den Nürnberger Symhonikern übernommen. In diesem Orchester dürfen nur Studenten oder Postgraduierte aus dem deutschsprachigen Raum spielen, die noch keine feste Stelle haben.
Und was für ein Niveau diese Musiker*innen haben! Das lässt uns beruhigt auf die Zukunft vertrauen. Auch wenn unsere neue EU Präsidentin Ursula von der Leyen gerade verlauten ließ, dass kein neuer EU-Kommissar für die Kultur nominiert wird. Siehe Pressemeldungfavori. In die Kölner Philharmonie werden sie weiterhin eingeladen, hat Intendant Lowrens Langevoort in einer kleinen Begrüßung versprochen. Köln ist die zweite Station auf der diesjährigen Herbsttournee, nach Brügge, gewesen. Jetzt geht es noch nach Berlin, Celle und in die Frauenkirche nach Dresden. Hoffen wir, dass die Junge Deutsche Philharmonie weiter von Konzerthäusern, Sponsoren, Land und Staat gefördert wird. KölnMusik/ die Kölner Philharmonie hat jedenfalls die Werbetrommel nach dem Konzert weitergerührt und zu einem Kölsch ins Diskomäßig ausgeleuchtete und mit Popmusik geflutete Foyer eingeladen, wo die Musiker*innen auch angesprochen werden durften. Und wurden. „Wer bist Du?“ – „Ich bin der und der und habe mit ihm hier gepultet!“ – Prost!
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